Kompressionstherapie bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit

M. Stücker

Für die Behandlung phlebologischer und lymphologischer Erkrankungen der Beine und Arme ist die Kompressionstherapie unverzichtbar. Verwendet werden in der Entstauungsphase Kompressionsbandagen oder medizinische adaptive Kompressionssysteme und in der Erhaltungsphase in erster Linie medizinische Kompressionsstrümpfe. Die medizinische Kompressionstherapie der ­Extremitäten hat nur vier Kontraindikationen (siehe Tab. 1).

Während in der täglichen Praxis Kontraindikationen der septischen Phlebitis und der Phlegmasia coerulea dolens aufgrund ihrer Seltenheit nur sehr selten Relevanz haben, führen die beiden anderen Kontraindikationen der fortgeschrittenen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) und der dekompensierten Herzinsuffizienz häufig zu Verunsicherungen bei Verordnern. Hier muss betont werden, dass es sich bei beiden Kontraindikationen jeweils um fortgeschrittene Zustände der genannten Krankheitsbilder handelt.

Bemerkenswert ist, dass keine Publi­kationen vorliegen, bei denen eine medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten zu Nekrosen oder anderen schwerwiegenden Komplikationen bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit geführt haben. Dies ist in erster Linie dadurch zu begründen, dass diesen schwerwiegenden Komplikationen bei den Patienten starke Schmerzen vorausgehen, die sie dazu bringen, den Kompressionsstrumpf bzw. den Kompressionsverband abzulegen. Eine mögliche Ausnahme stellen hier Patienten dar, die zusätzlich zu einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit auch eine schwere Sensibilitätsstörung der Extremität haben und dadurch den kompressionsbedingten Schmerz nicht rechtzeitig bemerken. Von daher ist bei dieser Patientengruppe eine besondere Vorsicht angebracht.

Tab. 1: Kontraindikationen für die medizinische Kompressionstherapie
Kontraindikationen für die medizinische Kompressions­therapieWenn einer dieser Parameter zutrifft
Fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit

- ABPI (Ankle Brachial Pressure Index/Knöchel-Arm-Index) < 0,5
- Knöchel-Arterien-Druck < 60 mmHg
- Zehendruck < 30 mmHg
- tcpO2 < 20 mmHg Fußrücken

Bei Verwendung unelastischer Materialien kann eine
Kompressionsversorgung noch bei einem Knöchel-Arterien-
Druck zwischen 50 und 60 mmHg und bei engmaschiger
klinischer Kontrolle versucht werden

Dekompensierte Herz-insuffizienz (NYHA 3 und 4) 
Septische Phlebitis 
Phlegmasia coerulea dolens 

 

Spezielle Kompressionsmittel für CVI und pAVK

Mit zunehmendem Lebensalter nimmt sowohl die Häufigkeit der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit als auch die Häufigkeit der chronischen Veneninsuffizienz (CVI) zu, so dass gerade beim alten Menschen gehäuft eine Kombination aus beiden Krankheitsbildern auftritt. So haben z. B. 16 % der Patienten mit Ulcus cruris venosum gleichzeitig eine periphere arterielle Verschlusskrankheit.3 Für Patienten, bei denen eine derartige Kombination vorliegt, stehen spezielle Kompressionsmittel zur Verfügung, für die Studien für dieses kombinierte Krankheitsbild durchgeführt worden sind (Tab. 2).

Sowohl für die Kompressionsbandagen5,4 als auch für die Kompressionsstrümpfe11,9 gibt es relativ aktuelle Arbeiten, die die Unbedenklichkeit dieser Systeme für den Einsatz bei pAVK-Patienten bestätigen. Die Kompressionsbandagen verwenden einen niedrigeren Kompressionsdruck. Dieser liegt bei den „Lite“-­Systemen der Mehrkomponenten-Bandagen­systeme bei einem Zielanpressdruck von 20 bis 30 mmHg. Die beiden speziell für die Kombination aus CVI und pAVK entwickelten Kompressionsstrümpfe haben den Ruheanpressdruck der Kompressionsklasse 1, also von 18 bis 21 mmHg. Aufgrund der Strickart gewährleisten sie einen besonders hohen Arbeitsdruck in Bewegung, um dadurch einen optimalen Massageeffekt zu erreichen. Bei Patienten mit Claudicatio intermittens konnte bei standardisierten Gehtests einmal mit Kompressionsstrumpf und einmal mit Placebostrumpf in randomisierter Reihenfolge gezeigt werden, dass es unter einem Kompressionsstrumpf nicht zu einer Einschränkung der Gesamtgehstrecke kommt. Auch der Claudicatio-Schmerz setzt mit dem Kompressionsstrumpf nicht signifikant früher ein als unter einem Placebostrumpf.1

