Theologische Tage: Auch in der Bibel gibt es nicht nur zwei Geschlechter

Bibelzitate werden häufig genutzt, um etwa ein Verbot von Homosexualität oder eine Ehe nur zwischen Mann und Frau zu begründen. Dabei projizieren heutige Leserinnen und Leser allerdings häufig eigene Vorstellungen in die biblischen Texte. Unter dem Titel "Fluides Geschlecht: Bibelwissenschaftliche Perspektiven" widmen sich am 15. und 16. Januar 2020 die Theologischen Tage an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) dieser Problematik. Die Veranstalter der Theologischen Fakultät möchten eine den Texten gerecht werdende biblisch-theologische Argumentation etablieren.

"Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau" (Gen. 1,27). Dieses Bibelzitat werde zwar sehr oft herangezogen, um die Zweiteilung der Geschlechterrollen theologisch zu begründen, sagt Prof. Stefan Schorch von der Theologischen Fakultät der MLU. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht sei das allerdings falsch. "In der Hebräischen Bibel finden sich sehr verschiedene kulturelle Entwürfe von Geschlechterrollen, von Sexualität und auch von Partnerschaft und Familie." In kirchlichen Diskussionen und darüber hinaus könne man aber häufig eine Verengung wahrnehmen, weil biblische Zitate und Belegtexte aus ihren Kontexten herausgelöst werden. Die Theologischen Tage 2020 wollen zur Versachlichung dieser Debatte beitragen. Sie unternehmen den Versuch, eine den Texten gerecht werdende biblisch-theologische Argumentation als Medium der Verständigung zu etablieren. "Damit soll zugleich ein grundlegender Beitrag zur Auseinandersetzung mit diesem Thema geleistet werden, für Theologie, Kirche und unsere Gesellschaft überhaupt", so Schorch. In einem der Hauptvorträge referiert der Bibelwissenschaftler aus alttestamentlicher Sicht über kirchliche Auseinandersetzungen mit homosexuellen Partnerschaften.

Theologisch reflektierte Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität

Auf der Tagung wird die Frage fließender Geschlechtsidentitäten nicht nur auf Grundlage biblischer Texte aus dem Alten und Neuen Testament, sondern auch aufgrund altorientalischer Schöpfungsmythen und rabbinischer Perspektiven diskutiert. In einer Reihe von Vorträgen, Seminaren und Workshops werden theologisch reflektierte Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität vor dem Hintergrund aktueller Genderdebatten thematisiert. Neben Schorch spricht Prof. Annette Weissenrieder von der MLU über Jungfrauen und Eunuchen im Neuen Testament und behandelt dabei auch kulturelle Bewertungsunterschiede: "Wir können keineswegs von vornherein davon ausgehen, dass bestimmte Ausprägungen sexuellen Begehrens, wie etwa Homo- oder Heterosexualität, in der Antike genauso betrachtet wurden wie heute."

Weitere Vortragende sind unter anderem Prof. Michaela Bauks von der Universität Koblenz, Prof. Charlotte Fonrobert von der Stanford University und Prof. Eckart Reinmuth von der Universität Rostock. Die anschließende Podiumsdiskussion wird von Prof. Frank Ueberschaer von der MLU moderiert.

Die Theologischen Tage finden jährlich in Zusammenarbeit der Theologischen Fakultät der MLU mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalt statt. Die Tagung richtet sich an alle Interessierten aus Theologie, Kirche, Schule, Universität und Gesellschaft.

Weitere Informationen zu den Theologischen Tagen sowie Hinweise zu Teilnahme, Anmeldung und Gebühren: https://www.theologie.uni-halle.de/theoltage/

Theologische Tage 2020: "Fluides Geschlecht: Bibelwissenschaftliche Perspektiven auf Homosexualität, Transsexualität und Jungfrauenschaft": Mittwoch, 15. Januar, und Donnerstag, 16. Januar 2020, Theologische Fakultät, Franckesche Stiftungen, Franckeplatz 1, Haus 30, 06110 Halle (Saale)

Quelle: Manuela Bank-Zillmann, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg