Insektengiftallergie: komponentenaufgelöste Diagnostik und ihre Implikationen für die Therapie

Simon Blank. Die Insektengiftallergie ist eine der schwerwiegendsten IgE-vermittelten Allergien, die sich aber mit der allergenspezifischen Immuntherapie äußerst effektiv therapieren lässt. Das Identifizieren des allergierelevanten Giftes ist dabei die Vorausetzung für den Therapieerfolg. Während die klassische In-­vitro-Diagnostik zum Bestimmen des spezifischen IgE unter Nutzung von Giftextrakten hierbei an ihre Limitationen stößt, hat die jetzt verfügbare komponentenaufgelöste Diagnostik mit individuellen Allergenen das Potenzial gezeigt, die Auswahl der geeigneten Immuntherapie erheblich erleichtern und zukünftig therapeutische Strategien noch besser steuern zu können.

Schlüsselwörter: Bienengift, Wespengift, Insektengiftallergie, komponentenaufgelöste Diagnostik

Abstract

Insect venom allergy is one of the most severe IgE-mediated allergies. However, venom allergy can be treated very effectively by allergen-specific immunotherapy. Identification of the allergy-relevant venom is the prerequisite for therapy success. While the classical in vitro diagnostics for the measurement of specific IgE using venom extracts reaches its limitations in this field, the newly available component-resolved diagnostics using individual allergens showed the potential to facilitate the choice of the suitable immunotherapy as well as to even better direct therapeutic strategies in the future.
Key words: honeybee venom, wasp venom, insect venom allergy, component-resolved diagnostics

Zwischen 56,6 und 94,5 Prozent der allgemeinen Bevölkerung geben an, mindestens einmal in ihrem Leben von einem Insekt der Ordnung Hymenoptera gestochen worden zu sein1, wobei sich die normale inflam­matorische Stichreaktion als Schmerz, Schwellung, Erythem und Juckreiz manifestiert. In Individuen hingegen, die allergisch auf das applizierte Gift reagieren, kann bereits ein einzelner Stich zu einer schweren systemischen und sogar lebensbedrohlichen Reaktion führen, die unter anderem die Haut als auch das respiratorische sowie das kardiovaskuläre System betreffen kann. Die häufigsten Auslöser der Insektengiftallergie in Deutschland sind Honigbienen (Apis mellifera) und Wespen (Vespula vulgaris und V. germanica). Die Prävalenz der Insektengiftallergie in der allgemeinen Bevölkerung beträgt zwischen 0,3 und 7,5 Prozent2. Darüber hinaus ist diese durch Antikörper des Isotyps IgE vermittelte Typ I Allergie der häufigste Auslöser einer schweren Anaphylaxie bei Erwachsenen3

Patienten mit einem Risiko für systemische Reaktionen auf Insektenstiche können sehr effektiv durch die allergenspezifische Immuntherapie mit Insektengift (VIT, venom immunotherapy) behandelt werden2. Bei der VIT, die allgemein auch als Hypo- oder Desensibilisierung bekannt ist, wird dem Patienten das allergieauslösende Gift nach einer anfänglichen Aufdosierungsphase in regelmäßigen Abständen über einen Zeitraum von mehreren Jahren subkutan injiziert. Die VIT ist derzeit die einzige kurative Therapie der Insektengiftallergie und führt bei 77 bis 96 Prozent der Allergiker zum Schutz (immunologische Toleranz) vor einer erneuten schweren Stichreaktion2.

Vorausetzung für die potenziell lebensrettende VIT ist neben der klinischen Historie einer systemischen Stichreaktion die Bestätigung der Sensibilisierung gegen das auslösende Insektengift mittels Hauttestungen (Prick- und/ oder Intrakutantestung) und/ oder des Nachweises spezifischer IgE (sIgE)-Antikörper gegen das Insektengift. Für eine erfolgreiche VIT ist es von außerordentlicher Bedeutung, dass das al­lergieauslösende Gift eindeutig bestimmt wird. Jedoch kann dies mittels der klassischen Diagnostik insbesondere dann problematisch werden, wenn der Patient das al­lergierelevante Insekt nicht identifizieren konnte oder Widersprüche zwischen Anam­nese und diagnostischem Ergebnis auftreten.

sIgE-Diagnostik unter Nutzung von Giftextrakten

Bei Insektengiften handelt es sich um komplexe Mischungen einer Vielzahl von Subs­tanzen, die zusammen die Giftwirkung vermitteln. Hierzu zählen auch zahlreiche Proteine, die wiederum potenzielle Allergene darstellen. In der klassischen In-vitro-­Diagnostik werden in Immunoassay-­Systemen wässrige Extrakte der Insektengifte – gebunden an die feste Phase des Assays – genutzt, um IgE-Antikörper mit Spezifität für die im Extrakt enthaltenen Allergene im Serum der Patienten nachzuweisen. 

