COVID-19 – Welche Rolle spielt der Biofaktor Vitamin D3?

Seit Beginn der Pandemie sind zahlreiche Studien über den potentiellen Nutzen von Vitamin D3 auf COVID-19 veröffentlicht worden. Eine optimale Versorgung mit dem Biofaktor ist wichtig für ein funktionierendes Immunsystem und kann das Risiko für eine Virusinfektion minimieren. Dennoch ist nicht eindeutig bewiesen, ob Vitamin-D3-Supplemente den Heilungsverlauf einer COVID-19-Erkrankung beschleunigen, den Infektionsverlauf abmildern oder die Sterberate senken.

Ein Vitamin-D3-Mangel kann die Anfälligkeit für virale Infektionen erhöhen, betont Prof. Hans Georg Classen, Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB). „Für Funktion und Regulierung des angeborenen und erworbenen Immunsystems ist daher eine ausreichende Vitamin-D3-Versorgung essentiell.“ 

Vitamin D3 stärkt Immunabwehr

Eine Unterversorgung mit dem Biofaktor erhöht das Risiko für immunvermittelte Störungen und Entzündungsreaktionen.1,2 Vitamin D3 kann das Infektionsrisiko vermindern und die Immunfunktion stärken, indem es die Zellen der humoralen und zellulären Abwehr aktiviert und der entzündungsfördernden Zytokine reduziert.3

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) weist in einer Stellungnahme von Dezember 2020 auf die Bedeutung einer guten Vitamin-D3-Versorgung zur Stärkung des körpereigenen Immunsystems hin. Aufgrund bisher veröffentlichter Daten stellt die DGE eine Korrelation zwischen Vitamin-D3-Mangel und der Entwicklung von akuten Atemwegsinfektionen heraus: je niedriger der Vitamin-D3-Status, desto höher das Infektionsrisiko. Zudem könnte bei einer unzureichenden Vitamin-D3-Versorgung eine Supplementation mit dem Biofaktor Vitamin D3 einen positiven Einfluss auf die Prävention von akuten Atemwegsinfektion haben. Allerdings sei diese Korrelation allein noch kein Beweis für die positive Wirkung von Vitamin-D3-Supplementen auf eine COVID-19-Infektion.4

Die Auswertung einer Metaanalyse an über 11.000 Studienteilnehmern konnte bestätigen, dass eine Vitamin-D3-Supplementierung vor akuten Atemwegsinfekten schützen kann. Dabei profitierten insbesondere Menschen mit einem nachgewiesenen Vitamin-D3-Mangel (einem 25-Hydroxy-Vitamin-D3-Serumwert unter 25 nmol/l) von der Supplementierung.5 


Ein Mangel an dem Biofaktor ist allerdings gar nicht selten: Knapp 62 % der Bevölkerung
sind nicht ausreichend mit Vitamin D3 versorgt.6


Als Ursachen werden eine verminderte Synthese oder Zufuhr sowie ein erhöhter Bedarf genannt. Vor allem ältere Menschen – bekanntermaßen Risikopatienten für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Infektion – leiden häufig unter einem Vitamin-D3-Mangel. Ab dem 60. Lebensjahr nimmt die körpereigene Vitamin-D3-Synthese ab, da Leber- und Nierenleistung sinken und der Gehalt der Vorstufe 7-Dehydrocholesterol in der Haut vermindert ist, so dass weniger aktives Vitamin D3, das Calcitriol (1,25(OH)2D3), gebildet werden kann. Auch nehmen viele Senioren alimentär zu wenig Vitamin D3 auf, sind häufig pflegebedürftig und immobil und halten sich daher seltener im Freien auf, so dass die endogene Synthese über die Haut nochmal reduziert ist.5

Vitamin-D3-Mangel weit verbreitet

„Die Vitamin-D3-Versorgung gilt als gesichert, wenn die 25-Hydroxy-Vitamin-D3-Serumkonzentration (25(OH) D) über 50 nmol/l liegt“, betonte Prof. ­Stefan Pilz, Facharzt für Endokrinologie am LKH-Universitätsklinikum Graz auf dem Online-Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB) zum Thema Zivilisationserkrankungen.7 Zur Supplementierung werden 800 bis 1.000 IE Vitamin D3 empfohlen, bei anhaltendem Mangel oder Patienten mit Resorptionsstörungen sind höhere Vitamin-D3-Dosen zur Zielwert­erreichung von oberhalb 50 nmol/l des 25-Hydroxy-Vitamin-D3 nötig“, so Prof. Pilz.

