Klinische Probleme bei Diagnose und Behandlung von Gesichtsschmerzen

Das Problem bei Gesichtsschmerzen ist, dass sich verschiedene anatomische Strukturen überlappen und dadurch auch unterschiedliche Fachdisziplinen an Diagnostik und Therapie beteiligt sind. Anatomisch umfasst dies die knöchernen Strukturen des Gesichtsschädels, die Kiefergelenke, Kiefer, Zähne, Kaumuskulatur, Nasennebenhöhlen, Augen und die mimische Muskulatur. Die Innervation erfolgt durch mehrere Hirnnerven. Für die Schmerzen ist der Trigeminusnerv mit seinen Ästen am wichtigsten, er ist auch für die Pathophysiologie der Kopfschmerzen sehr relevant. Auch das vegetative Nervensystem ist im Gesicht bedeutsam, so z. B. bei Augentränen und Naselaufen beim Clusterkopfschmerz oder das Blasswerden beim Migräneanfall. Kopfschmerzsyndrome wie eine Migräne oder ein Clusterkopfschmerz können ins Gesicht ausstrahlen, selten sogar ihren Hauptschmerz im Gesicht haben.

Fachgebiete wie Zahnärzte, Hals­-Nasen-Ohren-Ärzte, Augen­ärzte und Neurologen werden mit unterschiedlichsten Gesichtsschmerz Syndromen konfrontiert. Patienten suchen den Arzt auf, der ihnen von der Schmerzlokalisation am ehesten zuständig erscheint – dies muss nicht derjenige sein, in dessen Fachgebiet sich die Pathologie tatsächlich abspielt. So kommt es zum Beispiel bei der Manifestation einer Migräne im Gesicht mit pulsierendem Zahnschmerz, begleitet von Übelkeit – dann ist der Zahnarzt in der Regel nicht der primäre Ansprechpartner. Die zahnärztlichen Kollegen führen dann Diagnostik durch, finden keine Auffälligkeiten an den Zähnen, der Patient bleibt unter Umständen ratlos zurück oder drängt auf eine Behandlung, die möglicherweise schadet und keine Verbesserung der Symptomatik erbringt. Zum anderen treffen unterschiedlichste Schmerz­charakteristika im Gesicht auf. Es wird der „typische“ Gesichtsschmerz, die Trigeminusneuralgie von anhaltenden idiopathischen Gesichts­schmerzen unterschieden. Zusätzlich gibt es eine ganze Reihe von sekundären Gesichtsschmerzen, bei denen eine zugrunde liegende Pathologie für den Schmerz verantwortlich ist.

Wie kann in dieser komplexen Situation eine erfolgreiche Therapie gelingen?

Dr. Gaul: Es wird also klar, dass eine fachübergreifende, interdisziplinäre Diagnostik hohe Bedeutung hat. Die Fäden hierfür laufen beim Hausarzt und meist beim Neurologen zusammen. Es ist wichtig, dass alle Befunde beim Hauptbehandler zur Verfügung stehen, damit er den Überblick behält und dem ­Patienten weitere diagnostische oder therapeutische Schritte auch erläutern kann.

Welche Rolle spielt die Psyche bei Gesichtsschmerzen?

Dr. Gaul: Das Gesicht ist ein wesentliches Organ für unseren emotionalen Ausdruck, wir kommunizieren mit der Mimik, unsere Gefühle werden im Gesicht erkennbar, der Weg von der Emotion zum Ausdruck ist hier kurz – Gesichtsschmerzen gehen vielleicht auch deshalb mit sehr hohem Leidensdruck und bei Chronifizierung fast regelhaft mit psychischer Komorbidität einher. Frühzeitig sollte dies mit in die Diagnostik z. B. durch Screeningfrage­bögen für Depression, Angst und Beeinträchtigung der Lebensqualität sowie in die Therapie in Form von psychotherapeutischer Unterstützung oder antidepressive Medikation mit einbezogen werden.

Die Trigeminusneuralgie gilt als der typische Gesichtsschmerz – wie macht sie sich bemerkbar?