In der klinischen Routine zeigt bei diesem Vorgehen ein erheblicher Anteil der Insektengiftallergiker doppelt-positive Test­ergebnisse mit Bienen- und WespenGiften notwendig. Allerdings ist für viele der doppelt-positiv getesteten Patienten nur eines der beiden Gifte klinisch relevant und das positive diagnostische Ergebnis mit dem zweiten beruht auf Kreuzreaktivität. Für solche Patienten wäre eine VIT ausschließlich mit dem primär sensibilisierenden Gift und nicht zusätzlich noch mit dem kreuzreaktiven absolut ausreichend. Dies macht eine initiale Differenzierung zwischen primärer Allergie auf beide Gifte und Kreuzreaktivität außerordentlich wichtig.

Bienen- und Wespengift enthalten eine Reihe homologer Allergenpaare (Abb. 1A, unten), die eine hohe Ähnlichkeit der Proteinsequenz und der dreidimensionalen Struktur aufweisen. Entsprechend können sie auch identische IgE-Epitope besitzen. Das bedeutet: Ist ein Patient etwa gegen ein Allergen des Bienengiftes sensibilisiert, so besteht die Möglichkeit, dass seine IgE- Antikörper auch das homologe Allergen des Wespengiftes binden, obwohl keine primäre Wespengiftsensibilisierung vorliegt. 

Zusätzlich zu diesem Phänomen tragen Bienen- und Wespengiftallergene kreuz­reaktive Zuckerstrukturen (CCDs, cross-reactive carbohydrate determinants), die nicht auf humanen Proteinen vorkommen. Deshalb bildet ein gewisser Anteil der Insektengiftallergiker – zusätzlich zu den allergenspezifischen – ebenfalls IgE-Antikörper gegen diese CCDs. Aus bisher ungeklärten Gründen haben CCD-spezifische IgE aber keine klinische Relevanz, was bedeutet, sie führen zu keinen Symptomen. Da sie aber an die CCDs des Bienen- und Wespengiftes binden, führen sie wiederum zur Kreuzreaktivität in der In-vitro-Diagnostik. Selbst der Nachweis CCD-spezifischer IgE in einem Patientenserum hilft diagnostisch nur bedingt weiter, da es nicht ausgeschlossen werden kann, dass zusätzlich auch klinisch relevante allergenspezifische IgE vorhanden sind. 

Somit führen sowohl IgE gegen homologe Allergene als auch gegen CCDs zur Kreuzreaktivität, welche in vielen Fällen das Identifizieren des allergierelevanten Giftes erheblich erschweren, wenn nicht sogar verhindern kann. In der Vergangenheit hat dies in vielen Fällen dazu geführt, dass Patienten unnötigerweise mit Bienen- und Wespengift behandelt wurden, da eine klinisch relevante Allergie gegen beides nicht ausgeschlossen werden konnte.

Andererseits gibt es Patienten, bei denen – trotz überzeugender Historie einer Anaphylaxie – die Sensibilisierung mittels giftextraktbasierter Diagnostik nicht nachweisbar ist, sodass ihnen die potenziell notwendige Therapie nicht zukommen kann. Auch dafür kann die Ursache das Verwenden des Giftextraktes für die Diagnostik sein, da hier etwa einzelne Allergene stark unterrepräsentiert sind. Allergene können instabil sein und sich schnell abbauen, ihre Kopplungseffizienz an die Festphase des Assay-Ssystems kann sich unterscheiden oder IgE-Epitope können durch natürliche Bindungspartner im Extrakt maskiert werden. Da Patienten gegen ganz unterschiedliche Allergene des Giftextraktes sensibilisiert sein können, kann so ein diagnostisches Ungleichgewicht der Information zugunsten der stark präsenten Allergene entstehen.

