Post-COVID-Syndrom – Erkennen, beraten und behandeln!

Etwa 5-10% der COVID-Erkrankten scheinen von länger anhaltenden Krankheitssymptomen im Sinne eines Post-COVID-Syndroms betroffen zu sein. Hier einige Hinweise für die Praxis.

Bis Mitte Februar hatten sich in Deutschland laut RKI über 10 Millionen Menschen mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert. Häufiger und ausgeprägter als bei anderen Viruserkrankungen bewirkt dieses Virus eine dysfunktionale Aktivierung des Immun- und Gerinnungssystems. Neben einer akuten COVID-19-Erkrankung können länger anhaltende Krankheitssymptome im Sinne eines Post-COVID-Syndroms die Folge sein.

Etwa 5-10% der Infizierten scheinen hiervon betroffen zu sein.1 Das Post-COVID-Syndrom stellt somit in den nächsten Jahren eine besondere Herausforderung für die ärztliche Praxis dar. Deshalb sollen im folgenden Artikel einige Hinweise für die Praxis erläutert werden.

Was genau ist Post-COVID und wie erfolgt die Diagnose?

Eine verbindliche Definition von Post-COVID durch die WHO gibt es erst seit Oktober 2021.

WHO-Definition Post-COVID2

„Post-COVID-19 ist ein Zustand, der bei Personen in der Regel bis zu 3 Monate nach vermutlicher oder bestätigter Infektion mit SARS-CoV-2 mit Symptomen auftritt, die mindestens über die Dauer von 2 Monaten anhalten und nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden können. Zu den typischen Symptomen zählen Fatigue, Luftnot, kognitive Einschränkungen, aber auch andere Symptome; diese haben einen Einfluss auf die tägliche Alltagsfunktionsfähigkeit. Die Symptome können nach einer zunächst stattgehabten Genesung neu auftreten oder nach der Akutinfektion fortbestehen und in ihrer Intensität fluktuieren oder auch wiederholt auftreten.“

 

Die Diagnose wird anhand der Symptomatik im Verlauf nach einer COVID-Infektion gestellt. Es gibt keinen Labortest und keine Bildgebung, mit der man ein Post-COVID-Syndrom nachweisen könnte. Die prozentuale Symptomatikverteilung einer COVID-19-Erkrankung wurde bereits anhand einer Metaanalyse mit über 50.000 Patientinnen und Patienten erhoben3 und ist in folgender Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1
 Post-COVID-SymptomatikenAnteil Post-COVID-SymptomatikenAnteil

Müdigkeit

58%

Geschmacksverlust

23 %

Kopfschmerzen

44%

Anosmie

21 %

Aufmerksamkeitsstörung

27%

Polypnoe

21 %

Haarausfall 

25%

Husten

19 %

Dyspnoe

24%

Gelenkschmerzen

19 %

 

Zur Basisdiagnostik empfiehlt die S1-Leitlinie1 (im Juli 2021 noch unter der Bezeichnung Long COVID-Syndrom erschienen, die nächste Aktualisierung erscheint voraussichtlich Juli 2022) nach der Anamnese und klinischen Untersuchung:

  • Messung von: Blutdruck, Herzfrequenz, Temperatur, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung
  • Laboruntersuchung: BB, CRP, Kreatinin, Harnstoff, Transaminasen, TSH, Urin-Stix (fakultativ: CK, Troponin, Ferritin, D-Dimere, NT-proBNP, ggf. Autoantikörper
  • Screening-Fragen zu: Fatigue, anhaltender körperlicher Erschöpfung, Schmerzen, kognitiven Störungen, depressiven Verstimmungen und Angstsymptomen.

Aufgabe der Basisdiagnostik ist es vor allem, andere Differentialdiagnosen oder eine aus der COVID-Infektion resultierende Organpathologie als Ursache der Beschwerden zu identifizieren.