Tab. 2: Kompressionsmittel für die Kombination aus chronischer Veneninsuffizienz und peripherer arterieller Verschlusskrankheit (vgl. Protz, Dissemond, Kröger. Kompressionstherapie. Ein Überblick für die Praxis. Springer 2016) [7]
Kompressionsmittel für die Kombination aus chronischer Veneninsuffizienz und peripherer arterieller Verschlusskrankheit
SystemProdukt/HerstellerKnöchel-Arm-Index
Bandagen:
Mehrkomponentensysteme

3M™ Coban™ 2 Lite Kompres-
sionssysteme (3M Medica)
Jobst® Compri 2 lite
(BSN medical)
PROFORE® Lite
(Smith & Nephew)
UrgoK2 lite (URGO)

≥ 0,5
0,5 – 0,8
0,6 – 0,8
> 0,6

Kompressionsstrümpfe

VenoTrain® angioflow
(Bauerfeind AG)
mediven angio (medi)

 

Positive Effekte der Kompressionstherapie auf die pAVK

Relativ bekannt ist die fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit als Kontraindikation der medizinischen Kompressionstherapie der Beine. Weniger bekannt ist, dass es durch bestimmte kompressionstherapeutische Verfahren auch positive Effekte auf die ­periphere ­arterielle Verschlusskrankheit gibt. Dies konnte bereits 2005 durch Delis und Nicolaides für die intermittierende pneumatische Kompressionstherapie gezeigt werden.2 In dieser Studie wurden zwei Gruppen verglichen, in der einen wurde über fünf Monate über mehr als 2,5 Stunden täglich die intermittierende pneumatische Kompression am Fuß und Unterschenkel angewendet (120 mmHg, Aufpumpen über 4 sec, Ablassen über 16 sec, 3 Zyklen/Minute). In der Kontrollgruppe wurde lediglich nicht supervidiertes Gehtraining empfohlen. Während es in der Kontrollgruppe nicht zu signifikanten Veränderungen kam, stieg die Gehstrecke bis zur initialen Claudicatio in der Gruppe mit intermittierender pneumatischer Kompression von 77,5 m signifikant nach drei Monaten auf 225 m und nach fünf Monaten auf 230 Meter (p<0,005, Anstieg um 197 %). Die absolute Claudicatio-Distanz stieg von 137,5 m auf 429 m nach fünf Monaten (median, p< 0,005) während auch hier in der Kontrollgruppe keine signifikante Verbesserung der Gehstrecke gemessen werden konnte. Parallel dazu stieg der Ruhe-Knöchel-Arm-Index im median von 0,59 auf 0,69 in der Therapiegruppe signifikant innerhalb von fünf Monaten an, während in der Kontrollgruppe keine signifikanten Verbesserungen nachweisbar waren. Aufgrund dieser und anderer Daten wird in einem systematischen Review zur intermittierenden pneumatischen Kompression geschlussfolgert, dass es sich hierbei um eine effektive, nicht invasive Behandlungsoption für Patienten mit Claudicatio intermittens handelt.6 Auch in der aktuellen AWMF-Leitlinie zur intermittierenden pneumatischen Kompression wird eine Indikation zur Behandlung mit einer intermittierenden pneumatischen Kompression bei Patienten mit einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit mit stabiler Claudicatio intermittens oder kritischer Ischämie gesehen, wenn ein angeleitetes Übungsprogramm nicht möglich ist und eine interventionelle oder operative Rekonstruktion nicht in Frage kommt.10

Unter Kompressionsbandagierungen steigt der Zehendruck und der transkutane Sauerstoffpartialdruck auch bei pAVK-Patienten mit einem mittleren Knöchel-Arm-Index von 0,58 signifikant an.5 Auch unter Kompressionsstrümpfen der Klasse 1 steigt die Sauerstoffsättigung und der Laser-Dopplerflux im Knöchelbereich signifikant an.9

Nach den vorliegenden Daten scheint eine medizinische Kompressionstherapie eher positive als negative Auswirkungen auf eine pAVK mit einem Knöchel-Arm-Index ≥ 0,5 und einem Knöchel-Arteriendruck ≥ 60 mmHg zu haben.

Fazit

Bei Patienten, die aufgrund einer chronischen Veneninsuffizienz Ödeme entwickeln und gleichzeitig eine periphere arterielle Verschlusskrankheit aufweisen, können spezielle Bandagen und Kompressionsstrümpfe eingesetzt werden, sofern ­keine kritische Ischämie vorliegt. Liegt der Knöchelarteriendruck über 50 mmHg und der Knöchel-Arm-Index über 0,5, ist die Kompressionstherapie auch bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit möglich. Da die Gehstrecke bei Patienten mit pAVK durch die intermittierende pneumatische Kompression signifikant verbessert werden kann, wäre interessant zu prüfen, ob auch Kompressionsbandagen oder Kompressionsstrümpfe in der Lage sind, die Claudicatio intermittens bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit zu verbessern.

