Die Rolle von Testosteron bei COVID-19

Welchen Einfluss hat das Geschlechtshormon Testosteron auf den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung? Zu dieser Frage tauschten sich Experten im Rahmen eines von der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e. V. (DGMG) organisierten „Round Tables“ aus.

Männer und Frauen erkranken zu etwa gleichen Teilen an COVID-19. „Jedoch erleiden Männer signifikant häufiger schwere Krankheitsverläufe oder versterben öfter als Frauen infolge ihrer COVID-19-Erkrankung“1,2, fasste DGMG-Präsident Prof. Dr. med. Frank Sommer zusammen. Doch was ist die Ursache für diesen offensichtlichen Geschlechterunterschied?

Bereits früh geriet das Testosteron des Mannes in den Fokus. Wenn es auch naheliegt, so ist ein möglicher Zusammenhang zwischen Testosteronwerten und COVID-19-Verläufen bei Männern noch nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht. Dahingegen ist bereits bekannt, dass niedrige Testosteronspiegel mit zahlreichen weiteren Komorbiditäten assoziiert sind. Dazu gehören beispielsweise kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und COPD.

(Männer erkranken schwerer und sterben häufiger an SARS-CoV-2.)

Alle diese Begleiterkrankungen des Testosteronmangels sind gleichzeitig auch selbst Risikofaktoren für schwere COVID-19-Verläufe.3 Auf der anderen Seite bedingen kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen häufig einen Testosteronmangel. Ein Mangel an Testosteron wiederum scheint beim Mann mit einem proinflammatorischen Status assoziiert zu sein.4,5 Jedoch bleibt nach derzeitiger Datenlage unklar, inwieweit ein schwerer COVID-19-Verlauf einen niedrigen Testosteronspiegel bedingt oder ein niedriger Testosteronspiegel schwere Krankheitsverläufe fördert.

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         

 

Niedriger Testosteronspiegel, schwerer Verlauf

Studien legen nahe, dass Männer mit einem niedrigeren Testosteron­spiegel offenbar ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe von COVID-19 aufweisen.

Studie aus den USA

Ein Forscherteam aus Missouri, USA, analysierte den Hormonspiegel von 90 Männern und 62 Frauen, welche aufgrund von COVID-19 ins Krankenhaus eingewiesen werden mussten.1 Bei Frauen fanden die Forscher keine Korrelation zwischen den Hormonspiegeln und der Schwere der Erkrankung. Bei Männern war der Testosteronspiegel mit dem Schweregrad von COVID-19 assoziiert.

65–85 % niedrigere Testosteronwerte bei schwerem COVID-19-Verlauf

Bei der Krankenhausaufnahme hatten Männer mit schwerem COVID-19-Verlauf einen durchschnittlichen Testosteron­spiegel von 53 ng/dl. Männer mit weniger schwerer Krankheit hatten durchschnitt­liche Werte von 151 ng/dl. Am dritten Tag betrug der durchschnittliche Testosteronspiegel der schwerstkranken Männer nur noch 19 ng/dl. Zudem korrelierte der Testosteronspiegel mit der Schwere der Krankheit. Männer mit niedrigen Testosteronspiegeln mussten häufiger auf der Intensivstation behandelt und beatmet werden und hatten ein erhöhtes Risiko infolge von COVID-19 zu sterben.

