Krebs und Sexualität

Tanja Zimmermann. Eine Krebserkrankung geht häufig – neben somatischen, psychischen und sozialen Stressoren – auch mit sexuellen Funktionsstörungen einher. Die Ursachen können vielfältig sein und sowohl aus der medizinischen Behandlung resultieren als auch aus Störungen des Körperbildes oder aus psychischen Problemen (z. B. Depression). Oft findet sich jedoch eine Sprachlosigkeit über das Thema Sexualität – sowohl innerhalb eines Paares als auch zwischen Patient und Arzt. Eine offene Kommunikation über Sexualität – idealerweise initiiert durch das medizinische Team – sollte essenzieller Bestandteil einer umfassenden medizinischen Aufklärung sein. Schlüsselwörter: Sexualität, Krebs, sexuelle Funktionsstörungen, Kommunikation

Zitierweise: HAUT 2020;31(3):104-107.

Abstract

Besides somatic, psychic, and social stressors, cancer often comes along with sexual dysfunctions. The causes can be manifold, and result from medical treatment as well as from body image disturbances, or mental problems (e. g. depression). Often, however, there is a speechlessness concerning sexuality – both within a couple and between patient and physician. An open communication about sexuality – ideally initiated by the medical team – should be an essential part of a comprehensive medical education. 
Key words: sexuality, cancer, sexual disfunction, communication

Krebs und Sexualität

Sexualität ist ein zentraler Aspekt im Leben eines Menschen. Sie beinhaltet verschiedene Dimensionen wie Geschlecht, Geschlechts­identität und soziale Rolle, sexuelle Orientierung, Erotik, Freude, Vergnügen, Genuss, Intimität und Fortpflanzung. Somit findet Sexualität Ausdruck sowohl in Gedanken, Fantasien, Wünschen und Überzeugungen als auch in Einstellungen, Werten, Verhaltensweisen, Praktiken, Rollen und Beziehungen. Kaum ein Bereich unterliegt derart vielen Mythen wie die Sexualität. Annahmen über die Art oder Dauer einer befriedigenden Sexualität oder erogene Zonen bei Mann und Frau führen häufig zu einer Fehlbewertung und steigern die Erwartungshaltung der Betroffenen. Demzufolge ist Sexualität auch ein Bereich, der sehr „störanfällig“ sein kann und zu Verunsicherung führt, zum Beispiel, wenn eine Person mit einer Krebserkrankung konfrontiert wird. 

Psychosoziale Auswirkungen einer onkologischen Erkrankung

Eine Krebserkrankung geht sowohl mit medizinischen Stressoren einher, zum Beispiel Nebenwirkungen der onkologischen Behandlung, als auch mit sozialen, emoti­onalen und existenziellen Belastungen1. Da­rüber hinaus ist nicht nur die erkrankte Person belastet, sondern auch ihr soziales Umfeld – insbesondere die Partner oder Partnerinnen, die ein vergleichbares Ausmaß an psychosozialer Belastung erleben können2. Paare sehen sich somit häufig mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die – neben dem Schock über die Krebsdiagnose – gravierende Änderungen im partnerschaftlichen Alltag beinhalten können, etwa Rollenveränderungen und Einschränkungen gemeinsamer Aktivitäten bis hin zum sozialen Rückzug. Hinzu kommen finanzielle Sorgen, Ängste, Depressivität sowie Belastungen in der partnerschaftlichen Zufriedenheit3,4. Im Rahmen einer Krebserkrankung finden sich häufig auch sexuelle Probleme, die wiederum die Partnerschaftszufriedenheit beeinträchtigen können5

Beeinträchtigungen der sexuellen Funktionsfähigkeit

Die Krebserkrankung und -behandlung kann sich auf das Körperempfinden auswirken, indem das Gefühl von Vollständigkeit und Integrität des Körpers als intakte Einheit durch die Krankheit und Behandlung bedroht wird. Dies kann zudem mit Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls einhergehen („Ich fühle mich nicht mehr begehrenswert“) und zu einem Rückzug führen, da möglicherweise (Fehl) -Annahmen über die körperlichen Veränderungen (z. B. Narben, Haarverlust, Funktionsstörungen) getroffen werden („Ich kann meinem Partner meinen Anblick nicht zumuten“, „Bestimmt findet sie mich jetzt unattraktiv“). 

Sexuelle Funktionsstörungen können in allen Phasen des sexuellen Erregungszyklus (Appetenz, Erregung, Orgasmus, Entspannung) auftreten und beinhalten unter anderem Libidoverlust, eingeschränkte Lubrikationsfähigkeit, Erektions- und Ejakulationsstörungen, Orgasmusstörungen sowie Dyspareunie. Circa 35 bis 50 Prozent aller Krebserkrankten berichten von sexuellen Funktionsstörungen6. Die Ursachen sind vielfältig und können aus folgenden Bereichen resultieren: 

  • Veränderungen oder Beeinträchtigungen von Körperbild und -funktion,
  • partnerschaftliches Erleben und 
  • psychosoziales Erleben.  

