11 Fragen zu Schwangerschaft und veganer Ernährung

Vegane Ernährung liegt im Trend. Doch der Verzicht auf tierische Produkte und damit auch dem fast ausschließlichen Vitamin-B12-Lieferanten kann Risiken in der Schwangerschaft und Stillzeit mit sich bringen. Denn bei einem (ungeborenen) Baby ist Vitamin B12 für die neurologische Entwicklung notwendig. Prof. Dr. med. Stefan Eber, Kinderarzt in München, sieht in seiner Praxis häufig die Folgen eines Vitamin-B12-Mangels bei Kindern und plädiert für eine gute Aufklärung von Veganerinnen. Im Folgenden stellen wir seine 11 wichtigsten Fakten zu veganer Ernährung in der Schwangerschaft vor.

1. Wie kann Vitamin B12 aufgenommen werden?

Vitamin B12 wird über die Nahrung aufgenommen und ist vor allem in Tierprodukten wie Eiern, Fleisch und Milch enthalten. Veganer und Vegetarier gehören daher zur Risiko­gruppe eines nahrungsbedingten Vitamin-B12-Mangels. Mithilfe von Mikroorganismen hergestellte Lebensmittel wie Sauerkraut, Bier oder fermentierte Sojaprodukte können geringe Mengen an Vitamin B12 enthalten. Es ist aber noch nicht endgültig erforscht, wie und in welcher Menge das pflanzliche Vitamin B12 vom Menschen aufgenommen werden kann. Es wird daher z. B. von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt* und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlen, bei veganer Ernährung die Vitamin-B12-Versorgung mit Nahrungsergänzungsmitteln zu sichern. Denn eine vegane Ernährung führt ohne Supplementierung in der Regel zu einem Mangel.


2. Wo liegen die Referenz­werte für Vitamin B12?

Die Referenzwerte der DGE für die tägliche Zufuhr von Vitamin B12 wurden 2018 erhöht. Schwangere benötigen zur Auffüllung der Speicher 4,5 μg/Tag. Für stillende Frauen werden 5,5 μg/Tag empfohlen, da sie für die Milch etwa 1 μg Vitamin B12 benötigen. Streng vegan lebende Frauen haben im Durchschnitt eine tägliche Vitamin-B12-Aufnahme von nur 0,4 µg, also ein Zehntel davon.

Referenzwert1

Die Schätzwerte für eine angemessene Zufuhr von Vitamin B12 sind altersabhängig:

  • Im Verlauf der Kindheit steigen sie von 0,5 µg/Tag für Säuglinge im Alter von 0 bis unter 4 Monaten auf 4,0 µg/Tag für Jugend­liche und Erwachsene.
  • Schwangere und Stillende haben einen erhöhten Bedarf 4,5 µg/Tag bzw. 5,5 µg/Tag.
 



3. Wieso ist Vitamin B12 in der Schwangerschaft wichtig?

Vitamin B12 ist grundlegend wichtig für den Aufbau und die Gesundheit von Nervenzellen und Nervenbahnen. Bereits im Mutterleib benötigt das Ungeborene daher ausreichend Vitamin B12, damit sich das Gehirn richtig entwickeln und wachsen kann. Die Versorgung des Babys mit dem wichtigen Vitamin ist von der Versorgung der Mutter abhängig. Eine vegane Ernährung der Schwangeren ohne das Vitamin in ausreichend hoher Dosis zu ergänzen, oder eine nicht erkannte perniziöse Anämie oder Zöliakie kann daher zu einer Unterversorgung beim Neugeborenen führen. Frauen, die zu Beginn der Schwangerschaft einen niedrigen Vitamin-B12-Spiegel haben, gebären Kinder mit einem Mangel. Die Symptome des Mangels entwickeln sich in den ersten Wochen oder Monaten postpartum.

Auch ausschließliches Stillen unter Vitamin-B12-Mangel setzt die Unterversorgung fort.


4. Welche Folgen hat ein Vitamin-B12-Mangel ?

Für die Schwangere selbst ist das Risiko für eine Anämie und neuro- oder psychiatrische Störungen (wie Polyneuropathie, Verlust des Vibrationsempfindens, Paresen, Depressionen) erhöht.

