Fertilitätsprotektion – Beratung und Durchführung

Aufgrund der zunehmenden Heilungschancen von Krebserkrankungen rückt die Bedeutung der Lebensqualität nach einer überstandenen zytotoxischen und/oder Strahlentherapie zunehmend in den Fokus. Die Beratung über den Schutz der Fruchtbarkeit vor geplanten Behandlungen, welche die künftige Zeugungsfähigkeit der Patientin einschränken können, steht im Mittelpunkt des FertiPROTEKT Netzwerk e. V.


Kostenübernahme Die Beratung zur Fertilitätsprotektion sowie die entsprechende Diagnostik sind bereits jetzt Leistungen der Krankenkassen.

Der Gesetzentwurf zur Kostenübernahme von fertilitätsprotektiven Maßnahmen wurde im Mai 2019 verabschiedet. Die Erarbeitung einer Richtlinie zur Umsetzung des Gesetzes ist aber bisher noch nicht abgeschlossen und daher auch der genaue Leistungsumfang aktuell unklar. Die hoffentlich zeitnah zu erwartende Regelung dieser offenen Fragen würde die Maßnahmen der Fertilitätsprotektion der breiten Bevölkerung zugänglich machen, da die Sorgen durch die zusätzliche finanzielle Belastung neben der bereits stark psychisch belastenden Neuerkrankung entfallen.

Es empfiehlt sich allerdings bereits jetzt, Anträge zur Kostenerstattung bei der jeweiligen Krankenkasse einzureichen, wenn die Indikation und Behandlung ab Gesetzeseintritt im Mai 2019 erfolgte.

Das Interesse an der Fertilitätsprotektion ist unter anderem durch die bei vielen onkologischen Erkrankungen verbesserten Überlebensraten gestiegen, was wiederum das Interesse an Themen wie der späteren Lebensqualität inklusive der Erfüllung des Kinderwunsches befördert hat. Da die Familienplanung in den letzten Jahrzehnten zunehmend prolongiert wird, ist es außerdem nicht unwahrscheinlich, dass die Reproduktion zum Zeitpunkt der Erstdiagnose noch nicht begonnen bzw. abgeschlossen ist.

Aus diesen Gründen wuchsen sowohl der Beratungsbedarf als auch die Motivation zur Durchführung der sich stetig weiter entwickelnden fertilitätsprotektiven Maßnahmen. Ein weiterer Beitrag ist durch die Regelung der Kostenübernahme fertilitätsprotektiver Leistungen zu erwarten (siehe Kasten).

Voraussetzung für eine zeitnahe und qualifizierte Beratung sowie ggf. Umsetzung der protektiven Konzepte sind logistische Netzwerke inklusive der beratenden und die therapeutischen Optionen realisierenden Zentren.

FertiPROTEKT Netzwerk e. V.

Das im Jahr 2006 gegründete Netzwerk ist seit Dezember 2015 ein eingetragener Verein. Mitglieder im FertiPROTEKT Netzwerk e. V. sind Zentren, deren Ziel es ist, die Fertilität bei Frauen im reproduktiven Alter mit einer geplanten keimzellschädigenden Therapie zu erhalten. Dies betrifft Frauen:

  • vor Chemotherapien und/oder
    Bestrahlungen des kleinen Beckens/Ganzkörperbestrahlungen;
  • vor Ovargewebeverlust durch Operationen bei Krebserkrankungen;
  • mit benignen Erkrankungen, wie z. B. dem Lupus erythematodes mit Nierenbeteiligung oder hämatologischen Krankheitsbildern vor Stammzelltransplantation.

Aktuell umfasst der Verein 143 Mitgliedszentren (Deutschland: 124, Österreich: 12, Schweiz: 7; Stand: Juni 2020), die ihre Beratungen im Register von FertiPROTEKT, verknüpft mit dem deutschen IVF-­Register (D.I.R.), dokumentieren.

Der Verein steht für eine ergebnisoffene individuelle Beratung über die möglichen fertilitätsprotektiven Therapien. Daher halten die Mitgliedszentren alle fertilitätsprotektiven Maßnahmen vor bzw. kooperieren, um bei Bedarf zeitnah alle Optionen umsetzen zu können. Möglich sind neben der medikamentösen „Ruhigstellung“ der Ovarien auch die Kryokonservierung von Keimzellen nach einer ovariellen Stimulation oder die Kryokonservierung von Ovargewebe. Darüber hinaus verpflichten sich alle Mitglieder des Netzwerkes zur Fortbildung durch die regelmäßige Teilnahme an den früher jährlichen, jetzt zweijährigen Arbeitstreffen.

Für wen kommt eine Fertilitätsprotektion in Frage?

Sollte sich eine Frau noch im reproduktionsfähigen Alter befinden, stellt sich zunächst die Frage, ob eine fertilitätsprotektive Therapie angeboten werden sollte oder eher nicht. Grundsätzlich sollte jede Frau das Recht haben, sich über die Möglichkeit solcher Maßnahmen zu informieren. Dennoch ist es nicht sinnvoll, jede Patientin für eine fertilitätsprotektive Beratung in ein spezialisiertes Zentrum zu schicken, da ansonsten fertilitätsprotektive Maßnahmen auch dann ergriffen werden könnten, wenn diese aufgrund der geringen Gonadotoxizität der Behandlung gar nicht erforderlich wären. Außerdem resultieren bei einer schlechten Prognose der Patientin unrealistische Erwartungen und möglichweise unnötige Risiken bei der Durchführung solcher Therapien.

Deswegen sollten fertilitätsprotektive Maßnahmen nur dann erfolgen, wenn:

  1. die Prognose, d. h. die Heilungswahrscheinlichkeit, hoch ist,
  2. das Risiko für eine Sterilität durch die (meist) onkologische Therapie mittelhoch bis hoch ist,
  3. die fertilitätsprotektiven Maßnahmen risikoarm und effektiv sind.

Eine Kernaufgabe der Beratung ist die individuelle Beurteilung der Indikation für oder auch gegen eine fertilitätsprotektive Maßnahme. Eine Orientierung für die Vorgehensweise bei der Indikationsstellung zur Fertilitätsprotektion bei Frauen gibt Abb. 1. Selbstverständlich erfordert jedes Schema eine individuelle Adaptation des Vorgehens. Die im Flowchart genannten Kriterien werden im Ferti­PROTEKT-Buch „Indikation und Durchführung fertilitätsprotektiver Maßnahmen bei onkologischen und nicht-onkologischen Erkrankungen“ in weitgehend einheitlicher Form für eine Vielzahl von Erkrankungen beschrieben.

FertiPROTEKT-Buch

Anfang 2016 erschien die 1. Auflage des FertiPROTEKT-Buches „Indikation und Durchführung fertilitätsprotektiver Maßnahmen bei onkologischen und nicht-onkologischen Erkrankungen“, initiiert und geschrieben von zahlreichen Autoren des Vereins.

Die in den letzten Jahren erfolgte wesentliche Weiterentwicklung des Themengebietes machte eine umfassend revidierte und erweitere 2. Auflage notwendig. Entstanden und im März 2020 publiziert wurde ein knapp 400 Seiten umfassendes kleinformatiges Buch mit ca. 30 Kapiteln inklusive zahlreicher praxisrelevanter Tabellen und Flowcharts, welche die/den Leser/in durch die fertilitätsprotektiven Behandlungen lotsen. Dadurch besteht die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit die Kriterien für oder gegen eine Fertilitätsprotektion nachzuschlagen und die Patienten nach einer profunden Beratung ggf. in die Hände erfahrener Kinderwunschzentren weiterzuleiten. Der Download des Buchs ist kostenlos z. B. über die Homepage des Ferti­PROTEKT Netzwerk e. V. möglich (www.fertiprotekt.com).

Das Buch erscheint im September 2020 zusätzlich beim Springer Verlag in einer englisch-sprachigen Version und ist damit auch internationalen Interessentinn/en zugänglich.

1 Wolff M., Nawroth F. (Hrsg.) Indikation und Durchführung fertilitätsprotektiver Maßnahmen bei onkologischen und nicht-onkologischen Erkrankungen. Schmidt & Klaunig, Druckerei und Verlag, Kiel, 2020

  • Weitere Informationen und Literatur über:
    FertiPROTEKT Netzwerk e. V. – Geschäftsstelle
    Anne Becker, Weißdornweg 17, 35041 Marburg, E-Mail: info@fertiprotekt.com
  • www.fertiprotekt.com

     


Prof. Dr. med. Frank Nawroth,
Vorstandsmitglied FertiPROTEKT Netzwerk e. V.,
amedes MVZ Hamburg

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