Veränderungen oder Beeinträch­tigungen von Körperbild und -funktion

Bestimmte medizinische Behandlungs­formen (wie Operation, Chemo-, Strahlen-, Antihormontherapie) können zu Verlust oder Schädigung von Sexualorganen, zur Schädigung der sexuellen Funktionen oder zu Veränderungen des Körperbilds (Narben, Gewicht, Haarverlust, Stoma, Gesichts­veränderungen etc.) sowie der Körperfunktion (Inkontinenz, Verlust der Stimme, Fatigue, etc.) führen. Diese Veränderungen können das Selbstwertgefühl, das Bedürfnis nach sexueller Aktivität und die Libido beeinträchtigen sowie depressive Symptome, Angst und Insuffizienzgefühle begünstigen6

Veränderungen des partnerschaftlichen Erlebens

Die Krebserkrankung geht auch mit Veränderungen der Partnerschaft einher. Häufig kommt es zu Rollenveränderungen mit möglicherweise pflegerischen Aufgaben des nicht an Krebs erkrankten Partners. Es kann he­rausfordernd sein, von der pflegenden, versorgenden Rolle wieder in die Rolle als Liebender zu wechseln. 

Zudem kann die Kommunikation zwischen den Partnern beeinträchtigt sein. Vielen Paaren fällt es schwer, über ihre Ängste und Sorgen hinsichtlich der Krebserkrankung zu sprechen7. Auch sexuelle Schwierigkeiten führen eher zu Sprachlosigkeit bei Paaren. Ist die Kommunikation des Paares über Sexualität beeinträchtigt, kann das zu Missverständnissen führen, insbesondere, wenn Ängste und Wünsche in Bezug auf Sexualität nicht offen geäußert werden. 

Falls es im Rahmen der Erkrankung oder Behandlung zu einer Unterbrechung der sexuellen Aktivität gekommen ist, haben viele Paare Sorgen vor dem „ersten Mal“ nach einer längeren Pause. Manche setzen sich unter Druck oder haben Angst, den anderen zu enttäuschen. Das Bemühen um sexuelle Erregung oder das Erzwingen sexuellen „Funktionierens“ kann zu Leistungsdruck, gespannter Erwartung und Versagensangst führen. Hinzu kommen möglicherweise noch Probleme mit dem veränderten Körperbild. Die sexuelle Erregung bleibt aus, was wiederum zu Resignation und Vermeidung führt, das heißt, es findet keine sexuelle Annäherung mehr statt.

Veränderungen des psychosozialen Erlebens

Dies beinhaltet krankheitsbedingte Sorgen und Ängste, Depressivität, Hilf- und Hoffnungslosigkeit sowie existenzielle Sorgen und Probleme sowohl bei Erkrankten als auch bei Angehörigen. Hinzu kommen insbesondere in Bezug auf Sexualität Versagensangst, Erfolgsdruck sowie Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls und des Selbstbildes. 

Darüber hinaus finden sich oft auch Wissensdefizite und Missverständnisse bei Paaren: Durch eine fehlende Aufklärung über Nebenwirkungen der onkologischen Behand­lung auf die sexuelle Funktionsfähigkeit wird das sexuelle Problem eher bei sich oder dem Partner gesucht, obwohl es möglicherweise eine Nebenwirkung der Behandlung ist (z. B. eingeschränkte Lubrikationsfähigkeit, Erektionsstörung), oder aber auch der psychischen Belastung – zum Beispiel ist Libidoverlust ein häufiges Symptom bei Depressionen. Doch auch weitere Begleit­erkrankungen oder -medikationen (z. B. Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, psychische Störungen) können die sexuelle Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. 

Die Beeinträchtigungen der Sexualität können dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben. Dies kann Verunsicherungen und Unzufriedenheit in der Partnerschaft auslösen. Häufige Fragen, mit denen sich Paare auseinandersetzen sind: 

  • Ist das ansteckend?
  • Bestimmt will er/ sie lieber eine andere/ einen anderen?
  • Wie kann man denn jetzt an Sex denken?

Dies kann zu einer Sprachlosigkeit zwischen den Partnern führen. Unsicherheiten auf beiden Seiten – Erkrankte und Angehörige – erschweren die Wiederaufnahme einer aktiven Sexualität. Insbesondere Störungen der partnerschaftlichen Kommunikation können dazu führen, dass Paare nach der Krebsdiagnose auf jede Form von Sexualität verzichten, aber auch auf Zärtlichkeit und Körperkontakt.