Vitamin D3 und COVID-19: Studienlage nicht eindeutig

Auch wenn belegt ist, dass der Biofaktor Vitamin D3 wichtig für ein funktionierendes Immunsystem ist und ein Mangel das Risiko für Virusinfektionen erhöhen kann, widersprechen sich die bisher publizierten Studienergebnisse im Hinblick auf den Nutzen von Vitamin D3 bei COVID-19. Eine Auswertung von 30 Studien konnte eine Korrelation zwischen Vitamin-D3-Mangel und erhöhtem Risiko für eine COVID-­19-Infektion nachweisen.9

Der Autor stellte jedoch klar, dass man mit Vitamin D3 eine COVID-19-Erkrankung nicht heilen kann, man könne aber positiv auf den Infektionsverlauf einwirken. Auch andere Studien zeigten, dass COVID-19-Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf häufiger unter Vitamin-D3-Mangel leiden als weniger schwerkranke Patienten. 
Beispielsweise war in einer Untersuchung an 91 Studienteilnehmern, deren Sars-CoV-2-Infektion symptomfrei verlief, nur ein Drittel mit Vitamin D3 unterversorgt, während bei 61 von 63 Infizierten auf Intensivstation ein Vitamin-D3-Mangel diagnostiziert wurde.10 

Allerdings sind auch Untersuchungen mit gegenteiligem Ergebnis veröffentlicht worden. Eine niederländische Studie beispielsweise fand keine Korrelation zwischen Vitamin-D3-Status und Krankheitsschwere von 135 hospitalisierten COVID-19-Patienten.11 „Ergebnisse, bei denen nicht dokumentiert ist, wie der Vitamin-D3-Status vor der Erkrankung war, sollten kritisch gesehen werden“, betonte Prof. Classen von der GfB. Ein Vitamin-D3-Mangel kann auch Folge einer COVID-19-Infektion sein, da Vitamin-D3-Spiegel bei starken Immun­reaktionen absinken.

Eine spanische Studie an 80 COVID-19-Patienten hat Vitamin-D3-Blutwerte vor der Erkrankung berücksichtigt und zeigen können, dass ein vorbestehender Vitamin-D3-Mangel – nach Anpassung an Alter, Adipositas, Herz- und Nierenerkrankungen – das Risiko für einen schweren Infektionsverlauf erhöhen kann.12

25(OH)D
in nmol/l

25(OH)D
in ng/ml

Interpretation

< 30

< 12

Mangelhafte Versorgung mit erhöhtem Risiko für Rachitis, Osteomalazie und Osteoporose.

30 bis < 50

12 bis < 20

suboptimale Versorgung

50 bis < 75

20 bis < 30

ausreichende Versorgung

75 bis< 125

30 bis < 50

Ausreichende Versorgung ohne weiteren Zusatznutzen für die Gesundheit.

≥ 125

≥ 50

Mögliche Überversorgung, die für den Körper negative gesundheitliche Folgen haben kann, zum Beispiel Hyperkalzämien, die zu Nierensteinen oder Herzrhythmusstörungen führen können.

25(OH)D ist Vorläufer des aktiven Vitamin D3 und kann in den Einheiten nmol/l oder ng/ml angegeben werden (für die Umrechnung von nmol/l in ng/ml teilt man den Wert durch 2,5). [8]

Was kann eine Vitamin-D3- Supplementierung bewirken? 

Ergebnisse reiner Beobachtungs­studien müssen jedoch mit Vorsicht bewertet werden, da Menschen mit ausreichendem Vitamin-D3-Status möglicherweise insgesamt eine gesündere Lebensweise führen, die sich in Summe auf die Schwere einer COVID-­19-Infektion auswirken könnte. Daher sind Studien interessant, in denen die Auswirkung einer Vitamin-D3-Supplementierung auf den Verlauf einer COVID-19-Infektion untersucht wurden  – auch diese mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Die im Oktober 2020 publizierte Córdoba-Studie konnte einen Nutzen einer Vitamin-D3-Gabe für COVID-­19-Patienten feststellen. 50 von 76 COVID-19-Erkrankte erhielten zusätzlich zur normalen Therapie Calciferol und nur einer musste intensivmedizinisch behandelt werden. Von den 26 aus der Kontrollgruppe war dies bei 13 Patienten der Fall und zwei Erkrankte starben.13
Allerdings litten Patienten der Kontrollgruppe zweimal häufiger an Hypertonie und dreimal häufiger an Diabetes mellitus – bekanntermaßen Risikofaktoren für einen schwereren Infektionsverlauf. Diese das positive Ergebnis einschränkende Korrelation wurde jedoch von anderen Forschern statistisch nochmal überprüft – mit dem Ergebnis, dass das geringere Risiko für eine intensivmedizinische Behandlung nicht mit den Vorerkrankungen, sondern doch mit der Vitamin-D3-Supplementierung verknüpft sei.14