Während der Schwangerschaft kann ein Vitamin-B12-Mangel zu einer verlangsamten Entwicklung des Neugeborenen führen. In schweren Fällen könne neuronale Fehlentwicklungen wie Neuralrohrdefekte die Folge sein. Bleibt der Mangel lange Zeit unbekannt können ernsthafte neuro­logische und neuropsychiatrische Erkrankungen bis hin zu Demenz, Schizophrenie oder Querschnittslähmung die Folge sein. Bei den zugrunde liegenden Mechanismen handelt es sich um verzögerte Myelinisierung oder Demyelinisierung von Nerven. Außerdem wird ein Ungleichgewicht der neurotrophen und neurotox­ischen Zytokine diskutiert.

Zu beachten ist, dass auch schon ein verborgener Mangel zu mikrostrukturellen zerebralen Läsionen führen kann, die – wenn man rechtzeitig Vitamin ergänzt – wieder rückgängig gemacht werden können.


5. Wie kann sich der Mangel noch bemerkbar machen?

Niederländische Forscher haben einen direkten Zusammenhang zwischen der pränatalen Aufnahme von Vitamin B12 und dem ruhigeren Wesen des Babys nach der Geburt entdeckt.2 Entscheidend scheint hier die erste Periode der Schwangerschaft zu sein. In dieser Zeit untersuchten die Niederländer das Blut von knapp 3.000 schwangeren Frauen und analysierten die Konzentration von Vitamin B12. Das Ergebnis: Je geringer der Anteil an Vitamin B12 war, desto eher neigten die Babys nach der Geburt zu einem auffälligen Schreiverhalten. Ein früher ­Vitamin-B12-Mangel in der Schwangerschaft kann sich demnach auch noch auf das Neugeborene auswirken.


6. Können die Folgen wieder Rück­gängig gemacht werden?

Die schwere zerebrale Schädigung des Säuglings bei zu spät erkanntem Vitamin-B12-Mangel ist auch durch eine lege artis angewandte Substitution nicht mehr zu heilen. In Einzelfällen droht dem Kind eine lebenslange geistige Behinderung.


7. Wie sind die Erfahrungen in der Pädiatrie?

Prof. Eber hat in den letzten drei Jahren bei 151 Kindern/Jugendlichen einen Vitamin-B12-Mangel festgestellt. Dieser ging häufig mit einem Eisen- und selten mit einem Vitamin-K-Mangel einher. Nur 30 der Kinder/Jugendlichen (und vermutlich der dazugehörigen Mütter) haben angegeben, dass sie sich vegan oder vegetarische Ernähren. Auf Nachfrage, ob die restlichen Kinder (und deren Mütter) dreimal die Woche Fleisch essen, gaben 100 % „nein“ an. Das heißt, die Problematik besteht nicht nur bei Veganerinnen/Vegetarierinnen, sondern generell auch bei vielen Frauen.


8. Was sind die Marker zur Diagnostik des Vitamin-B12-Mangels?

Die Bestimmung des Gesamt-Vitamin-B12 im Serum ist ein später und unspezifischer Marker. Zum Nachweis eines frühen Mangels ist die Bestimmung von Holotrans­cobalamin (Holo-TC) und Methylmalonsäure (MMA) besser geeignet. Ist Holo-TC deutlich erniedrigt (< 35 pmol/l), ist ein Mangel wahrscheinlich. Zur Bestätigung sollte dann zusätzlich die MMA-Plasmakonzentration bestimmt werden (> 300 nmol/l). Bei einer Holo-TC-Konzentration von < 75 pmol/l ist ein Magel möglich und es erfolgt die weitere Abklärung ebenfalls über MMA (siehe Kasten). Bestätigt sich ein Mangel, sollte die Mutter substituiert werden, aber auch das Neugeborene sollte untersucht und behandelt werden.

Marker für Vitamin-­B12-Mangel

Holo-TC > 75 pmol/l

MMA < 300 nmol/l

Mangel unwahrscheinlich

Holo-TC 35–75 pmol/l

MMA > 300 nmol/l

Mangel möglich

Holo-TC <35 pmol/l

NMA > 750 nmol/l

Mangel wahrscheinlich

Holo-TC: Holotrans­cobalamin, MMA: Methylmalonsäure

9. Wie sollte ein Vitamin-B12-Mangel behandelt werden?

Bei einem leichten Mangel wird 1 mg/Tag oral verabreicht. In der Schwangerschaft sollte man mit 500 µg etwas vorsichtiger sein. Die Gabe kann auf 2 – 3 Dosen über den Tag aufgeteilt werden, um die Resorption zu erhöhen. Bei einem schweren Mangel sollte sofort intramuskulär Vitamin B12 gegeben werden, um die Speicher möglichst schnell aufzufüllen. Hier empfiehlt sich 4 x 1 mg i. m. innerhalb von zwei Wochen bevor dann eine orale Gabe von 1 mg/Tag erfolgen kann.

