Von der Fledermaus zum Pandemie-Auslöser

Der Austausch einer Aminosäure lässt das Fledermaus-Coronavirus RaTG13 mit menschlichen Zellen interagieren.

Der Verursacher der COVID-19-Pandemie, SARS-CoV-2, wurde höchstwahrscheinlich direkt oder über einen Zwischenwirt von Fledermäusen auf den Menschen übertragen. Das Virus konnte sich so rasch in der menschlichen Bevölkerung ausbreiten, weil es menschliche Lungenzellen effektiv infiziert. Das Fledermaus-Virus RaTG13 ist dabei zwar ein naher Verwandter von SARS-CoV-2, doch anders als der Verursacher der COVID-19-Pandemie kann RaTG13 nur schlecht an menschliche Zellen andocken.

Eine als Preprint vorab-veröffentlichte Studie des Universitätsklinikums Ulm hat gezeigt, dass der Austausch einer einzigen Aminosäure im Spike-Protein dieses Fledermaus-Coronavirus ausreicht, damit es ähnlich wie SARS-CoV-2 über den ACE2-Rezeptor an menschliche Zellen binden kann.

Für die Übertragung reicht der Austausch einer einzigen Aminosäure aus

Welche Eigenschaften es Fledermausviren ermöglichen, auf den Menschen überzuspringen, ist derzeit noch wenig verstanden. Bekannt ist, dass SARS-CoV-2 mit seinem Spike-Protein am ACE2-Rezeptor menschlicher Zellen andocken und dadurch in die Zellen eindringen kann.

Ein Forschungsteam um den Ulmer Virologen Prof. Frank Kirchhoff hat nun gezeigt, dass der Austausch einer einzigen Aminosäure im Spike-Protein des Fledermaus-Virus RaTG13 ausreicht, damit dieses Protein über den ACE2-Rezeptor an menschliche Zellen andocken und zu deren Infektion führen kann. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im renommierten Fachjournal Nature Communications.

„Die gezielte Mutation einer Aminosäure im Spike-Protein des RaTG13, genauer gesagt an Position 403, erlaubt es diesem Fledermaus-Coronavirus, am selben Rezeptor anzudocken wie SARS-CoV-2: dem humanen ACE2-Rezeptor“, erklärt Kirchhoff, Leiter des Instituts für Molekulare Virologie am Universitätsklinikum Ulm.

Das Forschungsteam konnte außerdem den grundlegenden Mechanismus aufzeigen, der erklärt, wieso der ACE2-Rezeptor auf das modifizierte Spike-Protein plötzlich eine so anziehende Wirkung entfaltet: „Die ausgetauschte Aminosäure im Spike-Protein des Virus ist positiv geladen und interagiert mit einer negativ geladenen Aminosäure im humanen ACE2-Rezeptor-Molekül“, so Fabian Zech, Erstautor der Studie und Doktorand am Institut für Molekulare Virologie.

Rückgriff auf interdisziplinäre Methoden

Die wissenschaftliche Arbeit ist ein perfektes Beispiel für das interdisziplinäre Zusammenspiel von experimenteller Laborarbeit und theoretischer Computer-Modellierung. Auf der einen Seite haben die Ulmer Virusforscher und -forscherinnen durch die gezielte Erzeugung von Mutationen (Mutagenese) das Spike-Protein des Virus in seiner Aminosäuren-Zusammensetzung verändert.

Auf der anderen Seite halfen computergestützte Modellierungen dabei, Proteinstrukturen und Protein-Protein-Interaktionen aufzuklären. Diese wurden von Dr. Christoph Jung aus dem Institut für Elektrochemie der Universität Ulm von Prof. Timo Jacob durchgeführt.

Dabei kamen sogenannte reaktive Kraftfeldmethoden zum Einsatz, mit deren Hilfe Einblicke in die physikochemischen Eigenschaften und Wechselwirkungsenergien gewonnen werden können.

Die umgekehrte Mutation macht SARS-CoV-2 weniger infektiös

Die Ulmer Virologen und Virologinnen habe es in dieser wissenschaftlichen Arbeit nicht nur geschafft, das Spike-Protein des Fledermaus-Coronavirus RaTG13 mit gentechnischen Eingriffen in die Lage zu versetzen, menschliche Zellen zu infizieren.

Sie konnten auch nachweisen, dass eine umgekehrte Mutation bei SARS-CoV-2 (R403T) den Pandemie-Erreger schwächt und eine Virusinfektion der menschlichen Zellen reduziert. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die positiv geladene Aminosäure wichtig für die hohe Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 ist.

Das Forschungsprojekt hat aufgezeigt, welche Eigenschaften von Coronaviren entscheidend dafür sind, dass diese als Zoonosen auf den Menschen überspringen können. Die Ergebnisse tragen somit dazu bei, das Risiko zukünftiger viraler Pandemien besser abschätzen zu können.

SARS-CoV-2-Impfung könnte zukünftige Zoonosen verhindern

Ein weiterer Aspekt macht die Studie interessant: Die Forschenden haben außerdem untersucht, ob aktuelle Impfungen gegen SARS-CoV-2 vor nahe verwandten Fledermaus-Viren und damit vor zukünftigen Zoonosen schützen können.

Das Ergebnis: „Die Seren von Personen, die gegen COVID-19 geimpft wurden, konnten das Fledermaus-Virus effektiv unschädlich machen. Die SARS-CoV-2-Impfung könnte also helfen, ein zukünftiges Überspringen solcher viralen Erreger auf den Menschen zu verhindern“, so die Forschenden.

Beteiligt an diesem Forschungsprojekt des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie waren Virusforscher und Infektionsbiologen aus Erlangen-Nürnberg, München und Göttingen sowie weitere Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Elektrochemie, der Inneren Medizin und Medizinischen Mikrobiologie. Unterstützt wurde die Studie – die als Preprint bereits veröffentlicht wurde und auf großes Interesse stieß – von der DFG (u.a. aus dem Heisenberg-Programm), vom BMBF, vom Freistaat Bayern und der Internationalen Graduiertenschule für Molekulare Medizin (IGradU) der Universität Ulm.

Literatur:

Zech F et al. Nature Communications (2021). DOI: 10.1038/s41467-021-27180-0

Quelle: Universität Ulm