Urtikaria als Folge unerwünschter Arzneimittelwirkung

Peter M. Schweikert-Wehner. Unter dem Begriff Urtikaria wird eine Reihe von Erkrankungen zusammengefasst, die durch das Auftreten von Quaddeln oder Haut- und Schleimhautschwellungen (Angioödeme) oder beiden charakterisiert sind. Daneben können auch Fieber, Müdigkeit, Schlafstörungen, Angst und Depressionen auftreten. Aber nicht jede Krankheit mit Quaddeln oder Ödemen ist eine Nesselsucht (1).

Schlüsselwörter: Urtikaria, Angioödem, unerwünschte Arzneimittelwirkung

Zitierweise: HAUT 2023;34(1):15-17.

Abstract

The term urticaria comprises a range of diseases which are characterized by the occurence of wheals, or swellings of the skin and mucosa (angioedema), or both. In addition, fever, fatigue, sleep disturbances, anxiety, and depression may occur. However, not every desease presenting wheals or edema is an urticaria1.
Key words: urticaria, angioedema, adverse effect

Die Brennnessel ist eine der wenigen Pflanzen, die Namensgeber für eine Erkrankung ist, nämlich die Nesselsucht, das Nesselfieber oder der Nesselausschlag – wie die Urtikaria umgangssprachlich genannt wird. Der medizinische Fachbegriff lehnt sich an die botanische Bezeichnung der Brennnessel an: Urtica. Der Grund für die Verknüpfung liegt in dem charakteristischen Symptom der Nesselsucht begründet: Quaddeln auf der Haut, wie sie auch nach Berührung von Brennnesseln auftreten. Der Begriff „Nesselsucht“ weist zudem auf den mitunter extremen Juckreiz hin, der Kratzen zu einer „Sucht“ machen kann.

Etwa jeder 5. Mensch macht in seinem Leben eine Episode mit Urtikaria durch, am häufigsten im dritten und vierten Lebensjahrzehnt. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Je nach Dauer der Symptome wird zwischen einer akuten und einer chronischen Verlaufsform der Urtikaria unterschieden. Die akute Urtikaria entwickelt sich spontan und dauert wenige Stunden bis Tage. Sie tritt meist in Zusammenhang mit einer Allergie auf, nach Aufnahme von Nahrungsmitteln, Einnahme von Medikamenten oder nach einem Insektenstich. Die chronische Urtikaria hingegen persistiert mindestens sechs Wochen oder länger und kann seltener einem Auslöser zugeordnet werden, weshalb Allergien weniger eine Rolle spielen. Einige Verläufe chronischer Urtikaria können sich sehr lange hinziehen, bei 11 % der Betroffenen länger als 5 Jahre.

Bei der Urtikaria reagiert die Hautoberfläche auf die Freisetzung verschiedener Botenstoffe, vor allem Histamin aus den Mastzellen des Haut- und Schleimhautgewebes. Histamin erweitert die Gefäße (Rötung), macht sie durchlässiger (Quaddeln) und reizt die Nerven (Juckreiz). Auch andere Hormone aus der Mastzelle spielen eine Rolle. Dazu gehören Leukotriene und Prostaglandine, aber auch Neurokinine und Tachykinine aus den Nervenzellen. Manche Urtikariaformen treten bei Stress und psychischer Belastung verstärkt auf, sind jedoch selten allein Ursache einer Urtikaria. Verschiedene Faktoren können eine Freisetzung der Botenstoffe aus den Mast­zellen bewirken und eine Nesselsucht auslösen. Dies können Nahrungsmittel, Insektengifte, Infektionen durch bakterielle oder virale Erreger oder Medikamente sein2,3.

Eine kleine Studie von Sitcharungsi und Kollegen untersuchte in den Jahren 2008 und 2009 am Ramathibodi Hospital in Bangkok die Ursache für akute Urtikaria bei Kindern im Alter von 4 Monaten bis 16 Jahren und identifizierte 164 Fälle. Dabei kam heraus, dass 32 Urtikaria-Ereignisse, sprich 19,5 %, auf der unerwünschten Wirkung von Arzneimitteln fußten. Dabei entfielen 8 Fälle (88,9 %) auf den Einsatz von Betalactam-Antibiotika und einer auf die Gabe von Azithromycin4.

Urtikaria durch Arzneimittel kann allergisch (immunologisch vermittelt) oder pseudoallergisch sein (nichtimmunologisch vermittelt). Der Mechanismus ist in der Praxis oft schwer zu ermitteln. Allergische Arzneimittelurtikaria sind in der Regel IgE-vermittelte Typ-I-Überempfindlichkeitreaktionen und machen weniger als 10 % der Fälle aus. Die Mehrzahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen mit Urtikaria in der Folge ist nichtimmunologisch. Viele verschiedene Medikamente können möglicherweise Urtikaria verursachen. Tan und Kollegen aus Norfolk und Norwich haben die Inzidenz von spontanen, gemeldeten Fällen medikamenteninduzierter Urtikaria (drug-induced urticaria, DIU) als RAP-Analyse (Reaction Analysis Print) aus der „Online Information Tracking (ADROIT)“ -Datenbank des Committee on Safety of Medicines (CSM) des Vereinigten Königreichs der Jahre 1963 bis 2003 ausgewertet, über deren Ergebnisse ich nachfolgend berichte:

Acetylsalicylsäure (ASS) ist einer der ältesten und am weitesten verbreiteten Arzneistoffe weltweit. In der Analyse wurde bei 72 Patienten, die ASS nahmen, und bei 2.230 Patienten, die mit anderen nichtsteroidalen Antiphlogistika behandelt wurden, Urtikaria als Folge der Therapie identifiziert. Die geringe Anzahl der Fälle mit unerwünschter Wirkung von ASS ist wahrscheinlich auf eine relative Unterberichterstattung für dieses alte Medikament zurückzuführen, dessen Nebenwirkungen gut bekannt sind. Die Daten­erhebung, auf der die Ergebnisse in dieser Datenbank fußen, erfolgte eher spontan als systematisch5. Aus dieser Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) sind für den Arzneistoff Fenbrufen 744 Meldungen und damit die höchste Anzahl für DIU dokumentiert. Fenbrufen wurde 2010 weltweit wegen Leber­toxizität vom Markt genommen5,6. Es folgen Paracetamol mit 216 Meldungen, danach Diclofenac und Naproxen mit jeweils 202 Meldungen. NSAR, die schwache COX-1-Inhibitoren sind, oder selektivere COX-2-Inhibitoren zeigen diese unerwünschte Wirkung tendenziell weniger. Die Fachinformation von Paracetamol führt Urtikaria als seltene (0,01 – 0,1 %) Nebenwirkung auf9.

Trotz vieler Hinweise, dass Opiate Urtikaria verursachen oder verschlimmern, wurde nur von 124 Fällen in der RAP-Analyse berichtet, davon 73 durch Codein. Die Fachinformation geht von einer gelegentlichen (0,1 – 1 %) Häufigkeit aus9.

Antibiotika sind die zweithäufigste Ursache für DIU in der RAP-Analyse (2.176 Fälle). In absteigender Reihenfolge waren Sulfonamide (790), Penicilline (434), Chinolone (232), Makrolide (165), Cephalosporine (152), Metronidazol (113), Tetracycline (111), Clavulansäure (92), Nitrofurantoin (62), Rifampicin (13), Vancomycin (9) sowie Polymyxin B, Aztreonam und Imipenem mit einer Meldung vertreten.

Frühere Erhebungen über Patienten mit chronischer Urtikaria ergaben, dass bis zu 10 % der Patienten, die Penicilline nahmen, über eine DIU berichteten. Die Fachinformation meldet beispielsweise für Amoxicillin Urtikaria als gelegentliche (0,1 – 1 %) Nebenwirkung9.

Die RAP-Analyse zeigt Meldungen zu DIU bei allen wichtigen Klassen von Antidepressiva, vor allem für selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Dermatologische Symptome von SSRI wurden laut einer schwedischen Umfrage bei 11,4 % der Antidepressivapatienten, hauptsächlich durch Fluoxetin, hervorgerufen5. Die Häufigkeit zu DIU bei trizyklischen Antidepressiva ist niedriger, möglicherweise wegen der antihistaminischen Eigenschaften dieser Arzneistoffe. Ungeachtet dieser Klassifizierung ist Bupropion, ein selektiver Noradrenalin- und Dopamin­-Wiederaufnahmehemmer, in der Gruppe der Antidepressiva mit 1.036 Einträgen der häufigste Auslöser oder Verstärker einer Urtikaria. Die Fachinformationen gehen sowohl für Fluoxetin als auch für Bupropion von einer häufigen (1-10 %) Störwirkung aus9.

Urtikaria ist eine relativ seltene Nebenwirkung der ACE-Hemmer, in der Größenordnung von 0,3 % für Enalapril. Es gab 284 Berichte in der RAP-Analyse. Die Inzidenz von ACE-induzierten Angioödemen reicht von 0,1 – 2 %. Die Fachinformation dagegen geht für Enalapril von einer gelegentlichen (0,1-1 %) Nebenwirkung aus9.

Therapie

H1-Antihistaminika sind Therapeutika zur Behandlung der Urtikaria. Nicht alle Patienten sprechen darauf gut an und gelegentlich scheinen Antihistaminika die Urtikaria zu verschlimmern. DIU durch H1-Antihistaminika in der RAP-Analyse zeigt folgende Häufigkeiten: Es gibt zu Terfenadin 112 Meldungen, zu Diphenhydramin 69, zu Chlorpheniramin 18, zu Cetirizin 16, zu Fexofenadin 8, zu Mizolastin 3 sowie zu Hydroxizin und Desloratadin jeweils 2 Meldungen. Es existieren mehrere Berichte über Urtikariaverstärkung durch Cetirizin in der Peer-Review-Literatur. Terfenadin wurde 1997 als potenzieller Auslöser von Arrhythmien vom Markt genommen5,7.

Aus der Gruppe der H2-Antihistaminika wurde über DIU in Verbindung mit Ranitidin von 233 Fällen und mit Cimetidin von über 196 Fällen berichtet. Wegen Verunreinigungen der Fertigarzneimittel durch N-Nitrosodimethylamin ruhen alle Zulassungen von Ranitidin bis zum 2.1.20235,8.

Lückenhafte Daten

Die Daten zur medikamenteninduzierten Urtikaria sind lückenhaft und das wahre Risiko dieser unerwünschten Wirkung ist für viele Verbindungen unbekannt. Die häufigsten Urtikaria-Erscheinungen gehen nach dieser Recherche von den Antidepressiva Fluoxetin und Bupropion aus.

Es sollte unterschieden werden zwischen Medikamenten, die Urtikaria verursachen, und solchen, die eine bestehende Urtikaria verschlimmern. NSAR verursachen selten Urtikaria, können diese aber auch verschlimmern. Antibiotika hingegen können Urtikaria verursachen, aber der Beweis, dass sie bestehende Urtikaria verschlimmern, ist schwach. Obwohl, wie oft gesagt, Opiate bei Urtikaria vermieden werden sollten, gibt es wenig Beweise, die diese Empfehlung unterstützen. Die Anzahl der Meldungen deutet darauf hin, dass hochselektive COX-2-Inhibitoren wahrscheinlich sicherer bei Urtikaria sind als klassische NSAR.

Literatur

1. Zuberbier T et al. Guideline for the Definition, Classification, Diagnosis and Management of Urticaria. Allergy 2018;73:1393-1414.
2. Helbling A, Pichler WJ, Schmid-Grendelmeier P: Urtikaria-Nesselfieber, Ursachen und Auslöser. Stiftung aha! Allegriezentrum Schweiz, 10.2008.
3. Staubach P: Up-to-date zu der Therapie von Urtikaria. HAUT 2015;26(2):104-106.
4. Sitcharungsi R et al: Drug-Induced Acute Urticaria in Children. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2011;02:Abstract 376.
5. Tan EKH, Grattan CEH: Drug-induced urticaria. Expert Opinion on Drug Safety 2004;3:5, 471-484.
6. Lewis JH, Stine JG: Chapter 22 – Nonsteroidal antiinflammatory drugs and leukotriene receptor antagonists. Drug-Induced Liver Disease (Third Edition 2013):369-401.
7. Schubert-Zsiavecz M: Rückrufe im Rückblick. Pharmazeutische Zeitung 2011, Ausgabe 30.
8. Hüttemann D. Alle Ranitidin-Zulassungen ruhen vorläufig. PZ-online, 13.1.2021.
9. Fachinformationen: Paracetamol 500-1 A Pharma®, Codeintropfen-CT 1mg/Tropfen AbZ Pharma®, Amoxicillin Heumann 500 mg/750 mg/1000 mg Tabletten, Fluoxetin – 1 A Pharma® Tabletten, Bupropion beta 300 mg Tabletten mit veränderter Wirkstofffreisetzung.

Korrespondenzadresse

Dr. Peter M. Schweikert-Wehner e.K.
Apotheke am Kreiskrankenhaus
Stiftsweg 17, 53894 Mechernich
E-Mail: info(ett)apotheke-mechernich.de

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