Ärztlicher Beruf zwischen Ökonomie und Menschlichkeit

Erlauben Sie mir einen ganz persönlichen Blick auf Veränderungen im ärztlichen Beruf, wie ich sie in 40 Jahren erlebt habe. Was sind die Konsequenzen?

In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es kaum Kliniken, die schwarze Zahlen schrieben. Das Personal war zufrieden und wurde gut bezahlt. Im ambulanten Sektor wagten sehr wenige Kolleginnen und Kollegen den Schritt in eine Gemeinschaftspraxis, auch wenn dort Investitionen und Arbeitszeiten besser planbar waren. Angestellte Tätigkeit im ambulanten Sektor war nach SGB V nur beschränkt umsetzbar.

Heute müssen viele Krankenhäuser um den Fortbestand bangen. Kleinere Häuser existieren nicht mehr oder sind in einem Krankenhausverbund aufgegangen. Aus den nunmehr oft privaten Trägern entwickelten sich Krankenhauskonzerne, deren Hauptziel es ist, eine nicht unbeträchtliche Rendite zu erwirtschaften. Einzelpraxen sind Auslaufmodelle, nicht nur, weil es inzwischen die Option der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gibt, sondern auch, weil der ärztliche Nachwuchs mehr Wert auf Privatleben legt und das Gefühl besteht, dass Arbeitsteilung im MVZ besser möglich ist.

Praxiskauf wird schwerer

Seit etwa 40 Jahren geht es mehr und mehr um Renditeerwartungen. Auch Teilbereiche im ambulanten Sektor – meist operativ/technisch – lassen auf einen guten Umsatz hoffen. Die MVZs in diesen Fachbereichen wurden größer und konnten dann nicht mehr von einzelnen Kolleginnen und Kollegen erworben werden. Hedgefonds beteiligen sich nun an diesen lukrativen Praxen. Ihr Ziel: Finanzoptimierung.

Gute Technik ist heute unerlässlich, verteuert aber die Ausstattung einer Praxis. Operationen entwickelten sich zu optimierten Einnahmequellen. Je kränker jemand – zumindest auf dem Papier – ist, umso besser ist die Honorierung für die Behandlung durch die Krankenkassen.

Ärztinnen und Ärzte wollen vor allem helfen

Auch wenn für einige von uns die Wissenschaftlichkeit im Fokus steht, haben die meisten den Beruf als Ärztin oder als Arzt gewählt, weil sie kranken Menschen helfen wollen. Technik – diagnostisch und operativ – soll der Unterstützung dienen. Die Arzt-Patient-Beziehung steht auch für die meisten der Studierenden im Mittelpunkt, aber auch sie lernen früh, dass es keine Zeit für lange Gespräche gibt. Und sie lernen abzuschätzen, welche Operationen für das Haus/für die Praxis sinnvoll sind. Bewertung nach DRGs und DMPs sind alltäglich.

Aber auch das gehört zum Alltag: Das Gefühl des Ausgebranntseins bei zu wenig Personal, das Gefühl des Ausgenutztseins, wenn Verwaltungen mit Zahlen statt mit Kranken argumentieren, das Gefühl des Unverständnisses gegenüber der immer weiter steigenden Erwartungshaltung der Gesellschaft, das Gefühl der Hilflosigkeit und oft des Alleingelassenseins bei schweren Krankheitsverläufen.

Viele Verbesserungsvorschläge

Kann man sich nur noch dadurch schützen, dass der ärztliche Beruf von der Berufung zum Job wie jeder andere wird? Nein, das glaube ich nicht, denn genau da, wo das jetzige System an vielen Stellen inhuman erscheint, setzen die Forderungen von Ärzteverbänden, Ärztetagen und Kammerversammlungen an. Forderungen nach besserer Bewertung der sprechenden Medizin, Aufwertung der hausärztlichen Tätigkeit, Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes, strikter Einhaltung von Personaluntergrenzen, Abschaffung der DRGs sind nur einige Ansatzpunkte und an der einen oder anderen Stelle sind Veränderungen spürbar. Hinzukommen muss aber, dass jede und jeder lernt, die eigenen Belastungsgrenzen frühzeitig zu erkennen und sich zu melden. Wenn die Gesellschaft dies dann noch akzeptiert, sind wir einen großen Schritt weiter.

Die nächste Ärzte-Generation wird sich ebenso von der jetzigen unterscheiden, wie die jetzige von ihren Vorgängern. Gleich bleibt aber: Sie sind Helfer. Helfer sehen immer noch die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt des Geschehens. Und solange es Helfer gibt, solange bleibt Menschlichkeit ein Faktor im Gesundheitssystem auf den wir setzen können.

Dr. Christiane Groß M.A.
Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes

„Mir liegt die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen am Herzen aber auch die Erhaltung eines Gesundheitssystems, in dem sowohl der Mensch als auch die ärztliche Freiberuflichkeit im Mittelpunkt steht. Menschlichkeit heißt auch in selbständiger Praxis Privatleben und Beruf zu vereinbaren. Renditeerwirtschaftung durch Hedgefonds und Aktiengesellschaften und Rosinenpickerei bei gut honorierten Einzelleistungen stehen für mich im Widerspruch zu einem solidarisch finanzierten System."

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