HPV-Impfung braucht Plan B

Die Nutzungsrate präventiver HPV-Impfungen ist niedrig, so liegt diese in Baden-Württemberg und Bayern z. B. jeweils bei 22 %. Bundesweit liegt die HPV-Impfquote bei 15-jährigen Mädchen bei ca. 30 %. Höhere HPV-Impfquoten werden durch die Informationskampagnen kaum erreicht. Deshalb ist es sinnvoll Frauen auch über Alternativen aufzuklären. An erster Stelle steht der Erhalt eines intakten Vaginoms.

Frauen, die die gynäkologische Vorsorge nicht nutzen, sind kaum für HPV-Impfungen erreichbar. Daher gibt es keinen 100 %igen Schutz der Frauen vor einem Zervixkarzinom – die derzeitige Quote der HPV-Impfung erreicht nur ca. 70 %.


Daher benötigt es einen Plan B:
Intensiver über den Schutz eines intakten Vaginoms bzw. Vaginose-­Symptome und vermeidbare Risikofaktoren aufklären.


Ein intaktes Vaginom schützt vor Infektionen

Das komplexe Ökosystem Vaginom wird durch einen riskanten Lebensstil, wie Nikotinkonsum und mangelnde Genitalhygiene, gestört. Beides sind wesentliche Risikofaktoren für ein Zervixkarzinom. Zudem sind sie mit einem hohen Risiko für bakterielle Vaginosen (BV) assoziiert. Letztere werden bei der gynäkologischen Vorsorge generell bei ca. 5 % der Frauen und bei ca. 10 % der Schwangeren festgestellt. Bei BV fehlt in der Regel die Dominanz der schützenden Laktobazillen, die erfolgreich HPV-­Infektionen abwehren können. Unser Immunsystem ist recht gut auf die HPV-Abwehr eingestellt. 8 bis 9 von 10 jungen Frauen machen solch eine Infektion durch und haben kaum Symptome. Bei 9 von 10 kommt es zur Spontan-Heilung.

Es gibt ca. 4.400 Frauen mit Zervixkarzinom-Neuerkrankungen pro Jahr (bei 42 Millionen weiblicher Bevölkerung). Bei ca. 1 von 10.000 Frauen funktioniert dieser Schutz daher nicht. Darunter sind wesentlich jene 5 % Frauen, die an BV leiden. Diese Gruppe benötigt daher eine hohe Aufmerksamkeit. Das gilt auch für die 10 % der Schwangeren mit Dysbiose und dem damit einher­gehenden Abort- und Frühgeburts­risiko. Letzteres ist nach wie vor das größte geburtsmedizinische Problem.

Metaanalyse bestätigt die Evidenz von Plan B

Am Schutz vor HPV durch ein intaktes Vaginom gibt es keinerlei Zweifel. Das gilt nach vielen Studien auch für HPV-Hochrisikotypen.1

Eine große Metaanalyse von Anfang 20201 untersuchte den Zusammenhang von Vaginom-Zusammensetzung und HPV-Infektionen sowie zervikaler Dysplasie und Krebs. Vier große Datenbanken wurden genutzt. Ausgewertet wurden alle Originalstudien, in denen Bakterien mit molekularen Techniken identi­fiziert und auf Zusammenhänge mit HPV-Infektionen, Dysplasie und Krebs überprüft wurden.

Die Ergebnisse unterstreichen Plan B: Vaginome ohne Lakto­bazillen bzw. mit Lactobacillus iners, gingen mit einer fünfmal höheren Wahrscheinlichkeit für HPV einher.

Das galt auch für HPV-Hoch­risikotypen, Dysplasien und Gebärmutterhalskrebs: hierfür war die Wahrscheinlichkeit um den Faktor 3 höher als bei einem Laktobazillen-­dominierten Vaginom, allen voran Lactobacillus cispatus.

Die Studienautoren erklären das Vaginom als „Marker“ für das Zervix-­Dysplasie-Risiko.

1- bis 2-jährige Vorsorgekontrollen beibehalten

Das regelmäßige 1- bis 2-jährige Kontrollieren auf ein intaktes Vaginom zielt auf ein zügiges Erkennen von Vaginosen ab. Bei einem intakten Vaginom kommen deutlich weniger sexuell übertragbare Krankheiten vor. Dieser Schutz ist bei Vorsorge-Konsultationen den Frauen mitzuteilen. Das gilt auch für den Schutz vor Aborten und Früh­geburten bei intaktem Vaginom.

BV diagnostizieren und nicht pathologisieren

Warum es zur „Verdrängung“ der Laktobazillen kam, ist in der Regel individuell anamnestisch erklärbar. Stets ist an den Partner als Ursache zu denken. Wenn keine Symptome angegeben werden, bedarf es keiner Labortests.

Den Frauen ist mitzuteilen, dass es sich bei Vaginose um keine exogene Ansteckung handelt und keine Entzündung vorliegt. Das ist abzugrenzen von einer Vaginitis. Letztere geht mit Schmerzen, Dyspareunie, Vulva-/Vaginal-Rötung und Juckreiz einher. Das ist natürlich therapiebedürftig. Demgegenüber ist die Vaginose den Frauen als mikrobielle Verschiebung zu erklären. Dazu gehört der Hinweis auf ein höheres Risiko für Ansteckungen mit sexuell übertragbaren Erkrankungen.

Länger bestehende BV und das damit gestörte Vaginom sind als mögliches Zervixkarzinom-Risiko rechtzeitig mit 1-Jahres-Kontrollen zu erkennen und hat für Frauen im fertilen Alter den „Nebeneffekt“ einer geringeren „Zervixkrebs-Pathologisierung“. Zu Letzterem seien 90.000 Zervix-Konisationen pro Jahr versus ca. 4.400 Zervixkarzinom-Neuerkrankungen (20 zu 1) genannt. Das kann von einem Kinderwunsch abhalten bzw. die Operation zur Zervix-­Insuffizienz führen.

Regelmäßiger Mikroskop-Einsatz

Zur Diagnose entzündlicher Probleme im Vaginalsekret wird zu wenig das Mikroskop eingesetzt. Stattdessen „florieren“ labortechnische Methoden. Damit wird diagnostische Verantwortung abgegeben. Die Fähigkeit des direkten Nachweises von Trichomonaden, Hyphen von Hefen usw. muss zurückgewonnen werden – via Mikroskop-Nutzung. Erst beim Rezidiv folgen Kulturmethoden. Dazu folgende Ergänzung.

Kolposkopieren „reaktivieren“:

1925 wurde die Kolposkopie in der Gynäkologie eingeführt. Im Zuge des neuen Zervix-Krebs-Screenings wird eine Abklärungs-Kolposkopie gefordert. Nur wenige Gynäkologen haben ein Zertifikat dafür. In einigen Kliniken gibt es keine Kolpo­skopie-Geräte. Damit fehlen Kenntnisse aus der Weiterbildungszeit.

Zervix-Krebs-Risiko relativieren

Folgende Neuerkrankungsraten an Krebs gibt es bei Frauen pro Jahr: Brustkrebs 69.000, Darmkrebs 26.000, Lungenkrebs 21.500, Corpus-Ca 11.000, Ovarial-Karzinom 7.300, Zervix-Karzinom 4.400 und Vulva-Karzinom 3.300. Das berechtigt kaum die gynäkologische Vorsorge so sehr auf Zervix-Krebs zu fokussieren – bei ohnehin abnehmender Inzidenz. Von 2016 – 2020 gingen Zervix-Krebs-Neu­erkrankungen um 29 % zurück. Das kann noch nicht auf HPV-Impfungen basieren. Nur 3 % aller Krebserkrankungen sind mit HPV assoziiert.

Neues HPV-Screeningkonzept ist kaum ökonomisch

Von allen medizinischen Maßnahmen wird Zusatznutzen und Wirtschaftlichkeit erwartet. Was ein verhinderter Todesfall aufgrund eins Zervixkarzinoms mittels HPV-Impfung/-Screening kostet, ist offen.

Zu dem hier vorgeschlagenen Plan B sind Anhaltsdaten bekannt. Exemplarisch ein Kostenhinweis bezogen auf Frühgeburtlichkeit2: Bei der Primärversorgung von Frühgeborenen auf einer neonato­logischen Station am 1. und 2. Lebenstag ergeben sich Mehrkosten von über 10.000 € pro Fall im Vergleich zu Nicht-Frühgeborenen. Für diese kurze Zeit hochgerechnet würde via Frühgeburten-Prävention eine jährliche Einsparung von 130 Millionen Euro veranschlagt.2

Frühgeburtenprävention effizient via Nativ-Präparat plus Beratung

Seit 10 Jahren liegt in Deutschland die Frühgeburtenrate bei ca. 9 % – gefolgt von einer hohen neonatalen Morbidität und Mortalität. Da es keine kausale Therapie gibt, hat hier die Prävention einen hohen Stellenwert.3

Bei drohender Frühgeburt bewirken körperliche Schonung und Bettruhe keine Senkung der Frühgeburtenrate. Den Schwangeren wird damit nur ein höheres VTE-Risiko zugemutet – ohne Nutzen für das Ungeborene.4 Vor der 28. SSW geborene Kinder haben eine Mortalitätsrate von 33 %.4 Mit einer off-label Progesteron-Vaginal-Applikation wird die Frühgeburtenrate vor der 33. SSW von 23 % auf 15 % gesenkt. Das ist jedoch zu wenig. Auch eine Zervix-Cerclage oder eine Vaginal-Pessar-Einlage ist enttäuschend, denn mit dem eingebrachten Fremdkörpermaterial werden Infektionen ausgelöst. Große Studien zeigten keine Senkung der Frühgeburtenrate, auch nicht in Kombination mit vaginal appliziertem Progesteron.5

BV vor Schwangerschaft erkennen als erfolgreichste Strategie

Bei einer BV-Rate von über 10 % bei Schwangeren muss angestrebt werden, präventiv erfolgreich zu sein. Erst dann mit einer antibiotischen Behandlung zu beginnen, bringt nach einer Cochrane-Analyse nichts, bezogen auf weniger Frühgeburten vor der 37. SSW.1 Mit der Berücksichtigung von Plan B wäre viel Leid bei den zu früh geborenen Kindern und deren Müttern vermeidbar, mit einer erheblichen Kosteneinsparung im Gesundheitswesen.

Hinzu kämen weniger Zervixkarzinome durch rechtzeitiges Erkennen von BV, also vor der Chronifizierung in Form einer HPV-Infektion als Krebsrisikofaktor. Dazu braucht es nur in Ausnahmefällen eine mikrobiologische Diagnostik und eine antibiotische Therapie.
 

Zusammenfassung

HPV-Prävention wird von einem Drittel der Frauen wahrgenommen. Die anderen zwei Drittel brauchen Alternativen, um das Risiko für ein Zervixkarzinom gering zu halten. Nach einer großen Metaanalyse schützt ein intaktes Vaginom auch vor Hochrisiko-HPV-Typen. Darauf zu achten, ist die patienten-­orientierte Herausforderung für jene, die keine HPV-Impfung wollen.

Zur Vermeidung von bakteriellen Vaginosen (BV) ist neben dem Verzicht auf Nikotin und Alkohol die Genitalhygiene des Partners anzusprechen. Zudem ist im fertilen Alter stets an mögliche Schwangerschaften und deren Risiken durch BV zu denken.

Nur eine kleine Risiko-Gruppe bedarf der HPV-Impfung, z. B. Immuninsuffizienz.


1. Norenhag J et al:The vaginal microbiota, human papillomavirus and cervical dysplasia: a systematic review and network meta-analysis. BJOG. 2020 Jan; 127 (2):171-180. doi: 10.1111/1471-0528.15854. Epub 2019 Jul 17.
2.Kirschner W et al: Kosten der Früh- und Nichtfrühgeburten und die Effektivität und Effizienz von Präventionsprogrammen am Beispiel von BabyCare. Präv Gesundheitsf 2009.4:41-50
3.Saling E et al: Laktobazillen- Schutzsystem bei Schwangeren-effiziente Vermeidung von Frühgeburten durch Früherkennung von Störungen Z. Geburtshilfe Neonatol. 2005;209(4):128-134
4.Berger R et al: Risikobezogene Prävention der Frühgeburt in der ambulanten Versorgung. Deutsches Ärzteblatt Heft 50 13.12.2019 858-864
5. Perez-Lopez FR et al: Effectiveness of the cervical pessary for the prevention of preterm birth in singleton pregnancies with a short cervix: a meta-analysis of randomized trials. Arch Gynecol Obstet 2019;299:1215-31

Prof. Dr. med. Dipl. Psych. J. M. Wenderlein  
Universität Ulm
wenderlein@gmx.de

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