Zu beachten ist, dass eine Vitamin-B12- Supplementation während der Schwangerschaft zum Fetus transportiert wird und nicht immer den Mangel bei der Schwangeren korrigiert.

10. Gibt es noch weitere Nährstoffmängel bei veganer Ernährung?

Eine Ernährung ohne tierische Produkte enthält meist weniger Fette und Proteine als eine Mischkost. Daher können auch andere Stoffe wie Folsäure, Jod oder Omega-3-­Fettsäuren wie z. B. Docosahexansäure (DHA) bei veganer Ernährung mangelhaft sein und sollten untersucht werden. Multi­vitaminpräparate für Schwangere enthalten in der Regel eine Vielzahl an wichtigen Nährstoffen.

11. Wie sollten vegane Schwangere beraten werden?

Der Kontakt zu den werdenden Müttern sollte genutzt werden, und diese sind im Hinblick auf einen gesunden Lebensstil mit ausgewogener Ernährung umfassend aufzuklären. Jede vegan lebende Schwangere sollte sich darüber im Klaren sein, dass ihre Ernährung Risiken für das Wohl des Kindes birgt, die oft unterschätzt werden. Der für das Kind natürlichste und gesündeste Weg ist, dass die Mutter sich selbst ab dem Beginn der Familienplanung bis zum Ende der Stillzeit nicht vegan ernährt, sondern zumindest Eier, Milchprodukte und zusätzlich regelmäßig Fisch verzehrt. Eventuell könne der Kauf von tierischen Produkten aus kontrollierter und artgerechter Haltung helfen, schwangere Mütter zu motivieren doch zeitlich begrenzt die Ernährung umzustellen.

Wenn die Frau ihre Ernährungsweise jedoch beibehalten möchte, lässt sich durch Supplementation eine knapp adäquate Versorgung sicherstellen. Es sollte eine individuelle Ernährungsberatung erfolgen, um einem Nährstoffmangel und daraus folgenden Schädigungen der kindlichen Entwicklung vorzubeugen.

 

  • Zusammenfassung Eine vegane Ernährung führt ohne konsequente Supplementierung regelmäßig zu einem Vitamin-B12-Mangel
  • Die nicht ausreichende Zufuhr von Vitamin B12 in der Schwangerschaft und Stillzeit kann Mangel­erscheinungen beim Säugling hervorrufen. Daher sollten schwangere und stillende Frauen bei veganer Ernährung eine adäquate Menge Vitamin B12 über orale Supplemente zuführen
  • Bei einer rein pflanzlichen Ernährung sollten die Personen ärztlich überprüft und eine individulelle Ernährungsberatung erfolgen
  • Nicht nur Jod und Folsäure, sondern auch zusätzliche Mikronährstoffelemente und Proteine sollten eingenommen werden, um Mängeln vorzubeugen
  • Optimal wäre ein Screening auf ­Vitamin-B12-Mangel aller Frauen mit Kinderwunsch, Schwangeren und Säuglinge, die aus einer Risiko­schwangerschaft (vegane oder vegetarische Ernährung der Mutter, perniziöse Anämie oder bekannte Stoffwechselerkrankung der Mutter wie z. B. Zöliakie) stammen
     

 


dal

1 Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
2 Goedhart G et al., Early Hum Dev. 2011 Apr;87(4):309-14. doi: 10.1016/j.earlhumdev.2011.01.037.

* Die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt ist eine deutschlandweit tätige Tierschutz- und Tierrechtsorganisation, die sich insbesondere für die Abschaffung der Massentierhaltung und die Verbreitung der veganen Lebensweise einsetzt.

Quelle: Frauenärztlicher Fortbildungskongress FOKO 2019 Düsseldorf. 21.02.2019: Prof. Dr. med. Stefan Eber, Vegane Ernährung und Vitamin-B12-Mangel bei Schwangeren

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