Onkofreezing wird in Belgien übernommen – deutsche Krebspatienten müssen selbst zahlen
Die Heilungsrate bei jungen Erwachsenen mit Krebs im Alter von 18 bis 39 Jahren liegt bei ca. 80 Prozent. Infolge der teilweise sehr intensiven Therapien – beispielsweise in Form von Chemo- und/oder Strahlentherapie – kann es allerdings zu einer Schädigung von Keimgewebe und Keimzellen und damit zu einem irreversiblen Verlust der Fertilität kommen.

Viele Krebsbehandlungen, manchmal auch die Tumore selbst, führen zu Unfruchtbarkeit. Es gibt – nach medizinischem Standard – gut etablierte Methoden zur Erhaltung der Fruchtbarkeit durch Konservierung und Einlagerung von Keimzellen oder Keimgewebe, in manchen Fällen auch durch spezielle Operationsverfahren. Diese Vorsorge würde vielen geheilten Krebspatienten in ihrem späteren Leben ermöglichen, Kinder zu bekommen. Eine Finanzierung dieser Methoden zur Fruchtbarkeitserhaltung sehen die meisten Regelwerke in ihrem Wortlaut, so z.B. auch das Sozialgesetzbuch V (SGB V) als zentrales Regelwerk für die gesetzlich Krankenversicherten jedoch nicht vor.
Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs hält dies aus zwei Gründen für unverständlich:
Zum einen würden die Kosten einer solchen Fruchtbarkeitserhaltung, gemessen an den Kosten der Krebsbehandlung selbst, nur einen geringen Anteil ausmachen. Auch ist die Anzahl der Betroffenen begrenzt. Rund 2.000 Kinder und 15.000 junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren erkranken jedes Jahr an Krebs. Nicht in jedem dieser Fälle sind Erkrankung und Behandlung derart intensiv, dass fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen notwendig wären. Bei den Kindern ist eine Gewinnung von reifen Keimzellen zumeist nach der durchschnittlich mit 13 Jahren eintretenden Spermarche bzw. Menarche möglich. Betroffen sind rund 500 Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren1.
Zum anderen wird der Verlust der Fruchtbarkeit oder Zeugungsfähigkeit durch das SGB V (§ 27) durchaus als Krankheit anerkannt und die Behandlung finanziert. Allerdings ist es für die Krebspatienten nach der Behandlung zu spät und eine fertilitätserhaltende Behandlung häufig medizinisch nicht mehr möglich, wenn nicht die erwähnten vorsorgenden Maßnahmen getroffen wurden. Diese vorsorgenden Maßnahmen spricht das SGB V nicht ausdrücklich an, und die Rechtsprechung der Sozialgerichte will sie nicht als Krankenbehandlung sehen.
Belgien – Vorreiter in Sachen Kostenübernahme
Beispiel BelgienIn Belgien ließen zwischen April 2017 bis Januar 2018 insgesamt 209 Männer und 94 Frauen ihre Keimzellen vor der Krebstherapie einfrieren. Die belgische Regierung will dies nun auch jungen Patienten mit anderen Krankheiten ermöglichen.
„Junge Krebspatientinnen und -patienten sollen sich zu 100 Prozent auf die Heilung konzentrieren können“, wird die belgische Gesundheitsministerin Maggie De Block von der Katholischen Nachrichtenagentur kna zitiert. Seit einem Jahr müssen junge krebskranke Frauen und Männer in Belgien das Einfrieren von Eizellen, Sperma oder Hodengewebe nicht mehr selbst finanzieren. Die belgischen Krankenkassen übernehmen die Kosten, die in Belgien zwischen 1.300 und 3.400 Euro für das sogenannte Onkofreezing betragen.
Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs setzt sich dafür ein, dass auch in Deutschland fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen für junge krebskranke Menschen von den Krankenkassen bezahlt werden müssen. Chemo- und Strahlentherapien können die Fruchtbarkeit der jungen Frauen und Männer, die vor der Krebsbehandlung oft noch keine eigenen Kinder haben, erheblich beeinträchtigen. So sind die Entnahme und das Einfrieren von Keimzellen und -gewebe eine grundlegende Investition in die Zukunft der jungen Betroffenen. Die Heilungschance junger Krebspatienten im Alter von 18 bis 39 Jahren liegt bei 80 Prozent.