Prof. Dr. Markus Stücker
Geschäftsführender Direktor der Klinik für
Dermatologie, Venerologie und Allergologie,
St. Josef-Hospital, Leitender Arzt am Venenzentrum der Dermatologischen und Gefäßchirurgischen Kliniken der Ruhr-Universität Bochum im St. Maria-Hilf Krankenhaus, Katholisches Klinikum Bochum gGmbH, Bochum

Literatur

1 Cavalcante BR, Ritti-Dias RM, Germano Soares AH,
Domingues WJR, Saes GF, Duarte FH, da Cruz AP, Wolosker N, Puech-Leão P, Cucato GG, Zerati AE. Graduated Compression Stockings Does Not Decrease Walking Capacity and Muscle Oxygen Saturation during 6-Minute Walk Test in Intermittent Claudication Patients. Ann Vasc Surg. 2017 Apr;40:239-242. DOI: 10.1016/j.avsg.2016.10.027. Epub 2016 Dec 5. PMID: 27932292.
2 Delis KT, Nicolaides AN. Effect of intermittent pneumatic compression of foot and calf on walking distance, hemo-
dynamics, and quality of life in patients with arterial claudication: a prospective randomized controlled study with 1-year follow-up. Ann Surg. 2005 Mar;241(3):431-41. DOI: 10.1097/01.sla.0000154358.83898.26. PMID: 15729065; PMCID: PMC1356981.
3 Humphreys ML, Stewart AH, Gohel MS, Taylor M, Whyman MR, Poskitt KR. Management of mixed arterial and venous leg ulcers. Br J Surg. 2007 Sep;94(9):1104-7. DOI: 10.1002/bjs.5757. PMID: 17497654.
4 Ladwig A, Haase H, Bichel J, Schuren J, Jünger M. Compression therapy of leg ulcers with PAOD. Phlebology. 2014 May;29(1 suppl):7-12. DOI: 10.1177/0268355514529507. Epub 2014 May 19. PMID: 24843079.
5 Mosti G, Iabichella ML, Partsch H. Compression therapy in mixed ulcers increases venous output and arterial perfusion. J Vasc Surg. 2012 Jan;55(1):122-8. DOI: 10.1016/j.jvs.2011.07.071. Epub 2011 Sep 23. PMID: 21944912.
6 Oresanya L, Mazzei M, Bashir R, Farooqui A, Athappan G, Roth S, Choi ET, van Bemmelen P. Systematic review and meta-analysis of high-pressure intermittent limb compression for the treatment of intermittent claudication. J Vasc Surg. 2018 Feb;67(2):620-628.e2. DOI: 10.1016/j.jvs.2017.11.044. PMID: 29389425.
7 Protz K, Dissemond J, Kröger K. Kompressionstherapie. Ein Überblick für die Praxis. Springer-Verlag 2016. Berlin
8 Rabe E, Földi E, Gerlach H, Jünger M, Lulay G, Miller A, Protz K, Reich-Schupke S, Schwarz T, Stücker M, Valesky E, Pannier F. Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten mit medizinischem Kompressionsstrumpf (MKS), phlebologischem Kompressionsverband (PKV) und medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK) : S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (DGP) in Kooperation mit folgenden Fachgesellschaften: DDG, DGA, DGG, GDL, DGL, BVP [Medical compression therapy of the extremities with medical compression stockings (MCS), phlebological compression bandages (PCB), and medical adaptive compression systems (MAC) : S2k guideline of the German Phlebology Society (DGP) in cooperation with the following professional associations: DDG, DGA, DGG, GDL, DGL, BVP. German version]. Hautarzt. 2021 Feb;72(2):137-152. German. DOI: 10.1007/s00105-020-04734-9. PMID: 33301064.
9 Rother U, Grussler A, Griesbach C, Almasi-Sperling V, Lang W, Meyer A. Safety of medical compression stockings in patients with diabetes mellitus or peripheral arterial disease. BMJ Open Diabetes Res Care. 2020 Jun;8(1):e001316. DOI: 10.1136/bmjdrc-2020-001316. PMID: 32503811; PMCID: PMC7279622.
10 Schwahn-Schreiber C, Breu FX, Rabe E, Buschmann I, Döller W, Lulay GR, Miller A, Valesky E, Reich-Schupke S. S1-Leitlinie Intermittierende Pneumatische Kompression (IPK, AIK) [S1 guideline on intermittent pneumatic compression (IPC)]. Hautarzt. 2018 Aug;69(8):662-673. German. doi: 10.1007/s00105-018-4219-1. PMID: 29951853.
11 Stücker M, Danneil O, Dörler M, Hoffmann M, Kröger E, Reich-Schupke S. Sicherheit eines Kompressionsstrumpfes für Patienten mit chronischer venöser Insuffizienz (CVI) und peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK). J Dtsch Dermatol Ges. 2020 Mar;18(3):207-214. German. doi: 10.1111/ddg.14042_g. PMID: 32130780.

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