Wie steht es um die Frauengesundheit? Diabetes mellitus

Die Inzidenz und Prävalenz von Diabetes mellitus haben über die letzten Jahrzehnte in Deutschland und auch weltweit zugenommen. Ein weiterer Anstieg der Diabetesprävalenz wird auch in Deutschland erwartet.[1-3] Dies gilt insbesondere für den Typ-2-Diabetes. Eine differenzierte Betrachtung nach Geschlecht ist hierbei besonders wichtig, da sich Frauen und Männer sowohl hinsichtlich der Risikofaktoren, der Häufigkeit von Diabetes als auch des Auftretens von Diabetes-Spätfolgen unterscheiden.[4-7]

Im ersten Frauengesundheitsbericht des RKI werden umfassende Daten zum Gesundheitszustand, zum Gesundheitsverhalten und zur Gesundheitsversorgung von Frauen in Deutschland vorgestellt. Der vorliegende Beitrag ist zweite Teil einer Serie, in der wir die wichtigsten Daten zu einzelnen Krankheitsbereichen darstellen. Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse zur Frauengesundheit bezüglich Diabetes mellitus.* 

Etwas seltener als bei Männern 

In KürzeBei 7 % der Frauen und fast 9 % der Männer lag in den letzten zwölf Monaten vor der Erhebung ein bekannter Diabetes mellitus (ohne Schwangerschaftsdiabetes) vor. 

Der Anteil von Erwachsenen mit unerkanntem Diabetes in Deutschland ist bei Frauen zwischen 1998 und 2010 stärker zurückgegangen als bei Männern. 

Bei Vorliegen eines Diabetes mellitus erhöht sich bei Frauen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere auch das Risiko an einem Herzinfarkt zu versterben, stärker als bei Männern.

Diabetes tritt insgesamt bei Frauen etwas seltener auf als bei Männern. Nach den Ergebnissen der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA 2014/2015-EHIS) bestand bei 7,0 % der Frauen in Deutschland in den letzten zwölf Monaten ein bekannter Diabetes (ohne Schwangerschaftsdiabetes). Die 12-Monats-Prävalenz bei Männern betrug 8,6 %.8 Die Prävalenzen steigen mit dem Alter an und sind in der unteren Bildungsgruppe am höchsten (Abb. 1).8 

Ein Vergleich der Daten der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1, 2008 – 2011) mit den Ergebnissen der Vorgängerstudie, dem Bundes-­Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) zeigt einen deutlichen Anstieg der Lebenszeitprävalenz des bekannten Diabetes bei 18- bis 79-jährigen Erwachsenen von 5,0 % (BGS98) auf 7,2 % (DEGS1). Etwa ein Drittel dieses Anstiegs – bezogen auf beide Geschlechter – ist auf die demografische Alterung zurückzuführen.9 

Die Prävalenz des unerkannten Diabetes liegt laut DEGS1 bei Frauen (1,2 %) deutlich unter der bei Männern (2,9 %).10 Ein Grund für die höhere Entdeckungsrate bei Frauen könnte sein, dass diese bei Gesundheitsproblemen eher als Männer dazu tendieren, eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen und auch eher Früherkennungsangebote in Anspruch nehmen.11 

5-Jahres-Risiko bei Frauen geringer

Das 5-Jahres-Risiko für Typ-2-Diabetes (Diagnosewahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre) ist bei Frauen mit 0,8 % insgesamt geringer als bei Männern (1,5 %). Auch hier zeigt sich bei beiden Geschlechtern ein Zusammenhang mit dem Bildungsstatus: Frauen der unteren Bildungsgruppe haben ein höheres 5-Jahres-Risiko als Frauen der mittleren und oberen Bildungsgruppe. 

Weniger Neuerkrankungen bei Frauen

Die Häufigkeit von Neuerkrankungen (Inzidenz) an Diabetes kann aus Abrechnungsdaten oder regionalen Studien geschätzt werden.13 Die Inzidenzen bei beiden Geschlechtern steigen mit dem Alter an und liegen jenseits des 40. Lebensjahres durchweg bei Männern höher als bei Frauen.14 Vergleichbare Ergebnisse zeigt eine Analyse von Daten der gesetzlichen Krankenversicherung.15

Passend zu den Ergebnissen zum geschätzten Diabetes-5-Jahresrisiko aus den Gesundheitssurveys zeigt sich in den letzten Jahren kein Zuwachs in der Inzidenz des Typ-2-Diabetes in den Analysen der kassenärztlichen Abrechnungsdaten.31 

Von Gestationsdiabetes waren im Jahre 2017 5,9 % der Schwangeren, die ihr Kind in einer Klinik geboren haben, betroffen.16


Mehr Sterbefälle bei Frauen durch Diabetes? 