Beratung und klinisches Vorgehen

Nach der Basisdiagnostik sollte den Betroffenen zunächst ein abwartendes Vorgehen unter primärärztlicher Behandlung mit den u. g. Maßnahmen empfohlen werden.1 Bei Warnhinweisen in der Basisdiagnostik sowie einer klinischen Verschlechterung sollte eine vertiefende Diagnostik und/oder eine Überweisung an den Organspezialisten bzw. eine Post-COVID-Ambulanz angeboten werden.

Als Warnhinweise gelten ein schlechter Allgemeinzustand, eine signifikante Gewichtsabnahme, unerklärliche oder neu aufgetretene neurologische Defizite/Auffälligkeiten, neue Schmerzsymptomatik, sich verschlechternde somatische oder psychische Befunde.

Individuelle ärztliche Beratung

Der individuellen ärztlichen Beratung mit der Möglichkeit, Rückfragen zu stellen kommt ein besonderer Stellenwert zu. Diese wird von den allermeisten Betroffenen als Orientierungshilfe in der COVID-Informationsflut dankbar angenommen. Wichtig ist es, die Beschwerden ernst zu nehmen und ihre Glaubwürdigkeit zu versichern.

Hierbei sind folgende Punkte wichtig zu vermitteln:

  • Beim Post-COVID-Syndrom handelt es sich um ein häufiges Phänomen, das auch als Folgezustand anderer Viruserkrankungen bekannt ist, sodass auf dieser Erfahrung aufgebaut werden kann – auch wenn spezielle Aspekte in Bezug auf das SARS-CoV-2-Virus noch erforscht werden müssen.
  • Die Symptomatik ist nicht bedrohlich, sie ist z. B. kein Hinweis auf ein drohendes Rezidiv einer schweren COVID-19-Erkrankung.
  • Die Beobachtungen aus den letzten 1 ½ Jahren und auch die Erfahrungen nach anderen Viruserkrankungen zeigen, dass sich die Symptomatik bei der Mehrzahl der Betroffenen langsam zurückbildet.
  • Auch wenn kein kausaler Behandlungsansatz zur Verfügung steht, gibt es effektive Maßnahmen, um den Verlauf günstig zu beeinflussen.
  • Wichtig ist, die Erkrankung mit den damit verbundenen Einschränkungen zu akzeptieren, dabei aber einen möglichst aktiven Lebensstil beizubehalten und ein an die eigenen Belastungsgrenzen angepasstes Ausdauertraining durchzuführen.

Multifunktionale Behandlungsmöglichkeiten

Fatigue

Bei Fatigue gehört moderates, an die eigenen Belastungsgrenzen angepasstes Ausdauertraining zu den effektivsten Behandlungsmöglichkeiten; dies ist beispielsweise bereits bewährt im Rahmen einer Tumorerkrankung oder eines Fibromyalgiesyndroms. Inzwischen konnte in ersten Studien gezeigt werden, dass sich Ausdauertraining auch beim Post-COVID-Syndrom günstig auf Fatigue, Dyspnoe und Leistungsfähigkeit4 sowie psychische Symptome wie Angst5 auswirkt.

Konzentrationsstörungen und andere kognitive Defizite

Über 25% der Post-COVID-Patienten leiden an relevanten Konzentrationsstörungen und kognitiven Defiziten. Diese können bei einer orientierenden neurologischen Untersuchung schnell unterschätzt werden. Gerade bei kognitiv anspruchsvollen Berufen kann es zu massiven Beeinträchtigungen kommen. Deshalb sollten entsprechende Äußerungen ernst genommen und im Zweifelsfall neurologisch abgeklärt werden. Zur Therapie ist kognitives Training, möglichst 2x 30-45 Minuten /Woche, mindestens 10-15 Sitzungen gesamt, indiziert. Dies wird sowohl in ergotherapeutischen als auch in neuropsychologischen Praxen angeboten.