Kommunikation über Sexualität

Kommunikation über Sexualität ist sowohl innerhalb eines Paares als auch im Gespräch mit Experten häufig tabuisiert. Die meisten Erkrankten wünschen sich von ihren behandelnden Ärzten Informationen über die Auswirkungen der Krebserkrankung und -behandlung auf die sexuelle Funktionsfähigkeit. Allerdings traut sich nur ein sehr geringer Anteil der Patienten, ihren Arzt auch danach zu fragen. Das medizinische Team fühlt sich oft nicht gut darin trainiert oder darauf vorbereitet, sexuelle Themen offen anzusprechen. Es erlebt diesen Bereich somit eher als unangenehm, sodass die Tendenz zur Vermeidung sehr hoch ist8,9. Auch hier können Fehlannahmen (z. B. „Krebspatienten sind schon älter und haben sowieso keinen Sex mehr“) ein offenes Ansprechen dieses Themas verhindern. Möglich sind auch Sorgen, die Patienten in eine unangenehme oder peinliche Situation zu bringen, wenn Sexualität angesprochen wird10

Hilfreiche Fragen zur Sexualität

Ein offener Umgang mit dem Thema Sexu­alität – am besten initiiert von Expertenseite – kann Krebserkrankten und ihren Partnern helfen. Hilfreiche Fragen können sein: 

  • Hat sich durch Ihre Erkrankung etwas in Ihrer Sexualität verändert? 
  • Wie war Ihre Sexualität vor der Erkrankung? 
  • Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer gemeinsamen Sexualität? 
  • Was haben Sie bisher unternommen, um etwas zu verändern? 
  • Welche Bedeutung hat Sexualität in Ihrem Leben oder Ihrer Partnerschaft? 
  • Wie zufrieden sind Sie mit ihrem Körperbild oder der veränderten Körperfunktion? 

Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass Mediziner standardmäßig über die Nebenwirkungen der onkologischen Behandlung auf die Sexualität aufklären. 

Fazit

Sexualität ist ein wichtiger Aspekt der Lebensqualität. Sexuelle Probleme als Folge einer Krebserkrankung treten häufig auf. Daher ist es wichtig, Paare darin zu unterstützen, auch nach einer Krebserkrankung eine zufriedenstellende Sexualität (wieder) zu erleben. Das Initiieren von sexueller Aktivität, die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs und eine erste positive sexuelle Erfahrung nach der medizinischen Behandlung ermöglichen eine bessere sexuelle, emotionale und partnerschaftliche Anpassung an die Erkrankung11

Natürlich kann es sein, dass Paare schon vor der Erkrankung nicht mehr sexuell aktiv waren und dies auch nach der Erkrankung nicht mehr anstreben. Das ist natürlich zu respektieren und die Wiederaufnahme sexueller Aktivitäten ist dann auch kein Thema. Wichtig ist es aber immer, abzuklären, ob beide Partner mit dieser Regelung einverstanden sind. Daher ist ein offener Umgang zwischen Experten und Patienten – im besten Fall initiiert durch die behandelnden Ärzte – wichtig. Sexualität sollte somit standardmäßig von Expertenseite thematisiert werden und essenzieller Bestandteil einer umfassenden medizinischen Aufklärung sein.

Literatur    

1. Mehnert A, Hartung TJ, Friedrich M et al. One in two cancer patients is significantly distressed: Prevalence and indicators of distress. Psychooncology 2018;27:75-82.
2. Kayser K, Watson LE, Andrade JT. Cancer as a „we-disease“: Examining the process of coping from a relational perspective. Families, Systems & Health 2007;25:404-418.
3. Regan TW, Acquati C, Zimmermann T. Interpersonal relationships. In: Handbook of cancer survivorship. Hrsg.: Feuerstein M and Nekhlyudov L. 2nd ed. Cham (Switzerland): Springer 2018:265-284.
4. Zimmermann T. Partnerschaft und Sexualität bei Tumorerkrankungen. Onkologe 2019, DOI: 10.1007/s00761-018-0506-9.
5. Jonsdottir JI, Jonsdottir H, Klinke ME. A systematic review of characteristics of couple-based intervention studies addressing sexuality following cancer. J Adv Nurs 2018;74:760-773.
6. Hawkins Y, Ussher J, Gilbert E et al. Changes in sexuality and intimacy after the diagnosis and treatment of cancer: The experience of partners in a sexual relationship with a person with cancer. Cancer Nurs 2009;32:271-280.
7. Manne SL, Norton TR, Ostroff JS et al. Protective buffering and psychological distress among couples coping with breast cancer: The moderating role of relationship satisfaction. J Fam Psychol 2007;21:380-388.
8. Bober SL, Varela VS. Sexuality in adult cancer survivors: challenges and intervention. J Clin Oncol 2012;30:3712-3719.
9. Hordern AJ and Street AF. Communicating about patient sexuality and intimacy after cancer: mismatched expectations and unmet needs. Med J Aust 2007;186:224-227.
10. Stead ML, Brown JM, Fallowfield L et al. Lack of communication between healthcare professionals and women with ovarian cancer about sexual issues. Br J Cancer 2003;88:666-671.
11. Wimberly S, Carver C, Laurenceau JP et al. Perceived partner reactions to diagnosis and treatment of breast cancer: Impact on psychosocial and psychosexual adjustment. J Consult Clin Psychol 2005;73:300-311.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Tanja Zimmermann
Medizinische Hochschule Hannover
Klinik für Psychosomatik und ­Psychotherapie
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
E-Mail: zimmermann.tanja(ett)mh-hannover.de

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