Laut einer im November 2020 veröffentlichten brasilianischen Studie an 240 Patienten mit schwerem COVID-19, von denen 120 eine einmalige Vitamin-D3-Dosis von 200.000 IE erhielten, wirkte sich die Supplementierung jedoch nicht auf Klinikaufenthalt, Sterblichkeit und Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Beatmung aus.15

Auch die Fachgruppe COVRIIN am Robert Koch-Institut hat das Studienmaterial einer Vitamin-D3-Supplementierung bewertet und keine Zulassungsempfehlung erteilt: „Außerhalb von kontrollierten Studien kann bisher keine Empfehlung zur Verwendung von Vitamin D3 zur Therapie oder Prophylaxe von SARS-CoV-2-Infektionen gegeben werden“, so das offizielle Statement von COVRIIN von Januar 2021.16

Allerdings bestätigt die Fachgruppe, dass es Hinweise für ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf bei Vitamin-D3-Mangel, Hinweise auf ein reduziertes Risiko für Intensivpflichtigkeit unter Vitamin-D3-Substitution und Hinweise auf schnellere Viruselimination unter Vitamin-D3-Supplementierung bei vorliegendem Vitamin-D3-Mangel gibt.

Aufgrund der bisher veröffentlichten Ergebnisse empfiehlt COVRIIN daher eine Vitamin-D3-Substitution bei Patienten mit nachgewiesenem oder vermutetem Mangel, bei denen ein erhöhtes Risiko für COVID-19 besteht oder bereits eine COVID-­19-Erkrankung vorliegt und bei kritisch kranken Patienten eine Substitution bei nachgewiesenem Vitamin-D3-Defizit (≤ 30 nmol/l) entsprechend Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin.  

COVID-19 und Vitamin D3: Weitere Untersuchungen sind nötig

Bereits die kleine Auswahl der hier erwähnten Studien zeigt, wie unterschiedlich die Ergebnisse zu Vitamin D3 und COVID-19 sind. Viele Studien sind Beobachtungsstudien, die auf eine Korrelation hinweisen, aber einen kausalen Zusammenhang nicht belegen können.

„Für eine generelle Empfehlung einer Vitamin-D3-Supplementierung bei COVID-19 fehlt es weiterhin an gut designten Interventionsstudien“, fasste auch Prof. Classen die momentane Situation zusammen. Allerdings sollte aufgrund der positiven Wirkungen des Biofaktors auf das Immunsystem generell ein Vitamin-D3-Mangel vermieden und durch eine gezielte Supplementierung ausgeglichen werden.

Weitere Informationen zu Vitamin D3 sowie die CME-zertifizierte Fortbildung des diesjährigen Online-Symposiums der GfB zum Erwerb von Fortbildungspunkten stehen Ihnen auf der Webseite www.gf-biofaktoren.de zur Verfügung.
1 Wang et al. J Immunol 2004, 173: 2909-2912.
2 Di Rosa M et al. Imunology 2011, 134: 123-139.
3 Gombart AF et al. Nutritions 2020, 12. DOI: 10.3390/nu12010236
4 www.dge.de/presse/guter-vitamin-d-status-kann-vor-akuten-Atemwegsinfektionen-schützen 
5 Martineau AR et al. BMJ 2017 Feb, 15: 356 ff
6 Rabenberg M et al. DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-036
7 Online-Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren. „Biofaktoren – Stellenwert in der Prävention und Therapie ausgewählter Volkskrankheiten“ 14.11.2020. 
9 Biesalski HK. NFS Journal 2020 Aug, 20: 10-21.
10 Jain A et al. Scientific Reports volume 10, Article number: 20191 (2020). Published: 19 November 2020
11 Walk J et al. DOI: doi.org/10.1101/2020.11.07.20227512.
12 Macaya F et al. Nutrition Hospitalaria, 2020 Oct, 37(5): 1039-1042. 
13 Castillo ME et al. J Steroid Biochem Mol Biol 2020 Oct, 203. DOI: 10.1016/j.jsbmb.2020.105751 
14 Jungreis I, Kellis M: DOI: doi.org/10.1101/2020.11.08.20222638
15 Murai IH et al. medRxiv preprint DOI: doi.org/10.1101/2020.11.16.20232397
16 www.rki.de/COVRIIN_Dok/Therapieuebersicht/ 

Dr. Daniela Birkelbach, 
E-Mail: daniela.birkelbach@gf-biofaktoren.de