Insgesamt birgt die giftextraktbasierte Diagnostik einige Fallstricke, die das Identifizieren des allergieauslösenden Insektengiftes und somit die Auswahl der optimalen therapeutischen Strategie erheblich komplizieren4.

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Komponentenaufgelöste sIgE-­Diagnostik der Insektengiftallergie

In den letzten Jahren haben biochemische und molekularbiologische Methoden einen erheblichen Beitrag zur Identifizierung und Charakterisierung neuer Allergene des Bienen- und Wespengiftes geleistet und somit den Blickwinkel vom Gesamtgift auf individuelle Allergene verschoben5.

Das Wissen über die Identität der relevanten Allergene des Bienen- und Wespengiftes hat in der nahen Vergangenheit zur Entwicklung der komponentenaufgelösten (CRD, component-resolved diagnostics) oder molekularen Diagnostik im Bereich der Insektengiftallergie geführt6. Hierbei wird das sIgE gegen individuelle, relevante Allergene der Gifte bestimmt. Somit liefert die CRD nicht nur die Information, ob ein Patient sIgE gegen die Gesamtgifte aufweist, sondern zusätzlich ein Sensibilisierungsprofil eines jeden Patienten auf molekularer Ebene, also die Information, welche bestimmten Allergene des Giftes für den individuellen Patienten relevant sind (Abb. 1B).

Bienen- und Wespengift enthalten zusätzlich zu den homologen auch Spezies-spezifische Allergene, die nur im Bienen- oder im Wespengift vorkommen (Abb. 1A oben). Da die CRD das Bestimmen des sIgE gegen diese Markerallergene als Einzelkomponenten (anstatt gemischt mit den kreuz­reaktiven Allergenen in einem Gesamtextrakt) ermöglicht, hat sie das Potenzial gezeigt, erheblich zur Differenzierung zwischen relevanter Allergie und Kreuzreaktivität beitragen zu können.

Für die CRD werden die Allergene als rekombinante Proteine mittels biotechnologischer Verfahren hergestellt. Hierbei finden Wirtssysteme Anwendung, die eine Herstellung der Allergene mit dem vollständigen Protein-Epitop-Spektrum der natürlichen Allergene, aber frei von CCDs erlauben. Bei den dadurch erhaltenen Al­lergenen zeigt ein positives sIgE-Testergebnis ausschließlich eine echte Sensibilisierung gegen das Al­lergen an und nicht zusätzlich auch gegen seine CCDs, wie beim Verwenden des Giftextraktes. Dies wiederum liefert einen Beitrag zur Unterscheidung von Allergie und Kreuzreaktivität.

Des Weiteren stehen rekombinante Al­lergene in sehr reiner Form und in nahezu unbegrenzten Mengen zur Verfügung, sodass durch die CRD Limitationen der giftextraktbasierten Diagnostik umgangen werden, die auf Unterrepräsentation, Instabilität, ineffizienter Kopplung oder Epitop-Maskierung beruhen.

Insgesamt steht mit der CRD mit rekombinanten CCD-freien Markerallergenen in vielen Fällen, in denen die giftextraktbasierte Diagnostik aufgrund von Kreuzreaktivität oder geringer Sensitivität keine eindeutige Identifizierung des allergierelevanten Giftes erlaubt, ein fortgeschrittenes Werkzeug für eine präzisere Diagnostik zur Verfügung.

Erfreulicherweise ist mittlerweile die Mehrheit der relevanten Allergene des Bienen- und Wespengiftes für die CRD in der klinischen Routine erhältlich. Dadurch ergibt sich bei doppelt-positiven – oder auch bei trotz überzeugender Anamnese negativen – Ergebnissen ein diagnostischer Algorithmus, der unter Berücksichtigung des sIgE gegen individuelle speziesspezifische sowie homologe Allergene des Bienen- und Wespengiftes die Auswahl der geeigneten VIT erheblich erleichtert und für viele Patienten zudem eine unnötige Therapie mit beiden Giften verhindert (Abb. 2). 