Studie aus Mailand 

Auch auf dem Kongress der European Association of Urology (EAU) 2021 stand das Thema im Fokus und es wurde eine Studie aus Mailand vorsgestellt.2 Die Forschenden verglichen bei 286 männlichen COVID-19-Patienten und 305 gesunden männlichen Freiwilligen die Testosteronspiegel. Fast 90 % der Patienten hatten einen Testosteronspiegel von unter 9,2 nmol/l, verglichen mit nur 17 % der gesunden Freiwilligen. Darüber hinaus lagen auch die Testosteronspiegel der Patienten mit durchschnittlich etwa 2,5 nmol/l deutlich unter dem Schwellenwert. Diejenigen Patienten, die leichte Symptome aufwiesen oder ins Krankenhaus eingeliefert wurden, hatten etwas höhere Testosteronspiegel (zwischen 3–4 nmol/l) als diejenigen, die auf die Intensivstation eingeliefert wurden oder an der Krankheit starben (nur 0,7–1,0 nmol/l). Auch unter Berücksichtigung von Alter, Vorerkrankungen und BMI waren die Unterschiede in den Hormonprofilen und den klinischen Ergebnissen noch deutlich. Da den Forschenden keine Daten  der Patienten vor der Ansteckung mit SARS-CoV-2 vorliegen, können sie nicht sagen, ob die niedrigen Testosteronspiegel die Ursache oder nur ein Symptom eines schweren COVID-19-Verlaufs sind. Andere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass einige Rezeptoren für das Virus mit männlichen Hormonen in Zusammenhang stehen und dass das Virus die Anzahl der Leydig-Zellen im Körper reduziert, die Testosteron produzieren. Weitere Studien sollen nun die Zusammenhänge von Testosteron und COVID-19 klären.

Ursache oder Symptom?

Da den Forschenden keine Daten  der Patienten vor der Ansteckung mit SARS-CoV-2 vorliegen, können sie nicht sagen, ob die niedrigen Testosteronspiegel die Ursache oder nur ein Symptom eines schweren COVID-19-Verlaufs sind. Andere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass einige Rezeptoren für das Virus mit männlichen Hormonen in Zusammenhang stehen und dass das Virus die Anzahl der Leydig-Zellen im Körper reduziert, die Testosteron produzieren. Weitere Studien sollen nun die Zusammenhänge von Testosteron und COVID-19 klären.

dal

1 Dhindsa S. et al. JAMA Netw Open. 20213;4(5):e2111398.

2 Andrology. 2021 Feb 26;10.1111/andr.12993.

Quelle: Washington University School of Medicine in St. Louis, USA; European Association of Urology (EAU)

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         

 

Niedriger Testosteronspiegel bei Intensivpatienten

Eine kleine Beobachtungsstudie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zeigte indes erstmals, dass Männer mit schwerem COVID-19-Verlauf deutlich häufiger unter einem Testosteronmangel leiden könnten.6 Die Ergebnisse im Detail: Etwa ein Fünftel der in der aktuellen Pandemie intensivmedizinisch behandelten Männer (n = 39) litt unter koronarer Herzkrankheit (KHK), 31 % an einem Diabetes mellitus sowie weitere 31 % unter extremem Übergewicht, mit einem BMI > 30 kg/m2.6

Neben diesen metabolischen Störungen wurde in einigen Fällen auch ein Ungleichgewicht im Verhältnis von Testosteron zu Estradiol gemessen.6 Außerdem schienen die Männer mit schwerem COVID-19-Verlauf und intensivmedizinischer Betreuung am UKE Hamburg häufiger an einem Testosteronmangel zu leiden.6


Fazit der Experten

Im Ergebnis einigte sich die Expertenrunde darauf, dass:

  • Männer schwerer erkranken und häufiger an COVID-19 versterben.
  • Männer mit niedrigen Testosteronspiegeln schwerere Verläufe der COVID-19-Erkrankung erleiden.
  • Männer mit Übergewicht zeitgleich häufiger an einem Testosteronmangel leiden und daher ebenfalls vermehrt schwerer an COVID-19 erkranken. Das Übergewicht bedingt bei diesen Männern sehr wahrscheinlich einen funktionellen Hypogonadismus. Dieser wiederum begünstigt einen schwereren COVID-19-Verlauf, so die Hypothese der Experten.

Literatur

1 Papadopoulos V et al. Andrology 2021; 9(1): 65-72.
2 Pradhan A, Olsson PE.Biol Sex Differ 2020; 18: 53.
3 Zarotsky V et al. Andrology 2014; 2: 819–834.
4 Rastrelli G et al. Andrology 2021; 9(1): 88–98.
5 Malkin CJ et al. J Clin Endocrinol Metab 2004; 89(7): 3313–3318.
6 Schroeder M et al. medRxiv 2020: p.2020.05.07.20073817.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit e. V.