Wie Schilddrüsenstörungen Fruchtbarkeit und Schwangerschaft beeinflussen können

Schilddrüsenhormone beeinflussen die weiblichen Reproduktionsmechanismen. Bereits eine latente Hypothyreose kann dazu führen, dass eine sonst gesunde Frau mit Kinderwunsch nur erschwert schwanger werden kann. Eine Untersuchung kann Aufschluss darüber geben, ob eine intakte Schilddrüse vorhanden ist, die auch den erhöhten Hormonbedarf in der Schwangerschaft bewältigen kann. Dr. med. Werner Schützler, Radiologe aus Köln, hat im Rahmen einer Veranstaltung der Ärztegenossenschaft GenoGyn Fragen zu Schilddrüsenstörungen in der Gynäkologie erläutert.

Thyreoidale Gründe gehören inzwischen zu häufigen Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch. Frauen mit einer latenten Hypothyreose haben oftmals Schwierigkeiten schwanger zu werden. Bereits bei dieser Verlaufsform ist die zentrale Steuerung der Sexualfunktion gestört. Bei einer manifesten Hyperthyreose hingegen wird die Nidation der Eizelle behindert. Aber auch bei schilddrüsengesunden Frauen kann die Schilddrüsenfunktion für fehlende Fertilität verantwortlich sein.1 Dies hängt vom Einzelfall ab. Neben der Beeinflussung des TSH-Werts (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) ist auch der Wert für freies Trijodthyronin (FT3) relevant, der bei der Follikelreifung eine wichtige Rolle spielt.

auf einen BlickTSH-Normwerte (erwachsene Frau im gebährfähigem Alter): 0,3 – 2,5 mU/l
→ ab 2,5 mU/l zusätzliche Gabe von T4 (individuelle Abweichungen möglich)
 

T4-Bedarf in der Schwangerschaft

1. SSW bis 40. SSW: erhöhter T4-Bedarf
→ optionale Gabe von ca. 25 – 40 µg T4 zusätzlich. In Abhängigkeit von den Blutwerten kann die Menge individuell angepasst werden.

1. SSW bis 20. SSW: Absinken des TSH auf „subnormale“ Werte möglich
→ kein Eingreifen notwendig, da normale Reaktion

ab 20. SSW: wieder „normale“ TSH-Referenz­werte nahe 1,0 mU/l

Im 3. Trimenon kann es zu einem isolierten Abfall von FT4 kommen. Der normalisiert sich meist bis zur Geburt, wenn zusätzlich ca. 12,5 µg T4 appliziert wird.
 

Jod-Bedarf in der Schwangerschaft

1. SSW bis 40. SSW: erhöhter Jod-Bedarf
→ optionale Gabe von ca. 250 µg Jod zusätzlich

Hormonregler TSH

Bei der Regulation des Hormonspiegels spielt das TSH eine bedeutende Rolle. Die Ausschüttung der Schilddrüsenhormone wird durch den thyreotropen Regelkreis gesteuert. Dieser beschreibt vereinfacht das Zusammenspiel des Hypothalamus, der Hypophyse und der Schilddrüse. Das von der Hypophyse ins Blut abgegebene TSH besitzt dabei mehrere Wirkungen: Es fördert die Jod­aufnahme in der Schilddrüse, regt die Hormonsynthese in der Schilddrüse an und sorgt für die Abgabe von T3 und Tetrajodthyronin bzw. L-Thyroxin (T4) ins Blut. Es kann auch in den Zuckerstoffwechsel eingreifen. Bei einer Hypothyreose kann es zu einer verstärkten Ausschüttung von Prolaktin aus der Hypophyse kommen. Prolaktin regt bei der Frau die Milchbildung in der Brust an und beeinflusst an dieser Stelle den Sexualzyklus – die Sexualfunktion der Frau wird heruntergefahren. Damit ist eine Schwangerschaft nicht ohne weiteres möglich.

Da der Regelkreis in Impulsen abläuft, ist die Wirkung der Hormone nur bedingt abhängig von deren Menge. Entscheidend ist vielmehr, dass Hormone als Informationsträger zum richtigen Zeitpunkt ausgesendet werden.


Wie häufig ist eine Hypothyreose?

In circa 90 % der Fälle ist eine Hypothyreose die Folge einer Hashimoto-­Thyreoiditis. Diese ist mittlerweile zu einer Volkskrankheit geworden. 4,6 % der Bevölkerung (7 – 26 % der über 50-Jährigen) haben eine subklinische Hypothyreose und wissen es nicht.2 Nach Schützlers Einschätzung seien die Zahlen aus der Publikation aber zu niedrig angesetzt. Frauen sind zudem zehnmal häufiger betroffen als Männer. Die Manifestationsgipfel liegen peripubertär, postpartal und perimenopausal.

