Intaktes Vaginom effizienter als HPV-Impfung zur Prävention?

Teil 2 – Lebensstil und HPV-Test

Frauen mit Gebärmutterhalskrebs weisen in der Regel sowohl anamnestisch als auch bei der klinischen Untersuchung und im Vaginalsekret typische Risikofaktoren für diese Krebs­erkrankung auf – mit wenigen Ausnahmen. Im Medizinstudium wird bereits vermittelt, dass die Vermeidung von z. B. Rauchen das Krebsgeschehen senken kann. Dieses Wissen sollte noch mehr zur primären Krebsprävention eingesetzt werden, indem Frauen über die Risikofaktoren aufgeklärt werden. Jene mit gesundheitsbewusstem Lebensstil können solche Empfehlungen leicht erfolgreich umsetzen.

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 ► Teil 1: Das optimale Vaginom

Die Diagnostik auf klinischer Basis ist zu beherrschen. Dazu gehört das Erkennen von Trichomonaden im nativen Vaginal-­Sekret unter dem Mikroskop oder der typisch Fischgeruch bei Garderella-Infektion. Diese Beispiele wurden bewusst angeführt, da Frauen mit Gebärmutterhalskrebs und deren Vorstufen häufig solch eine Anamnese für mehrere Jahre mit mäßigen Therapieerfolgen aufweisen. Das trifft vor allem bei hohem Nikotinkonsum zu.


Nikotinkonsum riskanter als HPV?

In der Literatur wird heute zu wenig auf das Zervixkarzinom-Risiko durch Nikotinkonsum eingegangen. Dazu Erfahrungen aus zwei Hochschulambulanzen: Das klinische Zervixkarzinom war bei Raucher­innen häufiger als zu erwarten mit einer verminderten Ovarialfunktion im fertilen Alter assoziiert – bestätigt durch Zyklusanomalien. Das wollten Raucherinnen in der Regel nicht wahrhaben. Wurden diese schwanger, in der Regel verzögert, und sie gaben während der Schwangerschaft das Rauchen auf, dann verschwanden bis dahin aufgetretene chronische bakterielle Vaginosen aufgrund der wesentlich höheren Östrogenspiegel in der Schwangerschaft. Darunter wurde die Laktobazillen-Dominanz optimiert, objektivierbar mit besserem Community States Types (CST).6 Wurde nach der Geburt sofort wieder mit dem Rauchen begonnen, dann flammten bakterielle Vaginose-Probleme unter dem Östrogenmangel wieder auf.

Hier wären HPV-Aktivitäten wie Impfungen sinnlos gewesen. Das einzige, was diese Frauen, einschließlich Passivrauchen via rauchendem Partner, überzeugte mit dem Rauchen aufzuhören, waren vorausgehende Aborte und Frühgeburten – ein hoher Einsichtspreis.


Warum wird heute kaum noch ein riskanter Lebensstil als Zervixkrebs-­Risiko angesprochen? Aus pekuniären Gründen oder früheren erfolg­losen Beratungsgesprächen?


Dazu als Beispiel das „herbe“ Vorgehen einer Kollegin als Leiterin einer stark frequentierten Dysplasie-Sprechstunde an der Klinik. Frauen, die das Rauchen nach wiederholter Aufforderung nicht aufgaben („Geruchsdiagnostik“), wurden der Sprechstunde verwiesen und samt Begleitbrief an den Facharzt zurückgeschickt. Unter diesen Bedingungen war die Kollegin sehr erfolgreich: Rückbildung von Dysplasien durch ein erfolgreich wiederhergestelltes intaktes Vaginom.

Ihre biologische Basis bezogen auf HPV-Infektionen: Neun von zehn Frauen machen diese Infektion durch, bei sehr hohen Selbstheilungsmöglichkeiten. Diese hohe Rate ist bei fast allen Frauen erreichbar durch Beratung, wie Lebensstiländerung. Zur spontanen Regression von Zervix-Läsionen intraepithelial wurden in einer Metaanalyse 36 Studien (n = 3.160) ausgewertet.5 CIN 2-Läsionen waren unbehandelt nach zwei Jahren zu 50 Prozent spontan regredient und bei Frauen unter 30 Jahren sogar zu 60 Prozent. Bei CIN 3-Läsionen entwickelten sich 18 Prozent zurück, bei den unter 30-Jährigen 11 Prozent. Invasive Stadien entwickelten sich in 13 Fällen (0,4 %) und fortgeschrittene Stadien in zwei Fällen (0,06 %).


Spontane Rückbildung kaum diskutiert

In einer schottischen Studie bei Mädchen zwischen 12 und 13 Jahren mit HPV-Impfung wurde die spontane Rückbildung nicht diskutiert.17 Bei einer Untersuchung der Frauen im Alter von 20 Jahren waren CIN-Raten von 0,69 % auf 0,15% gesunken. Das galt nur für jene mit drei Impfdosen. Bei ein oder zwei Dosen gab es keinen signifikanten Unterschied. Bei vorher ungeimpften Frauen wurde CIN 1 um 67 Prozent reduziert. Dazu wäre eine Kontrollgruppe von Interesse gewesen, die weder eine HPV-Impfung erhalten hatte noch sich HPV-Tests unterzog. Spontane Heilungsraten sollten quantifiziert werden. Das wird in Faktenblättern zur HPV-Impfung kaum angesprochen.18


Besser HPV-Primärprävention

Wenn seit 01.07.2019 Frauen ab dem 35. Lebensjahr die Kombination Pap-Abstrich plus HPV-Test alle drei Jahre als GKV-Leistung beanspruchen, dann dient das dem früheren Erkennen von Krebsvorstufen. Logischer und konsequenter wäre es, alles ökonomisch Machbare zu tun, damit sich Krebsvorstufen nicht entwickeln können.

HPV-Tests mit Kosten von 70 – 100 Euro sind Materialkosten von 2 Euro für einen zytologischen Abstrich gegenüberzustellen. Längere Untersuchungsintervalle können das nicht kompensieren. Dazu ist auch zu bedenken, dass ab dem 35. Lebensjahr nur circa sechs Prozent der HPV-Infektionen auftreten und die große Mehrheit in jugendlichen Jahren. Nur bei einem Prozent der positiven HPV-Tests sind Krebserkrankungen zu erwarten.9

Eine Sekundär-Prävention will die WHO durch HPV-Impfstoffe der 2. Generation bis 2030 erreichen – durch Impfung 90 Prozent aller Mädchen unter 15 Jahren weltweit. In Australien erwartet man von 9-valenten Impfstoffen das Zervix-Karzinom bis 2035 auf 4 pro 100.000 Frauen/Jahr zu reduzieren, also fast zu eliminieren. Voraussetzung wäre die vollständige Impfung beider Geschlechter.10 Das ist so unrealistisch wie das WHO-Ziel. Daher sind andere Strategien zu fördern. Das PRG (Patientenrechtegesetz) fordert nach BGB § 630e die Aufklärung über reduzierte Impfpläne, aber auch Alternativen. Das ist umsetzbar in der gynäkologischen Praxis bei der Hälfte jener Frauen, die keine HPV-Impfungen wollen.

Im fertilen Alter kommt bei Frauen, die noch einen Kinderwunsch haben, ein weiterer Aspekt hinzu. Wurden bisher im Pap-Abstrich alle ein bis zwei Jahre bakterielle Vaginosen entdeckt und behandelt, dann wirkt das dem verdoppelten Frühgeburtenrisiko entgegen, bei Vorliegen einer Mutation im TNF alpha-Gen sogar einem 6-fach erhöhten Risiko.11

Dabei ist heutiges generatives Verhalten zu berücksichtigen: Immer mehr Frauen realisieren ihren Kinderwunsch erst ab 35 Jahren. Dann ist ein jährlicher Ausschluss bakterieller Vaginosen, in Kombination mit einer Pap-Zytologie, nützlich. Dieser Nutzen ist den Kosten für den HPV-Co-Test gegenüberzustellen.


HPV-Test als psychische Belastung

Bei der Pap-Auswertung mit heutiger zytologischer Technik sind falsch-positive Ergebnisse sehr selten. Damit sind Belastungen durch HPV-Tests schwerwiegender einzustufen. Das gilt vor allem dann, wenn Tests nicht zwischen dem bloßen Vorhandensein von Viren oder aktiver Virus-Infektion unterscheiden können. mRNA-basierte Tests wollen diese Unsicherheit reduzieren. Durch einen positiven HPV-Test werden Frauen stärker belastet als durch ein positives Pap-Ergebnis.12,13 Dieser psychische Stress, kombiniert mit Angst und Besorgnis einen Krebs zu entwickeln, ist unabhängig davon, ob das Pap-Ergebnis positiv oder negativ war.12 Hinzu kommen Stigmatisierungs-Probleme14: Sorgen sich an einer sexuell übertragbaren Krankheit angesteckt zu haben, Gefühle der „Unreinheit“, Besorgnis, ob man seinen Partner anstecken kann, usw.

Ob ein HPV-Test anstatt viraler DNA mRNA nachweist, wird vielen Frauen nicht die obige psychosoziale Belastung nehmen.


HPV-Modellierungs-Studien unrealistisch

In den nächsten 50 Jahren seien circa sieben Millionen Zervix-Krebserkrankungen durch den 9-valenten HPV-Impfstoff vermeidbar. Das entspräche einer Reduktion um 15 – 17 Prozent.15 Dazu wären ab 2020 aber 80 – 100 Prozent globale HPV-Impfquoten nötig sowie danach ein zweimaliges HPV basiertes Screening. 70 % aller Frauen zwischen 35 und 45 Jahren müssten erfasst werden – eine unrealistische Zielsetzung. Das kann nur als theoretisches Konstrukt verstanden werden. Derzeit werden zu hohe Erwartungen an HPV-Impfungen ausgelöst – ist das ärztlich vertretbar?

Von einem deutschen HPV-Screening- Projekt werden Erfolge gemeldet.16 Mit einem HPV-Screening käme es zu weniger Zervix-Krebserkrankungen. Beim Vergleich HPV-Screening vs. Pap-Zytologie mit 11 Jahren Beobachtung wurde eine 5-Jahres-Inzidenz errechnet von 0,1 Prozent nach der 1. Screening-Runde und 0,025 Prozent in den weiteren Runden, das wäre 75 Prozent Rückgang. Dazu die aussagekräftigeren Absolut-Zahlen: Erstmalig wurden mit Pap- und HPV- Tests 26.600 Frauen untersucht. An den weiteren Screening-Runden nahmen noch 12.000 teil, also 55 Prozent weniger im Zeitraum von 10 Jahren. Sind Frauen mit hohem Zervixkrebs-Risiko noch erfasst worden? Dazu die Gesamtzahl von CIN 3 und invasiven Krebserkrankungen: 0,96 Prozent (n = 255/26,624) im ersten 5-Jahreszeitraum und danach 0,16 Prozent (n = 19/11,947). Das mit 83 Prozent weniger darzustellen, kann als Manipulation verstanden werden.

ZusammenfassungNach Angaben des Robert Koch-­Instituts seien 1,7 Prozent aller Krebsneuerkrankungen pro Jahr auf HPV-Infektionen zurückzuführen. Mädchen ab neun Jahren sei HPV-Impfung zu empfehlen, da praktisch alle Zervixkarzinome auf HPV-Infektionen basierten. Es wird nicht die Frage gestellt, ob HPV primär das Problem darstellt oder sekundär, wenn kein intaktes Vaginom vorliegt. Eine neue Metaanalyse mit 11 Studien und 1.230 Fällen bestätigte, dass Laktobazillen auch vor HPV-Hoch­risiko-Typen schützen.23

8 – 9 von10 Frauen machen eine HPV-Infektion durch, bei circa 4.000 Zervix-Krebsneuerkrankungen pro Jahr und einer weiblichen Bevölkerung von 40 Millionen. Bei dieser Relation von 1 zu 10.000 ist wissenschaftlicher zu denken und zu überlegen, welche Frauen dieses seltene Schicksal erleiden. Nach dem Patienten-Rechte-Gesetz (BGB §630e) ist darüber aufzuklären.


Allokation gilt auch für Zervixkarzinom-Prävention

Der Terminus Allokation kommt aus der Wirtschaft und ist gesundheitspolitisch relevant. Er beschreibt die Zuweisung von finanziellen Mitteln. Wie viele finanzielle Mittel für HPV-Aktivitäten aller Art ausgegeben werden, kann kaum den Gesetzen des Marktes überlassen werden. Der Werbeaufwand der Anbieter manipuliert so sehr, dass gesetzliche Entscheidungen notwendig werden. Besser wäre eine fachgesellschaftliche Umsetzung der Allokation. Denn eine sinnvolle Verteilung finanzieller Mittel sollte uneigennützig primär eine ärztliche Aufgabe sein – als Teil des Selbstverwaltungs-Anspruches.

Sorgfältige Abwägung zur Zervixkar­zinom-Prävention braucht gynäkologische Kompetenz. Gesundheitsökonomen sollten hinzugezogen werden beim Errechnen, wie viel ein verhinderter Krebs durch HPV-Aktivitäten an Kosten verursacht. Geschieht das nicht, so trägt das mit zur Rationierung in der Medizin bei – mit unethischen Folgen für eine alternde Gesellschaft.

Sehr kostengünstig Prä-Kanzerosen an der Zervixoberfläche rechtzeitig und zuverlässig zu erkennen, wäre die Kolposkopie. Das hat 2018 eine Studie aus den USA bestätigt.19 Leider ist an dieser „Blick-Diagnostik“ kaum jemand interessiert.


Onkologen haben die Bedeutung des Mikrobioms erkannt

Beim letzten Onkologen-Kongress war das Mikrobiom und dessen Bedeutung für die Krebsentstehung ein Hauptthema. Beim Darm-Mikrobiom ist die klinische Relevanz für die Onkogenese gut erforscht und zur Tumortherapie einsetzbar.20 Es geht nicht um einzelne „Darmbewohner“, sondern um die Gesamtheit des Mikrobioms im Darm. Analoges sollte für das Zervix-Karzinom gelten, also weg vom einseitigen HPV-Denken und hin zum Laktobazillen-Benefit, der wesentlich ist für ein intaktes Vaginom. Bei anderen Krebsarten, wie in der Mundhöhle, setzt sich dieses Denken durch. Schlechte Mundhygiene sei das Problem zur dortigen Krebsentstehung. Alle Nichtraucher waren in einer Studie HPV-negativ.21

Literatur beim Verfasser

Prof. Dr. med.  Dipl. Psych.  J. M. Wenderlein
Universität Ulm
wenderlein@gmx.de

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