Chronischer Pruritus: Dauerjucken ernst nehmen

Dauerjucken quält Menschen mit Haut­erkrankungen wie Neurodermitis oft zum ­„Aus-der-Haut-fahren“. Hart­näckiger Pruritus kann aber auch Warnsignal für ­verschiedene innere Erkrankungen sein.

Zitierweise: HAUT 2019;30(6):278-279

Juckende Haut raubt den Schlaf, mindert Konzentration und Leistungsfähigkeit und kann die Lebensqualität beeinträchtigen. „Viele Betroffene haben zudem mit Vorurteilen zu kämpfen, weil sie sich ständig kratzen müssen, und ziehen sich aus Scham oft von sozialen Kontakten zurück“, berichtet Prof. Elke Weisshaar, Hautärztin an der ­Pruritus-Ambulanz an der Universitäts-Hautklinik Heidelberg. Vor allem wenn das Jucken über Wochen und Monate andauert, drohen Ein- und Durchschlafstörungen, Stigmatisierung und Einschränkungen im Sozial- und Arbeitsleben. Chronischer Pruritus – also Hautjucken von mindestens sechs Wochen Dauer – zählt weltweit zu den 50 zentralen und stark belastenden Erkrankungen.

Pruritus – besonders belastendes Symptom vieler Hauterkrankungen 

Chronischer Pruritus tritt vor allem im Rahmen verschiedener Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Urtikaria und Kontaktallergien auf und ist hier das vorherrschende und oft am meisten belastende Krankheits­zeichen. 

Der Forschung gelingt es zunehmend, die Mechanismen zu entschlüsseln, die dem Hautjucken zugrunde liegen. Die umgangssprachliche Bezeichnung „Juckreiz“ sei nicht ganz richtig, es handle sich vielmehr um eine Juckempfindung, die durch einen Juck-Reiz ausgelöst wird, erklärt Prof. Weisshaar. Heute weiß man, dass bei entzündlichen Haut­erkrankungen wie der Neurodermitis Botenstoffe, die von Haut- und Immunzellen abgegeben werden, die Endigungen bestimmter Nervenfasern in der Haut stimulieren. 

Ein juckreizauslösender Botenstoff ist beispielsweise Histamin, das bei der Urtikaria oder bei Allergien aus Mastzellen freigesetzt wird. Zudem können Signalstoffe, die in entzündeter Haut vermehrt vorkommen, die Nervenfasern sensibilisieren, die dann schon auf geringe Reize reagieren. Die aktivierten Nervenfasern leiten das Signal an das Gehirn weiter und lösen dort die Sinnesempfindung Jucken sowie einen unmittelbaren Kratz­reflex aus. Kratzen lindert zwar kurzfristig das Jucken, schädigt jedoch die Hautbarriere, verstärkt die Entzündung und kann Nervenendigungen in der Haut verletzen. In der Folge juckt die Haut noch mehr – ein Teufelskreis kann entstehen.

Mögliches Warnsignal innerer ­Erkrankungen

„Chronischer Pruritus tritt aber nicht nur im Rahmen von Hauterkrankungen auf“, betont Prof. Weisshaar. Ansonsten gesunde Haut kann beispielsweise bei inneren Erkrankungen wie Diabetes, Nieren- oder Lebererkrankungen und Schilddrüsenfunktionsstörungen sowie bei chronischen Schädigungen von Nervenfasern und in seltenen Fällen bei Tumoren nachhaltig jucken. Eine mögliche Ursache können auch Eisenmangel oder bestimmte Medikamente sein. Sogar Probleme an der Wirbelsäule können zu chronischem Pruritus insbesondere an Rücken oder Armen führen. Welche Mechanismen bei solchen Erkrankungen dem chronischen Pruritus zugrunde liegen, ist noch nicht vollständig geklärt. „Auch wenn die Haut – außer Kratzspuren – keine weiteren Krankheitszeichen zeigt, sollte das Jucken unbedingt als Warnsignal ernst genommen werden“, betont Prof. Weisshaar. 

Die Klärung der Ursachen sei der erste Schritt zur richtigen Therapie. Betroffene sollten nicht resignieren, sondern sich vertrauensvoll an ihren Hautarzt wenden, der – falls erforderlich – andere Fachärzte hinzuziehen oder auch an ein spezialisiertes Zentrum verweisen wird. 

Wenn die zugrunde liegende Erkrankung behandelt wird, bessert sich häufig auch das Jucken. Manchmal hat sich der Juckreiz aber auch verselbständigt und bleibt trotz erfolgreicher Therapie der Grunderkrankung bestehen oder es gelingt nicht, die Ursache dingfest zu machen. „Um den Leidensdruck zu lindern, ist daher in der Regel eine direkte Behandlung des Pruritus nötig“, erklärt Prof. Weisshaar. 

Multimodales Behandlungskonzept nötig 

Meist wird der Hautarzt ein multimodales, individuelles Behandlungskonzept in die Wege leiten. Denn bei chronischem Pruritus, insbesondere bei älteren Menschen, spielen oft mehrere Faktoren eine Rolle. Trockene Haut sollte vermieden und die Hautbarriere durch eine feuchtigkeitsspendende und rückfettende Pflege gestärkt werden. Günstig sind juckreizstillende Inhaltsstoffe wie Harnstoff, Menthol, Lidocain oder Polidocanol. Wer feststellt, dass bestimmte Trigger die Haut reizen und das Jucken verschlimmern, sollte darauf verzichten. Das können kratzige Kleidungstücke, beispielsweise aus Wolle, heiße Getränke oder scharf gewürzte Speisen oder auch Besuche in der Sauna sein. Bei Allergien sollten die Auslöser möglichst vermieden werden. 

Ein weiterer Baustein im Pruritus-Management sind Medikamente zur äußerlichen Anwendung. Bei entzündlichen Hautveränderungen können kurzzeitig eingesetzte Kortikosteroide oder auch Calcineurininhibitoren den Juckreiz lindern. Auch Capsaicin-haltige Zubereitungen können versucht werden. 

Bei schweren Formen des chronischen Pruritus können eine UV-Therapie oder Medikamente zur innerlichen Anwendung erwogen werden. Erste Wahl unter den Medikamenten sind nicht-sedierende Antihistaminika, die allerdings nur bei einzelnen Formen des Pruritus, zum Beispiel Urtikaria, helfen. Je nach Ursache des Pruritus werden daher verschiedene andere Medikamente eingesetzt, wie Antidepressiva, Opioidantagonisten oder Antikonvulsiva, die auf die Erregungsweiterleitung im Nervensystem einwirken. Diese sind allerdings nicht speziell für chronischen Pruritus zugelassen. „Die Forschung arbeitet intensiv an Möglichkeiten einer gezielten Therapie des chronischen Pruritus“, berichtet Prof. Weisshaar. 

Literatur

1. Ständer S et al. S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus – Update - Kurzversion. J Dtsch Dermatol Ges 2017;15 (8): 860-873. AWMF-Register Nr. 013/048. Langfassung: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/013-048.html
2. Weisshaar E et al. European S2k Guideline on Chronic Pruritus. Acta Derm Venereol 2019;99(5):469-506.

Angelika Bauer-Delto

Quelle: Berufsverband der Deutschen ­Dermatologen e.V.

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