Im Jahr 2017 gab es laut Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes 13.443 Sterbefälle an Diabetes bei Frauen und 11.412 bei Männern. Dies entspricht 32,1 Sterbefällen pro 100.000 Einwohnerinnen bzw. 28,0 pro 100.000 Einwohner und insgesamt 2,7 % aller Sterbefälle in Deutschland.17 

Da in vielen Fällen nicht Diabetes, sondern eine damit assoziierte Folgeerkrankung als Todesursache dokumentiert wird, liefern diese Zahlen jedoch ein unvollständiges Bild. Eine Analyse mit Daten des BGS98 zeigt, dass die Sterblichkeit bei Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes fast doppelt so hoch ist wie bei Erwachsenen ohne Diabetes; dabei scheint das Sterberisiko für jüngere Menschen und Männer mit unerkanntem Diabetes besonders erhöht zu sein.18

Risikofaktoren 

Eine Betrachtung der Diabetes-Risikofaktoren zeigt, dass zentrale (bauchbetonte) Adipositas und Fettstoffwechselstörungen bei Frauen mit Typ-2-Diabetes häufiger sind als bei Männern.6,19 Auch gibt es Hinweise darauf, dass soziale Benachteiligung bei Frauen stärker mit Diabetes-Häufigkeit und Diabetes-Risikofaktoren im Zusammenhang steht als bei Männern.19 Biologische Unterschiede, beispielsweise im Glukose- und Fettstoffwechsel, können zu den unterschiedlichen Erkrankungshäufigkeiten und -risiken bei Diabetes beitragen.5,19

Folgeerkrankungen 

Das relative Risiko, eine koronare Herz­erkrankung zu entwickeln, ist bei Frauen mit Diabetes deutlich höher als bei Männern; der kardioprotektive Effekt einer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ist bei Diabetes deutlich abgeschwächt.19-21 Bei Frauen mit Diabetes ist zudem die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen höher, insbesondere die Prognose nach Herzinfarkt ist schlechter als bei Männern mit Diabetes.27 Als Gründe dafür werden ungünstigere Risikokonstellationen bei Frauen mit Diabetes (dies betrifft insbesondere Fettstoffwechselstörungen und zen­trale Adipositas), ein stärkerer Einfluss bestimmter Risikofaktoren bei Frauen auf die Entstehung einer koronaren Herzkrankheit sowie Unterschiede in der medizinischen Versorgung diskutiert. Auch biologische oder genetische Faktoren könnten eine Rolle spielen.6, 19, 21-24

Fazit

Deutliche Geschlechterunterschiede zugunsten der Frauen zeigen sich bei der Prävalenz des unerkannten Diabetes, einzelnen Diabetesrisikofaktoren sowie den Spätfolgen der Erkrankung.

Aus Frauenperspektive sind neben der Prävention und Nachsorge des Schwangerschaftsdiabetes25 besonders die Reduktion der Risikofaktoren wie zentrale Adipositas und Fettstoffwechselstörungen sowie die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen von Bedeutung. 

Insgesamt unterstreicht dies die Notwendigkeit eines geschlechtersensiblen Blicks in Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung.26 Neben den Geschlechterunterschieden sind vor allem Bildungsunterschiede bedeutsam.

Präventionsstrategien und Versorgungsmaßnahmen sollten alle sozialen Gruppen gleichermaßen erreichen.12


Der Bericht wurde im Rahmen der Gesundheits­berichterstattung des Bundes vom Robert Koch-Institut erarbeitet. Das Bundesministerium für Gesundheit hat hierzu den Auftrag erteilt und die Arbeit finanziell gefördert. 