Zukünftiges Potenzial der komponentenaufgelösten Diagnostik

Über die Routinediagnostik hinaus, in der die CRD bereits heute zu einer verbesserten Patientenversorgung beigetragen hat, haben komponentenaufgelöste Analysen erhebliche Informationen über die Sensibilisierungsprofile der Patienten geliefert. Am Beispiel des Bienengiftes haben sie gezeigt, dass die verschiedenen Allergiker auch sehr unterschiedliche Sensibilisierungsmuster mit den relevanten Allergenen des Giftes aufweisen.

Eventuell könnten Sensibilisierungsprofile zukünftig helfen, prädiktive Aussagen damit assoziiert ist, gegen welche Allergene des Giftes ein Patient sensibilisiert ist7. Zeigt ein Patient eine dominante Sensibilisierung (>50 % des Bienengifts-IgE) gegen das Allergen Api m 1, das in sehr großen Mengen im Gift enthalten ist, besteht kein erhöhtes Risiko für einen Therapiefehlschlag. Ist der Patient jedoch gegen das nur in Spuren im Gift enthaltene Allergen Api m 108 dominant sensibilisiert, ist das Risiko für ein Versagen der VIT mehr als achtfach erhöht. Dementsprechend könnte das Wissen über Sensibilisierungsprofile dazu beitragen, Ursachen für das Versagen der VIT zu identifizieren und therapeutische Entscheidungen besser steuern zu können, beispielswiese mittels einer verstärkten Kontrolle des Therapieerfolgs und gegebenenfalls frühzeitiges Anpassen der Dosierung der VIT bei Patienten mit bestimmten Sensibilisierungsprofilen.

Das Wissen über die relevanten Allergene in den Giften hat es auch erstmals ermöglicht, die therapeutischen Giftextrakte komponentenaufgelöst zu betrachten. Derartige Analysen von unterschiedlichen Präparaten zur Bienengifttherapie haben gezeigt, dass diese sich erheblich im Gehalt der relevanten Allergene unterscheiden können, was wiederum insbesondere Allergene geringer Konzentration wie das Api m 10 betrifft9. Auch wenn bisher nicht sicher ist, ob diese Unterschiede zwischen den Präparaten ausschlaggebend für den Therapieerfolg sind, könnten solche Informationen es zukünftig ermöglichen, das für einen Patienten geeignetste Präparat anhand seines Sensibilisierungsprofils personalisiert auszuwählen.

Literatur

1. Antonicelli L, Bilo MB, Bonifazi F. Epidemiology of Hymenoptera allergy. Curr Opin Allergy Clin Immunol 2002;2(4):341-6.

2. Sturm GJ, Varga EM, Roberts G et al. EAACI guidelines on allergen immunotherapy: Hymenoptera venom allergy. Allergy 2018;73(4):744-764.

3. Worm M, Moneret-Vautrin A, Scherer K et al. First European data from the network of severe allergic reactions (NORA). Allergy 2014;69(10):1397-404.

4. Ollert M, Blank S. Anaphylaxis to Insect Venom Allergens: Role of Molecular Diagnostics. Curr Allergy Asthma Rep 2015;15(5):527.

5. Kohler J, Blank S, Muller S et al. Component resolution reveals additional major allergens in patients with honeybee venom allergy. J Allergy Clin Immunol 2014;133(5):1383-9, 1389 e1-6.

6. Blank S, Bilo MB, Ollert M. Component-resolved diagnostics to direct in venom immunotherapy: Important steps towards precision medicine. Clin Exp Allergy 2018;48(4):354-364.

7. Frick M, Fischer J, Helbling A et al. Predominant Api m 10 sensitization as risk factor for treatment failure in honey bee venom immunotherapy. J Allergy Clin Immunol 2016;138(6):1663-1671 e9.

8. Blank S, Seismann H, Michel Y et al. Api m 10, a genuine A. mellifera venom allergen, is clinically relevant but underrepresented in therapeutic extracts. Allergy 2011;66(10):1322-9.

9. Blank S, Etzold S, Darsow U et al. Component-resolved evaluation of the content of major allergens in therapeutic extracts for specific immunotherapy of honeybee venom allergy. Hum Vaccin Immunother 2017;13(10):2482-2489.

Korrespondenzadresse

PD Dr. Simon Blank
Zentrum für Allergie und Umwelt (ZAUM)
Technische Universität München und Helmholtz-Zentrum München 
Ingolstädter Landstraße 1, 85764 München
E-Mail: simon(at)blank(ett)tum.de

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