Distale symmetrische Polyneuropathie – Rolle von Alpha-Liponsäure und Vitamin B1

Neuropathische Erkrankungen treten in der Praxis häufig auf und sind für den Patienten mit erheblichen Einschränkungen seiner Lebensqualität verbunden. Neben der kausalen Therapie zur Optimierung des Glukose-Stoffwechsels und einer symptomatischen Schmerztherapie sollte an eine begleitende Behandlung mit Alpha-Liponsäure und Vitamin B1 gedacht werden – mit dem Ziel, Nerven­ und Gefäßschädigungen aufgrund der hyperglykämischen Stoffwechsellage zu reduzieren.

Die distale, symmetrische sensible oder sensomotorische Polyneuropathie (DSPN) ist die häufigste Ausprägung der diabetischen Neuropathie.1 Mehr als 30 % aller Diabetikerinnen und Diabetiker leiden an einer DSPN, die in der Regel schleichend beginnt, chronisch fortschreitet und insbesondere an den distalen Abschnitten der unteren Extremitäten, seltener auch an den oberen, auftritt. Symptomatisch kommt es zu Kribbeln, Parästhesien, Taubheitsgefühlen sowie Reduktion oder Verlust von Schmerz-, Temperatur-, Berührungs-, Druck- und Vibrationsempfindungen, Stand- und Gangunsicherheit und neuropathischen Schmerzen. Man spricht von einer sogenannten dying-back-neuropathy, bei der sich die Beschwerden von distal – von Zehen, Füßen und Unterschenkeln aus – nach proximal ausbreiten.

Die neuro­pathischen Schmerzen bessern sich häufig in der Bewegung, sind in Ruhe und nachts stärker und werden von den betroffenen Patienten als bohrend, krampf­artig und stechend sowie vor allem als brennend – „burning feet“ – wahrgenommen.

Die drei Säulen der DSPN-Therapie

  1. Kausale Therapie mit Optimierung der Blutzuckereinstellung (orale Antidiabetika und/oder Insulin) sowie Kontrolle und Management von Risikofaktoren wie Hypertonie, Adipositas und Hyperlipidämie.
  2. Pathogenetische Therapie, die an den Folgen der Hyperglykämie ansetzt. Sie hat das Ziel, nerven-­ und gefäßschädigende Wirkungen des erhöhten Blutzuckers zu vermindern.
  3. Symptomatische, schmerzlindernde Therapie mit Antikonvulsiva, Antidepressiva, langwirkenden Opioiden und topischen Präparaten wie Capsaicin und Lidocain.

Alpha-Liponsäure wirkt antioxidativ und nervenregenerierend

Unter den pathogenetischen Therapien, die gezielt dem Entstehungsmechanismus einer diabetischen Polyneuropathie entgegenwirken können, kommt evidenzbasiert die Alpha-Liponsäure (ALA) in Betracht.2 Die Wirkungen der ALA resultieren aus deren antioxidativen Eigenschaften sowie der verbesserten Durchblutung und Energieversorgung der Nervenzellen – und sie sind gut dokumentiert:

  • Einfluss auf den Glukose-Stoffwechsel: ALA wirkt in der Nervenzelle als Cofaktor für Enzyme für einen geregelten Glukoseabbau.
  • Reduzierung von oxidativem Stress: ALA wirkt stark antioxidativ und greift so in die Pathogenese oxidativ bedingter Nervenschädigungen ein.3
  • Die ebenfalls durch Oxidationsprozesse verringerte Blutversorgung in den Nervenzellen wird verbessert.
  • Der bei Diabetikern zu niedrige Blutspiegel des zellschützenden Glutathions wird erhöht.
  • Die sensorische Schmerzwahrnehmung kann positiv beeinflusst werden.4,5

Diabetische Neuropathie:  Welche Rolle spielt der Biofaktor Vitamin B1?Einen hohen Stellenwert in der Blockierung pathogener Stoffwechselwege, die durch die Hyperglykämie aktiviert werden, hat auch Vitamin B1.

Ein Mangel an Vitamin B1 wird durch erhöhte renale Verluste verursacht – und dass, obwohl Diabetikerinnen und Diabetiker aufgrund der Hyperglykämie einen erhöhten Bedarf an dem essenziellen Biofaktor haben.8

Um einen Vitamin-B1-Mangel auszugleichen, hat sich das Vitamin-B1-Derivat Benfotiamin in der Praxis bewährt. Benfotiamin ist etwa fünfmal besser bioverfügbar als wasserlösliche Thiaminsalze, sodass ein Thiamindefizit zuverlässig ausgeglichen werden kann.9,10 Das lipidlös­liche Prodrug Benfotiamin hemmt pathogene Stoffwechselwege, die zur Entstehung von Gefäßschäden und Neuropathien beitragen können.

Neben Hemmung der durch erhöhte Blutzuckerspiegel induzierten Proteinkinase C, die eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Mikro- und Makroangiopathien spielt, kann Benfotiamin über eine Aktivierung der Transketolase die Produktion schädlicher Advanced Glycation Endproducts (AGE) hemmen und deren Abbau fördern.11,12,13 AGEs vermitteln mithilfe von Rezeptoren Störsignale an die Nervenzellen – mit der Folge von Schmerzreizen.

In einer doppelblinden, randomisierten Studie an Diabetes-Patientinnen und -Patienten mit Neuropathie wurde nachgewiesen, dass Benfotiamin die Symptome einer diabetischen Neuropathie lindern und zu einer Verbesserung des Neuropathy Symptom Scores (NSS) gegenüber Placebo führen kann. Dabei wurde der positive Effekt von Benfotiamin anhand der verbesserten Nervenleitgeschwindigkeit nachgewiesen – bei Tagesdosen von 300 bis 600 mg, die die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung deutlich übersteigen.14

Unter einer Therapie mit Alpha-­Liponsäure kommt es zu einer Verbesserung der neuropathischen Symptomatik – Kribbeln, Taubheitsgefühle und Schmerzen – sowie der sensorischen und motorischen Nervenleitgeschwindigkeit. Auch das Fortschreiten neuropathischer Beeinträchtigungen kann verhindert werden. Nicht zuletzt ist eine Behandlung mit Alpha-Liponsäure, auch in der Langzeitanwendung, gut verträglich.6,7 Es wird eine Kombinationstherapie aus intravenöser und oraler Darreichung empfohlen: Initial eine tägliche Infusion mit 600 mg ALA über zwei bis vier Wochen und anschließend langfristig täglich 600 mg ALA oral.

Nervenschutz durch ALA und Vitamin B1

Aufgrund der antioxidativen und nervenregenerierenden Eigenschaften hat sich Alpha-Liponsäure in der Behandlung der DSPN therapeutisch bewährt, obwohl weitere gut-designte Studien zu empfehlen sind. Eine Kombination mit dem Prodrug Benfotiamin, dass pathogene Stoffwechselwege aufgrund der hyperglykämischen Stoffwechsellage hemmt, erscheint sinnvoll.15

Literatur

1 Feldman EL et al.: New horizons in diabetic neuropathy: mechanisms, bioenergetics, and pain. Neuron 2017, 93: 1296-1313
2 Ziegler D: Thioctic acid for patients with symptomatic diabetic polyneuropathy: a critical review. Treat Endocrinol 2004, 3(3): 173-189
3 Han T et al.: A systematic review and meta-analysis of α-lipoic acid in the treatment of diabetic peripheral neuropathy. Eur J Endocrinol 2012; 167(4): 465-471
4 Agathos E et al.: Effect of alpha-lipoic acid on symptoms and quality life in patients with painful diabetic neuropathy. J Intern Med Research 2018; 46(5): 1779-1790
5 Battisti E et al.: Alpha lipoic acid and superoxid dismutase in the treatment of chronic low back pain. Eur J Phys Rehabil Med 2013, 49: 1-6
6 Ziegler D et al.: Efficacy and Safety of Antioxidant Treatment With α-Lipoic Acid Over 4 Years in Diabetic Polyneuropathy. Diabetes Care 2011 Sep, 34(9): 2054-2060
7 Khalil H et al.: Painful diabetic neuropathy management. Int J Evid Based Health 2013, 11: 77-79  
8 Reiners K et al.: Sensomotorische diabetische Neuropathien. Diabetologe 2016, 2: 92-103
9 Schreeb KH et al.: Comparative bioavailability of two vitamin B1 preparations: benfotiamine and thiamine mononitrate. Eur J Clin Pharmacol 1997, 52(4): 319-320
10 Loew D: Pharmacokinetics of thiamine derivatives especially of benfotiamine. Int J Clin Pharm Ther 1996, 34(2): 47-50
11 Hammes HP et al.: Benfotiamine blocks three major pathways of hyperglycemic damage and prevents experimental diabetic retinopathy. Nature Medicine 2003, 9: 294-299
12 Raj V et al.: Therapeutic potential of benfotiamine and its molecular targets. Eur Rev Med Pharmacol Sci 2018, 22: 3261-3273
13 Stirban A et al.: Benfotiamine Prevents Macro- and Microvascular Endothelial Dysfunction and Oxidative Stress Following a Meal Rich in Advanced Glycation End Products in Individuals With Type 2 Diabetes. Diabetes Care 2006, 29(9): 2064-2071
14 Stracke H et al.: Benfotiamine in diabetic polyneuropathy (BENDIP): results of a randomised, double blind, placebo-controlled clinical study. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2008, 116(10): 600-605
15 Du X et al.: Oral benfotiamine plus alpha-lipoic acid normalises complication-causing pathways in type 1 diabetes. Diabetologia 2008, 51: 1930-1932

 

Dr. Daniela Birkelbach
Gesellschaft für Bio­faktoren e. V. 
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