COVID-19-Infektion und Risiko für thromboembolische Komplikationen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Angiologie

In den letzten Tagen und Wochen gab es zunehmend Berichte darüber, dass bei Patienten mit einer COVID-19-Infektion das Risiko für venöse Thrombosen und Lungenembolien deutlich ansteigt.

So berichtete eine niederländische Arbeitsgruppe in einem Kollektiv von 184 COVID-19 Patienten, die intensivmedizinisch behandelt wurden und zumindest eine VTE-Prophylaxe in Standarddosierung erhielten, über eine Inzidenz thromboembolischer Komplikationen von 31%. Venöse Thromboembolien (VTE) traten hierbei in 27%, arterielle Ereignisse in 4% der Fälle auf. Dabei manifestierten sich etwa 80% der VTE-Ereignisse als Lungenembolie [1]. Eine chinesische Arbeitsgruppe berichtet über das Auftreten von venösen Thromboembolien bei intensivmedizinischen Patienten in 25% (20/81) Fällen. Die Autoren dieser Arbeit errechneten für einen D-Dimer-Cutoff von 1,5 mg/l eine Sensitivität von 85%, eine Spezifität von 89% und einen negativen prädiktiven Wert von 95% für die Vorhersage eines VTE-Ereignisses [2].  
 
Weitere Arbeiten berichten über einen stärkeren Anstieg von Gerinnungsaktivitäts-Parametern bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten als bei solchen mit nur geringen Krankheitssymptomen [3-5]. So gelten eine Verlängerung von Prothrombin-Zeit (erniedrigter Quick-Wert, erhöhter INR) und aktivierter partieller Thromboplastin-Zeit (aPTT) sowie deutlich erhöhte D-Dimere als Prädiktoren für einen tödlichen Krankheitsverlauf. Etwa 71% der Verstorbenen entwickelten während des Krankenhausaufenthaltes das Bild einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) [5]. 
 
Erstmals wurde von einer chinesischen Arbeitsgruppe an einem Kollektiv von 449 Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion nachgewiesen, dass die 28-Tage-Mortalität bei Patienten, die eine VTE-Prophylaxe mit NMH erhielten, niedriger war als bei Patienten, die keine Prophylaxe erhielten (SIC-Score ≥ 4: 40% vs. 64%, p=0,029 oder D-Dimere > 3,0 mg/l: 33% vs. 52%, p=0,017) [6]. 
 
Letztlich wird damit auch die Frage aufgeworfen, ob andere Maßstäbe bzw. Dosierungen für die Prophylaxe von venösen Thromboembolien bei Patienten mit einer COVID-19-Infektion erforderlich oder zumindest zu empfehlen sind.   
 
Nach Sichtung der aktuell zugänglichen Literatur und Expertenkonsensus-Empfehlungen [7] nehmen wir als Fachgesellschaft wie folgt Stellung zu dieser Thematik: 
 

  • Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion (SARS-CoV-2) haben ein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien. Es ist daher für alle Patienten mit gesicherter COVID-19Infektion eine Evaluation des individuellen VTE-Risikos zu fordern und die Indikation für eine medikamentöse VTE-Prophylaxe großzügig zu stellen.
  • Stationär behandelte COVID-19-Patienten sollten grundsätzlich eine medikamentöse VTE-Prophylaxe erhalten, sofern keine absoluten Kontraindikationen vorliegen. Diese wird in der Regel mit niedermolekularem Heparin (NMH) in einer Dosierung für die Hochrisikoprophylaxe durchgeführt.  Bei stark eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR < 30 ml/min) oder Nierenversagen sind anti-Xa-Spiegelkontrollen zum Ausschluss einer Kumulation oder die Gabe von unfraktioniertem Heparin (UFH) zu empfehlen.  
  • Bei Vorliegen von absoluten Kontraindikationen gegen eine medikamentöse VTEProphylaxe (z.B. schwere Thrombozytopenie, Blutungskomplikationen) wird eine Kompressionstherapie (z.B. intermittierende pneumatische Kompression) empfohlen.  
  • In der Literatur ist beschrieben, dass die D-Dimer-Spiegel mit dem Schweregrad einer COVID-19-Infektion und stark erhöhte D-Dimere mit einer schlechteren Prognose assoziiert sind. Da es Hinweise gibt, dass bei einem massiven Anstieg der D-Dimere auch das Risiko für thrombotische Komplikationen steigt, wird von einigen Expertengruppen für Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion und D-Dimeren > 1,53,0 mg/l eine intensivere VTE-Prophylaxe mit Einsatz intermediärer NMH-Dosierungen empfohlen (50-75% der volltherapeutischen Dosierung oder 2 x tägliche Prophylaxedosis).    
  • Erhöhte D-Dimere allein stellen keine Indikation für eine bildgebende Diagnostik dar. Allerdings sollte bei klinischem Verdacht auf eine venöse Thromboembolie die Indikation zu einer bildgebenden Diagnostik (Sonografie, pulmonale CT-Angiografie (CTPA)) großzügig gestellt werden. Insbesondere sollte eine Lungenembolie bei jeder akuten Verschlechterung der respiratorischen Situation von COVID-19-Patienten oder bei massiv erhöhten D-Dimeren (> 5 mg/l) in Betracht gezogen werden und in diesen Fällen frühzeitig eine CT-Diagnostik nach sich ziehen.
  • Bei stark erhöhtem VTE-Risiko (z.B. proximale Thrombose oder Lungenembolie in der Vorgeschichte, Tumorerkrankung, „high-risk“-Thrombophilie, massive Adipositas mit BMI > 35 kg/m²) kann ebenfalls eine intermediäre NMH-Dosis zur Prophylaxe erwogen werden. Spezielle Studiendaten im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion liegen nicht vor, insofern bleibt die Wahl der Dosierung eine Einzelfallentscheidung.  
  • Bei Entlassung aus dem Krankenhaus sollte eine Reevaluation des VTE-Risikos erfolgen und festgelegt werden, ob eine medikamentöse VTE-Prophylaxe nach Entlassung fortgesetzt werden soll. Bei hohem VTE-Risiko erscheint es probat, eine medikamentöse VTE-Prophylaxe noch für 1-2 Wochen nach der Entlassung fortzuführen. Der Benefit einer solchen Maßnahme ist allerdings nicht belegt.    
  • Für ambulant geführte COVID-19-Patienten gelten die allgemeinen Empfehlungen der AWMF-S3-Leitlinie zur VTE-Prophylaxe [8]. Allerdings ist auch hier die Indikation für eine medikamentöse VTE-Prophylaxe von 1-2 Wochen bei Vorliegen klassischer Risikofaktoren, Immobilisierung über mehr als 48 h und Gefahr der Dehydratation großzügig zu stellen.
  • Bei Nachweis einer venösen Thromboembolie im Zusammenhang mit einer COVID-19Infektion wird eine Therapie mit den dafür zugelassenen Medikamenten in volltherapeutischer Dosierung durchgeführt. Die Antikoagulationsdauer sollte bei risikoassoziiertem VTE-Ereignis mindestens 3 Monate betragen, bevor eine Reevaluation erfolgt.  

 
Stand der Empfehlungen: 27.04.2020. 
 
Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Monaten bei zunehmender Erfahrung mit COVID-19Infektionen eine Anpassung dieser Empfehlungen erforderlich wird.

 

Literatur:

1. Klok FA, Kruip MJHA, van der Meer NJM et al. Incidence of thrombotic complications in critically ill ICU patients with COVID-19. Thromb Res 2020; doi 10.1016/j.thromres.2020.04.013 [Epub ahead of print]
2. Cui S, Chen S, Li X et al. Prevalence of venous thromboembolism in patients with severe novel coronavirus pneumonia. J Thromb Haemost 2020; doi: 10.1111/jfh.14830 [Epub ahead of print]
3. Guan WJ, Ni ZY, Liang WH et al. Clinical characteristics of coronavirus disease 2019 in China. N Engl J Med 2020; doi: 10.1056/NEJMoa2002032 [Epub ahead of print]
4. Huang C, Wang Y, Li X et al. Clinical features of patients infected with 2019 novel coronavirus in Wuhan, China. Lancet 2020; 395: 497-506
5. Arachchillage DR, Laffan M. Abnormal coagulation parameters are associated with poor prognosis in patients with novel coronavirus pneumonia. J Thromb Haemost 2020; doi: 10.1111/jth.14820 [Epub ahead of print]
6. Tang N, Bai H, Chen X et al. Anticoagulant treatment is associated with decreased mortality in severe coronavirus disease 2019 patients with coagulopathy. J Thromb Haemost 2020; doi: 10.1111/jth.14817 [Epub ahead of print]
7. Zhai Z, Li C, Chen Y et al. Prevention and treatment of venous thromboembolism associated with coronavirus disease 2019 infection: a consensus statement before guidelines. Thromb Haemost 2020; doi: 10.1055/s-0040-1710019 [Epub ahead of print]
8. S3-Leitlinie zur Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). VASA 2016; 45 (Suppl 92): 1-88

Quelle:  Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin (DGA)