Doch die Kosten sind für die jungen Menschen, die noch in der Ausbildung stecken oder gerade in den Beruf starten, nahezu unerschwinglich. In Deutschland muss eine junge Krebspatientin für die Entnahme und das Einfrieren ihrer Eizellen zwischen 3.500 und 4.300 Euro bezahlen. Ein junger deutscher Krebspatient zahlt ca. 500 Euro für die Entnahme und das Einfrieren von Spermien. Dazu kommen jährliche Kosten von rund 300 Euro für die Lagerung im Stickstofftank. „Diese zusätzliche Belastung unmittelbar nach der Diagnose Krebs ist unwürdig“, erklärt Prof. Dr. med. Mathias Freund, Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs.
Methoden zur Fertilitätsprotektion
OVARIELLE STIMULATION ZUR GEWINNUNG VON EIZELLEN + KRYOKONSERVIERUNG
Kosten: Medikamentenkosten: ca. 1500 bis 2000 Euro; Stimulationsverfahren (Ultraschallkontrolle, Eizellentnahme): ca. 1000 bis 1500 Euro; Einfrieren und Lagerung für 1 Jahr: ca. 400 bis 800 Euro, danach ca. 300 Euro/Jahr
- ENTNAHME, KRYOKONSERVIERUNG UND TRANSPLANTATION VON EIERSTOCKGEWEBE
Kosten: Entnahme des Gewebes: ca. 1000 bis 1500 Euro; Einfrieren und Lagerung für 1 Jahr: ca. 400 bis 800 Euro, danach ca. 300 Euro/Jahr; Transplantation von Eierstockgewebe: ab 1000 Euro
- TRANSPOSITION DER EIERSTÖCKE VOR STRAHLENTHERAPIE
Kosten: ca. 2600 Euro
- GEWINNUNG UND KRYOKONSERVIERUNG VON SPERMIEN
Kosten: Einfrieren und Lagerung für 1 Jahr: ca. 500 Euro, danach ca. 300 Euro/Jahr
- ENTNAHME UND KRYOKONSERVIERUNG VON HODENGEWEBE ZUR SPÄTEREN SPERMIENGEWINNUNG
Kosten: Entnahme des Gewebes und Einfrieren: ca. 800 bis 1500 Euro; Lagerung: ca. 300 Euro/Jahr
Anpassung im Gesetzestext notwendig
Eine Finanzierung der Entnahme und Konservierung von Eizellen, Spermien oder Hodengewebe sieht das deutsche Sozialgesetzbuch V (SGB V) als zentrales Regelwerk für die hiesigen gesetzlichen Krankenkassen bisher nicht vor. Um eine Kostenübernahme zu verwirklichen, bedarf es nur einer Anpassung im Satz 5 des § 27 SGB V „Krankenbehandlung“ (Abs. (1)). Die Stiftung hat dazu einen konkreten Vorschlag gemacht:
Der Wortlaut müsste in der folgenden Weise geändert werden (Änderungen fett gekennzeichnet):
„Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung oder Bewahrung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, einschließlich der Entnahme, Aufbereitung, Kryokonservierung, Lagerung und späteren Wiederverwendung von weiblichen und männlichen Keimzellen und Keimgewebe für eine natürliche oder künstliche Befruchtung, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation oder anderen erforderlichen Therapie verlorengegangen war oder gefährdet ist."
Die Formulierung würde die Kostenübernahme für die Entnahme, Konservierung und Lagerung ermöglichen und damit den unmittelbaren Druck von den jungen Patienten mit Krebs in der Situation der Diagnosestellung und vor der Aufnahme der Therapie nehmen. Nicht beinhaltet wären die Kosten für eine spätere künstliche Befruchtung. Hier müsste in einem weiteren Schritt über entsprechende Maßnahmen des Gesetzgebers nachgedacht werden.
Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs
Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs wurde am 14. Juli 2014 von der Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. (DGHO) gegründet. Sie soll die Erforschung von Krebs bei jungen Erwachsenen fördern und dazu beitragen, Behandlung, Heilungschancen, Lebensqualität und Zukunftsperspektiven der Patienten zu verbessern. Außerdem ist sie Ansprechpartnerin für Patienten, Angehörige, Wissenschaftler, Unterstützer und die Öffentlichkeit. Die Stiftungsprojekte werden zum Teil in enger Zusammenarbeit mit den jungen Patienten, Fachärzten sowie anderen Experten entwickelt und bieten direkte und kompetente Unterstützung für die Betroffenen. Die Stiftungsarbeit, die als gemeinnützig anerkannt ist, wird ausschließlich durch Spenden finanziert.
1 Deutsches Krebsregister. Jahresbericht 2016.
Quelle: Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs