Kompressionstherapie auf langen Reisen – ja oder nein? Und wenn ja, wie?

Hinweise entsprechend der deutschen Leitlinie zur Kompressionstherapie aus dem Jahr 2019 subsumiert zur Kompressionstherapie auf Langstreckenreisen.

Das Risiko einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT) auf Langstreckenflügen kann durch das Tragen von Wadenstrümpfen mit niedrigem bis mittleren Kompressionsdruck signifikant reduziert werden.

Bezüglich des Auftretens von oberflächlichen Beinvenenthrombosen bietet die Literatur widersprüchliche Angaben.

Was sagen die deutschen Leitlinien?

Die deutsche S3-Leitlinie zur Thromboseprophylaxe von venösen Thromboembolien (VTE) aus dem Jahr 2015 empfiehlt für die VTE-Prophylaxe auf Reisen risikogestaffelt Basismaßnahmen (s. Tab. 1), Kompressionstherapie und medikamentöse Prophylaxe.

Tabelle 1

Basismaßnahmen zur Thromboseprophylaxe auf Reisen:

  • ausreichende Flüssigkeitszufuhr
  • einfache Übungen zur Aktivierung der Venen-Muskel-Pumpe in den Beinen wie z. B. Fußwippen oder Kreisen, Zehenstand
  • Vermeidung von Alkoholkonsum
  • Vermeidung enger Kleidung 
 

 

Immobilität ohne akute Erkrankung ist dementsprechend keine Indikation für eine über allgemeine Basismaßnahmen hinausgehende Thromboembolieprophylaxe. Auch Langstreckenreisen sind per se keine Indikation.

Bei Vorliegen zusätzlicher, dispositioneller Risikofaktoren (s. Tab. 2) kann eine der individuellen Risikoeinschätzung entsprechende VTE-Prophylaxe erfolgen.1

Tabelle 2

Überblick dispositioneller Risikofaktoren für eine Thrombose:

  • frühere TVT/LE
  • Thrombophilie/Hämostasedefekt
  • maligne Erkrankung
  • höheres Lebensalter (> 60 Jahre, Risikozunahme mit dem Alter)
  • TVT bei Verwandten 1. Grades
  • chron. Herzinsuffizienz
  • Übergewicht (BMI > 30 kg/m2)
  • akute Infektionen/entzündliche Erkrankungen mit Immobilisation
  • Hormontherapie (z. B. Kontrazeption, postmenopausal oder zur Tumortherapie)
  • Schwangerschaft und postpartal
  • Nephrotisches Syndrom
  • stark ausgeprägte Varikose
 

 

Was sagt die internationale Literatur der letzten Jahre?

Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2016 kommt nach Meta-Analyse von 11 Studien zu der Schlussfolgerung, dass es gute Evidenz gibt, mit dem Tragen von Kompressionsstrümpfen auf Flugreisen von mehr als vier Stunden Dauer das Risiko für eine asymptomatische TVT zu mindern.2

Diese These wird auch von einem aktuellen Review aus dem Jahr 2021 bestätigt. Hier empfehlen die Autoren den Passagieren von Flügen über fünf Stunden Dauer außerdem vergleichbar mit den deutschen Leitlinien ausreichende Flüssigkeitsaufnahme, regelmäßige Bewegung, das Meiden von Alkohol und regelmäßiges Gehen für je zehn Minuten alle zwei Stunden.3

Weiterhin besteht niedrige Evidenz, dass auch Beinödeme auf Flugreisen durch Kompressionsstrümpfe reduziert werden können.2 Eine andere aktuelle Arbeit aus 2020 konkludiert, dass es nur wenig Evidenz für die Anwendung von Interventionen, medizinischen Kompressionsstrümpfen und niedermolekulares Heparin für Flugpassagiere zur Risikoreduktion einer VTE gibt.4

Welche Möglichkeiten der Kompressionsversorgung bietet sich auf Reisen an?

Zu unterscheiden sind medizinische Kompressionsstrümpfe und sogenannte Reisestrümpfe. Medizinische Kompressionsstrümpfe unterliegen einer standardisierten Norm und sind bei einer Vielzahl von Erkrankungen zur Therapie oder Prophylaxe indiziert wie z. B. bei Ödemneigung, chronischen Wunden an den Beinen, vorbestehenden VTE, Varizen oder in der Schwangerschaft.5 Sie werden vom Arzt nach individuellen Gesichtspunkten verordnet und im Sanitätshaus nach Maß angepasst.

Besteht keine Indikation zur medizinischen Kompressionstherapie so sind alternativ knielange Reisekompressionsstrümpfe eine Option, um orthostatischen Ödemen und VTE auf der Reise vorzubeugen.

Im Gegensatz zu medizinischen Kompressionsstrümpfen unterliegen die Reisestrümpfe jedoch keiner RAL-Norm mit definiertem Anpressdruck in der Knöchelregion sowie definiertem Druckverlauf am Bein. Die Anpassung der Reisestrümpfe erfolgt je nach Hersteller sehr unterschiedlich nach Beinumfang oder Schuhgröße.

Fazit für die Praxis

Die Daten der Literatur zur Empfehlung von (medizinischen) Kompressionsstrümpfen bei gesunden Flugpassagieren ist mitunter widersprüchlich. Bestehen neben der Flugreise allein weitere individuelle Risikofaktoren für eine VTE so sollten neben den Basismaßnahmen auch (medizinische) Kompressionsstrümpfe und ggf. sogar eine medikamentöse Thromboseprophylaxe angewendet werden.

Daten für Reisende mit anderen Verkehrsmitteln (z. B. Bahn, Auto, Bus) existieren nach dem Wissen der Autorin nicht. Im klinischen Alltag werden die Empfehlungen für Flugpassagiere in der Regel auch auf Reisende mit anderen Verkehrsmitteln übertragen, so z. B. auch in den Patientenempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie unter www.phlebology.de (s. aufklappbare Tabelle unten).

Tabelle der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie für Reisen

Tabelle 3: Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie für Patientinnen und Patienten auf Reisen
 
  • Legen Sie auf Autofahrten alle zwei, drei Stunden eine ausgiebige Pause ein. Steigen Sie aus dem Wagen aus und machen Sie einen kleinen Spaziergang. Das bringt die Blutzirkulation in den Beinvenen wieder in Schwung.
  • Verschaffen Sie Ihren Füßen und Beinen auch auf Bus-, Zug- oder Flugreisen möglichst viel Bewegung. Unternehmen Sie einen Ausflug ins Zugrestaurant, gehen Sie, wenn es erlaubt ist, ein wenig im Gang des Flugzeugs umher.
  • Treiben Sie unterwegs Venengymnastik. In unserem Venentraining finden Sie verschiedene Übungen, mit denen Sie Ihre Venen auch im Sitzen entlasten können und die sich teilweise selbst in einem vollbesetzten, engen Urlaubsflieger durchführen lassen.
  • Wählen Sie bei Trips mit Bus oder Flugzeug einen Sitzplatz am Gang. Zum einen können sie dann die Beine bequem ausstrecken, zum anderen fällt es dort leichter, die eine oder andere Venenübung durchzuführen.
  • Achten Sie bei der Kleidung ebenfalls auf Bequemlichkeit. Greifen Sie zu luftigen und eher locker sitzenden Kleidungsstücken, die vor allem an den Beinen, aber auch am Bauch nicht einschnüren.
  • Ziehen Sie unterwegs die Schuhe aus und stattdessen wärmende Socken an. So können Sie Füße und Zehen besser bewegen. Wenn Ihnen das in Flugzeug oder Zug zu unangenehm ist, sollten Sie flaches, komfortables Schuhwerk tragen – zum Beispiel Turn- beziehungsweise Sportschuhe.
  • Verändern Sie häufiger die Sitzposition. Sollte in Bahn und Flieger der Platz gegenüber oder nebenan frei sein, dann nutzen Sie die Gelegenheit und legen Sie die Beine hoch.
  • Vermeiden Sie es möglichst, länger im Sitzen mit angewinkelten oder übereinandergeschlagenen Beinen zu schlafen. Die in dieser Haltung abgeknickten Venen können den Blutfluss beeinträchtigen. Aus diesem Grund sollten Sie sich auch beim Gebrauch von Schlaf- und Beruhigungsmitteln in Zurückhaltung üben – insbesondere auf Fernflügen.
  • Vergessen Sie nicht, auf Flugreisen ausreichend zu trinken. Da im Flugzeug die Luft sehr trocken ist, verliert der Körper vermehrt Flüssigkeit, die wieder ersetzt werden muss. Sonst dickt das Blut ein und das Risiko einer Venenthrombose nimmt zu. Experten empfehlen eine Trinkmenge von mindestens 0,25 Liter pro Flugstunde.
  • Verzichten Sie während der Reise weitgehend auf alkoholische Getränke. Alkohol weitet die Venen, wirkt darüber hinaus entwässernd und stört somit die Blutzirkulation an den Beinen noch zusätzlich.
  • Wenn der Arzt Ihnen eine Kompressionstherapie verschrieben hat, dann sollten Sie ihre Kompressionsstrümpfe in jedem Fall auch während der Reise tragen.
 

Kniehohe Kompressionsstrümpfe verringern nachweislich die Wahrscheinlichkeit, auf Langstreckenflügen eine tiefe Beinvenenthrombose zu entwickeln. Zu diesem Ergebnis kamen Wissenschaftler der renommierten Cochrane Collaboration durch die Auswertung von neun vergleichenden Studien, an denen insgesamt über 2.600 Fluggäste teilnahmen – das Gros davon mit einem nicht oder nur gering erhöhten Thromboserisiko. Wer also auf langen Reisen in Flugzeug, Bus, Bahn oder Auto Kompressionstrümpfe anzieht, geht damit ein Stück weit auf Nummer sicher.

Bei Menschen mit einem sehr stark erhöhten Thromboserisiko gestaltet sich die Situation anders. Dann sollte vor allem bei Flugreisen mit mehr als vier bis sechs Stunden Länge erwogen werden, ob zusätzlich zur Kompression eine vorrübergehende Therapie mit blutgerinnungshemmenden Medikamenten erforderlich ist. Diese Wirkstoffe – in der Regel handelt es sich um eine Heparin-Spritze – beugen der Bildung von Blutgerinnseln in den Beinvenen vor. Ein sehr hohes Risiko liegt vor allem dann vor, wenn Sie schon einmal eine tiefe Venenthrombose oder eine Lungenembolie hatten. Aber auch bei Patienten, die akut an Krebs erkrankt sind oder an einer ausgeprägten Blutgerinnungsstörung leiden, in den letzten vier Wochen am Bein, Becken oder Bauch operiert wurden sowie bei Frauen, die schwanger sind oder erst vor kurzem entbunden haben.

Ausgeprägtes Übergewicht, ein Lebensalter über 60 Jahre, Rauchen, eine chronische Herzschwäche oder die Einnahme weiblicher Hormone erhöhen ebenfalls das Thromboserisiko. Wenn mehrere dieser Faktoren bei Ihnen zusammentreffen, sollten Sie deshalb vor einer längeren Reise mit ihrem Arzt Rücksprache halten. Die gleiche Empfehlung gilt letztlich auch, wenn Sie als Venenpatient zwar kein erhöhtes Thromboserisiko haben, sich vor einem langen Trip mit Flugzeug, Bus, Bahn oder Pkw aber trotzdem unsicher fühlen. Bereden Sie die Situation mit einem Phlebologen.

 

Literatur:
1 Encke A, Haas S, Kopp I et al. S3-Leitlinie zur Prophylaxe der venösen Thromboembolie. Stand 2015. Letzter Zugriff 04.02.2022: www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/003_D_Ges_fuer_Chirurgie/003-001d_S3_VTE-Prophylaxe_2015-12-abgelaufen.pdf
2 Clarke MJ, Broderick C, Hopewell S, Juszczak E, Eisinga A. Compression stockings for preventing deep vein thrombosis in airline passangers. Cochrane Database Systematic Review 2016; CD004002.
3 Powell-Dunford N, Adams JR, Grace C. Medical advice for commercial air travel. Am Fam Physiocian 2021; 104:403–410.
4 Czuprynska J, Arya R. Annotation: travel and thrombosis. Br J Haematol 2020; 188:838–843.
5 Rabe E, Földi E, Gerlach H, Jünger M, Lulay G, Miller A , Protz K, Reich-Schupke S, Schwarz T, Stücker M, Valesky E, Pannier F. Leitlinie: Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten mit Medizinischem Kompressionsstrumpf (MKS), Phlebologischem Kompressionsverband (PKV) und Medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK). Stand 2019. Letzter Zugriff 04.02.2022: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/037-005l_S3k_Medizinische-Kompressionstherapie-MKS-PKV_2019-05.pdf

Prof. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke

Privatpraxis für Haut- und Gefäßmedizin

Hertener Str. 27, 45657 Recklinghausen

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