Zu kognitivem Training siehe auch:
www.neuronation.com

 

Dyspnoe

Bei Hyperventilation und anderen dysfunktionalen Atemmustern als Ursache der Dyspnoe im Rahmen eines Post-COVID-Syndroms ist zunächst die Vermittlung atemberuhigender Techniken sinnvoll (z. B. 4-7-11-Technik). Sollte dies nicht ausreichen, ist Atemtherapie in einer hierfür qualifizierten physiotherapeutischen Praxis indiziert.

Zur 4-7-11-Technik siehe auch:
www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/stress/richtig-atmen-atemuebungen-fuer-mehr-ruhe-und-entspannung

 

Komorbide Depression und Angsstörungen

Psychotherapie kann auch bei der Bewältigung einer chronischen körperlichen Erkrankung hilfreich sein. Beim Post-COVID-Syndrom können z. B. Techniken aus der Akzeptanz und Commitment Therapie (ACT)6 Patienten bei der Adaptation an die oft für längere Zeit eingeschränkte Belastbarkeit unterstützen. Hinzu kommt, dass bei Patienten mit Post-COVID-Syndrom komorbide Depression und Angststörungen oder eine posttraumatische Belastungsstörung nach längerem ITS-Aufenthalt und Beatmung eine Psychotherapie-Indikation darstellen.

Rehabilitation nach einer COVID-19-Erkrankung

Eine teilstationäre oder stationäre Rehabilitation sollte beantragt werden, wenn nach einer COVID-19-Infektion längerfristige relevante Beeinträchtigungen bestehen, die der multimodalen ärztlichen und therapeutischen Behandlung bedürfen.1

Die Indikation zur Rehabilitation ist v.a. dann zu stellen, wenn länger dauernde Arbeitsunfähigkeit (> 6 Wochen) besteht oder es den Betroffenen nicht mehr gelingt, ihren Alltag zu strukturieren. Wenn noch eine relevante COVID-19 bedingte Organschädigung besteht, ist primär eine Rehabilitation in der entsprechenden Fachrichtung (meist Pulmologie, Neurologie oder Kardiologie) indiziert.

Aufgrund der häufigen psychischen Komorbidität sollte eine entsprechende Mitbetreuung gewährleistet sein, wie z. B. in der verhaltensmedizinisch orientierten Rehabilitation (VOR). Ansonsten ist eine psychosomatische Rehabilitation sinnvoll, wobei die Klinik internistische Diagnostik und Mitbehandlung ebenso anbieten sollte, wie Bewegungstherapie, Atemtherapie und kognitives Training.

Als Erstdiagnose sollte im ärztlichen Befundbericht zum Rehaantrag die ICD-10-GM-Ziffer für Post COVID (U09.9!) angegeben werden, damit eine Rehabilitationsklinik mit einem spezifischen Behandlungskonzept ausgewählt werden kann.

Weitere Informationen:
In unserer April-Ausgabe wird ein ausführlicher CME-Beitrag zum Post-COVID-Syndrom erscheinen.

 

Autor: Prof. Volker Köllner

Korrespondenzadresse: volker.koellner@charite.de

Onlinefassung: Julian Aldinger

Literatur:

1 Koczulla AR, Ankermann T, Behrends U et al. S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID. AWMF online 2021. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-027l_S1_Post_COVID_Long_COVID_2021-07.pdf

2 WHO. A clinical case definition of post COVID-19 condition by a Delphi consensus, 6 October 2021

3 Lopez-Leon S Scientific Reports (2021). DOI: 10.1038/s41598-021-95565-8

4 Daynes E et al. Chronic Respiratory Disease (2021). DOI: 10.1177/14799731211015691

5 Liu K et al. Complementary Therapies in Clinical Practice (2020). DOI: 10.1016/j.ctcp.2020.101166

6 Schroth S, Köllner V. Ärztliche Psychotherapie (2020). DOI: 10.21706/aep-15-3