Literatur

1 Scully T (2012) Diabetes in numbers. Nature 485(7398):S2–S3
2 Shaw JE, Sicree RA, Zimmet PZ (2010) Global estimates of the prevalence of diabetes for 2010 and 2030. Diabetes Res Clin Pract 87(1):4–14
3 Tönnies T, Röckl S, Hoyer A et al. (2019) Projected number of people with diagnosed Type 2 diabetes in Germany in 2040. Diabet Med 36(10):1217–1225. doi.org/10.1111/dme.13902 (Stand: 01.04.2020)
4 Kautzky-Willer A (2012) Sex and Gender Differences in Endo­crinology. In: Oertelt-Prigione S, Regitz-Zagrosek V (Hrsg) Sex and Gender Aspects in Clinical Medicine. Springer-Verlag, London, S. 125–149
5 Regitz-Zagrosek V (2017) Geschlecht und Herz-Kreislauf- Erkrankungen. Warum wir Geendermedizin brauchen. Inter­nist 58(4):336–343
6 Du Y, Baumert J, Paprott R et al. (2019) Gender differences in cardiovascular risk profiles and diabetes care among adults with type 2 diabetes in Germany. Diabetes Metab 45(2):204– 206
7 Meisinger C, Thorand B, Schneider A et al. (2002) Sex Dif­ferences in Risk Factors for Incident Type 2 Diabetes Melli­tus: The MONICA Augsburg Cohort Study. Arch Intern Med 162(1):82–89
8 Heidemann C, Kuhnert R, Born S et al. (2017) 12-Monats- Prävalenz des bekannten Diabetes mellitus in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2(1):48–56. edoc.rki.de/handle/176904/2580 (Stand: 01.04.2020)
9 Heidemann C, Du Y, Schubert I et al. (2013) Prävalenz und zeitliche Entwicklung des bekannten Diabetes mellitus. Ergeb­nisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS 1). Bundesgesundheitsbl 56(5–6):668–677
10 Heidemann C, Du Y, Paprott R et al. (2016) Temporal changes in the prevalence of diagnosed diabetes, undiagnosed diabetes and prediabetes: findings from the German Health Interview and Examination Surveys in 1997–1999 and 2008–2011. Diabet Med 33(10):1406–1414
11 Oksuzyan A, Juel K, Vaupel JW et al. (2008) Men: good health and high mortality. Sex differences in health and aging. Aging Clin Exp Res 20(2):91–102
12 Heidemann C, Du Y, Baumert J et al. (2019) Soziale Ungleich­heit und Diabetes mellitus – zeitliche Entwicklung bei Erwach­senen in Deutschland. Journal of Health Monitoring 4(2):12–30.
13 Heidemann C, Scheidt-Nave C (2017) Prävalenz, Inzidenz und Mortalität von Diabetes mellitus bei Erwachsenen in Deutsch­land – Bestandsaufnahme zur Diabetes-Surveillance. Journal of Health Monitoring 2(3):105–129. edoc.rki.de/handle/176904/2781 (Stand: 01.04.2020)
14 Goffrier B, Schulz M, Bätzing-Feigenbaum J (2017) Administrative Prävalenzen und Inzidenzen des Diabetes mellitus von 2009 bis 2015. Versorgungsatlas-Bericht Nr. 17/03. Zentral­institut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Berlin. www.versorgungsatlas.de/themen/alle-analysen-nach-datum-sortiert/?tab=6&uid=79 (Stand: 01.04.2020)
15 Tamayo T, Brinks R, Hoyer A et al. (2016) The prevalence and incidence of diabetes in Germany – an analysis of statutory health insurance data on 65 million individuals from the years 2009 and 2010. Dtsch Arztebl Int 113(11):177–182
16 Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesund­heitswesen (Hrsg) (2018) Bundesauswertung zum Erfassungs­jahr 2017 – Geburtshilfe. Qualitätsindikatoren. IQTIG, Berlin. iqtig.org/downloads/auswertung/2017/16n1gebh/ QSKH_16n1-GEBH_2017_BUAW_V02_2018-08-01.pdf (Stand: 01.04.2020)
17 Statistisches Bundesamt (2019) Todesursachenstatistik ab 1998. Sterbefälle, Sterbeziffern je 100.000 Einwohner (alters­standardisiert). www.gbe-bund.de (Stand: 01.04.2020)
18 Röckl S, Brinks R, Baumert J et al. (2017) All-cause mortality in adults with and without type 2 diabetes: findings from the national health monitoring in Germany. BMJ Open Diabetes Res Care 5(1):e000451. dx.doi.org/10.1136/bmjdrc-2017-000451 (Stand: 01.04.2020)
19 Kautzky-Willer A, Harreiter J, Pacini G (2016) Sex and Gender Differences in Risk, Pathophysiology and Complications of Type 2 Diabetes Mellitus. Endocr Rev 37(3):278–316
20 Regensteiner JG, Golden S, Huebschmann AG et al. (2015) Sex Differences in the Cardiovascular Consequences of Diabetes Mellitus: A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation 132(25):2424–2447
21 Ballotari P, Venturelli F, Greci M et al. (2017) Sex Differences in the Effect of Type 2 Diabetes on Major Cardiovascular Dis­eases: Results from a Population-Based Study in Italy. Int J Endocrinol 2017:6039356. doi.org/10.1155/2017/6039356 (Stand: 01.04.2020)
22 Donahue RP, Rejman K, Rafalson LB et al. (2007) Sex dif­ferences in endothelial function markers before conversion to pre-diabetes: does the clock start ticking earlier among women? The Western New York Study. Diabetes Care 30(2):354–359
23 Rivellese AA, Riccardi G, Vaccaro O (2010) Cardiovascular risk in women with diabetes. Nutr Metab Cardiovasc Dis 20(6):474–480
24 Mosca L, Edelman D, Mochari H et al. (2006) Waist circum­ference predicts cardiometabolic and global Framingham risk among women screened during National Woman’s Heart Day. J Womens Health (Larchmt) 15(1):24–34
25 McCloskey L, Sherman ML, St John M et al. (2019) Navigating a ‘Perfect Storm’ on the Path to Prevention of Type 2 Diabetes Mellitus After Gestational Diabetes: Lessons from Patient and Provider Narratives. Matern Child Health J 23(5):603–612
26 Kacerovsky-Bielesz G, Lienhardt S, Hagenhofer M et al. (2009) Sex-related psychological effects on metabolic control in type 2 diabetes mellitus. Diabetologia 52(5):781–788
27  Legato MJ, Gelzer A, Goland R et al. (2006) Gender-specific care of the patient with diabetes: Review and recommenda­tions. Gend Med 3(2):131–158

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Quelle: Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland,  Robert Koch-Institut 2020; www.rki.de/frauengesundheitsbericht

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