Dr. Gaul: Typisch für die Trigeminusneuralgie sind elektrisierende, einschießende Schmerzen, die spontan auftreten aber ins­besondere durch Berührung im Gesicht, Kauen, Sprechen, Zähneputzen oder Rasieren getriggert werden, wenn sie den 2. (Unterkieferast) und/oder den 3. Ast (Unterkieferast) des Nervus trigeminus betreffen. Eine Trigeminusneuralgie im 1. Ast (Stirnast) ist vergleichsweise selten. Die Schmerzen dauern nur Sekunden an, können aber vielfach am Tag auftreten. Die Attacken selbst treten relativ uniform in ­gleicher Weise auf, auch zwei benachbarte Äste des Nervus trigeminus können beteiligt sein. Wenn der Schmerz im Gesicht quasi „hin und her springt“, die Etage und die Seite wechselt, ist eine Trigeminusneuralgie eher unwahrscheinlich.

Können sich auch in einer Trigeminusneuralgie andere Pathologien verbergen? Wie erfolgt die Behandlung?

Dr. Gaul: Bei der Trigeminus­neuralgie können Zahnpathologien durchaus eine Ursache darstellen, bei einer Trigeminusneuralgie im 2. oder 3. Ast sollte deshalb eine zahnärztliche Untersuchung mit Orthopantomogramm (Übersichtsröntgenaufnahme) von Zähnen und Gebiss erfolgen. Die häufigste Ursache der klassischen Trigeminusneuralgie ist die Kompression des N. trigeminus durch ein Gefäß im Bereich des Hirnstammes, die Gefäßpulsation schädigt dabei den Nerv und kann zu überspringenden (ephaptischen) Erregungen zwischen sensiblen und Schmerzfasern führen. Die Therapie mit Carbamazepin und anderen Medikamenten reduziert dann die elektrische Erregbarkeit des Nervens und kann die Schmerzattacken so reduzieren. Sollte die Symptomatik sich medikamentös nicht kontrollieren lassen, kann auch operativ eine Polsterung zwischen Nerven und Gefäß eingebracht werden (mikrovaskuläre Dekompressionsoperation nach Jannetta). Bei einer multiplen Sklerose kann es ebenfalls zur Trigeminus­neuralgie (sekundär) kommen, meist bestehen dann entzündliche Herde im Bereich des Austritts des Nerven aus dem Hirnstamm.

Wie unterscheidet sich der ­„atypische Gesichtsschmerz“ von der Trigeminusneuralgie?

Dr. Gaul: Im Gegensatz zur Trigeminusneuralgie besteht beim anhaltenden idiopathischen Gesichts­schmerz, den man früher als atypischen Gesichtsschmerz bezeichnet hat, ein andauernder Schmerz, der meist diffus in der Tiefe lokalisiert ist. Frauen im mittleren Lebens­alter sind von dieser Erkrankung am häufigsten betroffen. Der Leidensdruck ist dabei ausgesprochen hoch, psychische Komorbidität tritt regelhaft auf und bedarf dringend der Mitbehandlung. Diese Patienten haben meist eine diagnostische Odyssee hinter sich, bis die korrekte Diagnose gestellt wird. Sehr bedeutsam ist es, dass bei dieser Erkrankung nach Abschluss der Dia­gnostik im Gespräch mit dem Patienten vermittelt wird, dass invasive Maßnahmen (Zahnextraktionen, Operationen der Nasennebenhöhlen u. a.) wesentliche Faktoren sind, die zur Schmerzverstärkung und Auf­rechterhaltung beitragen. Häufig lässt sich anamnestisch nicht mehr sicher klären, welche Schmerzanteile initial bestanden und welche Phänomene (z. B. Störungen der Sensibilität) durch die Therapie noch hinzukamen.

Wie wird ein anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz behandelt?

Dr. Gaul: Die Aufklärung über das Krankheitsbild und die regelmäßige Betreuung stehen im Mittelpunkt, invasive Maßnahmen sind nicht indiziert, selbst wenn Patienten diese einfordern, denn diese führen häufig zur Beschwerdezunahme. Die psychische Komorbidität muss systematisch erfasst und von Beginn an in die Therapie mit einbezogen werden. Kontrollierte Therapiestudien sind nicht verfügbar, empfohlen wird vor allem ein Therapieversuch mit dem trizyklischen Antidepressivum Amitriptylin. Bei einer erheblichen Depression sollte auch eine medikamentöse Antidepressive Therapie mit einem SSRI erwogen werden. Eine inter­disziplinäre Therapie aus ärztlichen, psychotherapeutischen, physiotherapeutischen und anderen Bestandteilen kann sehr hilfreich sein.

Vielen Dank für das Gespräch!


Das Gespräch führte Sania Voggenreiter

PD Dr. med. Charly Gaul,
Kopfschmerzzentrum Frankfurt

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