Hinsichtlich der Folgen einer latenten Hypothyreose können plakativ und kurz zentrale Aussagen aus der verfügbaren Literatur genannt werden: Bereits eine latente Hypothyreose verändert den Fettstoffwechsel und begünstigt auch durch direkte Veränderung der Arterienwände die Entwicklung einer Arteriosklerose und einer koronaren Herzkrankheit.3 Sie ist mit Libidoverlust und Zyklusstörungen korreliert.4 Die Fertilität junger Frauen wird beeinträchtigt.5 Auch das Risiko einer malignen Entartung ist höher.6,7 Daneben ist bei einer latenten Hypothyreose in der Schwangerschaft die Hirnentwicklung des Fötus gefährdet.8


Hashimoto-Thyreoiditis

Eine Hashimoto-Thyreoiditis ist keine reine Schilddrüsenerkrankung, sondern eine Störung der Immunbalance. Die Schilddrüse ist dabei zugleich Opfer und Ziel­organ eines nicht mehr adäquat reagierenden Immunsystems. Bei der atrophen Verlaufsform kommt es zu einer Schrumpfung der Schilddrüse. Die Schilddrüsen-­Zellen werden vom Immunsystem zum Selbstmord „überredet“ (sog. Gull´s disease). Die Schilddrüse wird kleiner und ist schließlich kaum noch sichtbar.

Die Hashimoto-Thyreoiditis entsteht meist langsam. Das früheste Zeichen ist ein „grobes“ echo­armes Ultraschall-Muster. Bei einer ‚typischen‘ Hashimoto-Thyreoiditis kann die Diagnose schon bei der Ultraschall-Untersuchung im Zusammenhang mit den Beschwerden gestellt werden (siehe Abb. 1 und Abb. 2).

Bei der atrophen Verlaufsform einer Hashimoto-Thyreoiditis kann sich relativ schnell eine Sub­stitutionsbedürftigkeit ergeben, sagt Schützler. Ein Therapiestart sollte nicht von den Blutwerten abhängig gemacht werden, sondern von dem individuellen Beschwerdebild.


Was ist ein „normaler“ TSH-Wert?

TSH-Werte sind individuell, von der Tageszeit und vom Gesundheits- und Ernährungszustand der Patientin abhängig. Morgens finden sich die verschiedenen Hormone in den angegebenen Referenzwerten im Blut. Wenn morgens TSH im Blut gemessen wird, liegt es (meist) in der Nähe von 1,0 mU/l. Bei der TSH-Wert-Bestimmung wird im Grunde das gemessen, was im Blut übrigbleibt – nicht das was gewirkt hat. Schlussfolgerungen über die Schilddrüsenfunktion aus dem übrig gebliebenen TSH zu treffen ist dementsprechend schwierig.

TSH wird zirkadian produziert. Bei einem nächtlichen Peak schüttet die Hypophyse über 100 % mehr TSH aus als üblich. Das heißt, man kann am Tag einen TSH-Wert von 1,0 mU/l messen und in der Nacht von 2,0 mU/l. Es kann aber durchaus sein, dass ein TSH-Wert am Tag von 1,5 mU/l vorliegt und in der Nacht von 6 mU/l.

Die alten Referenzwerte von 2,5 – 4,0 mU/l liegen in einem Bereich, bei denen bereits Symptome einer Hypothyreose nachweisbar sind. Der korrigierte Normalbereich reicht von 0,3 – 2,5 mU/l.9 Ungefähr dieser Referenzbereich sollte gelten für Menschen bis 80 Jahre. Nach Schützlers Erfahrungen kann der Wert von 2,5 mU/l als Obergrenze für die meisten Patienten als realistisch angesehen werden. Es gibt aber auch einzelne Patienten mit einem individuell von der Norm abweichenden TSH-Wert.


Temperatur und Fertilität

Eine gesunde Frau hat im Schlaf eine Kerntemperatur von 36,3 °C. Mit Einsetzen des Eisprungs erhöht sich die Temperatur um 0,5 °C. Diese Temperaturerhöhung erfolgt zeitgleich mit einem Anstieg von Progesteron. Dann ist die erneute Rekrutierung von Eizellen gestoppt, sodass immer nur eine Eizelle zur Reifung und späteren Befruchtung freigegeben wird. Hieraus schlussfolgert Schützler, dass die Vorbereitung der Eizelle, die zur Befruchtung ausgewählt wurde, nicht bei 37 °C möglich ist. Das kann, so Schützler, daran liegen, dass die zur richtigen Funktion erforderliche Faltung der beteiligten Proteine nur bei tieferen Temperaturen gewährleistet ist. Beispiel: Bei Patientinnen mit gestörtem Biorhythmus (z.B. Jetlag oder Schichtarbeit), ist auch die Körpertemperatur gestört. Das kann eine Infertilität zur Folge haben. Während sich der Jetlag nach drei Tagen legt, benötigt der Körper mehrere Wochen zur Temperaturregulierung.


Hyperthyreose in der Schwangerschaft

T4-Bedarf in der Schwangerschaft

Für die Entwicklung des fetalen Gehirns sind Schilddrüsenhormone essenziell. Der T4-Bedarf ist in der Schwangerschaft um circa 30 – 45 % höher als vorher. Da der Embryo erst im 6. Monat eine relevante Menge an T4 synthetisieren kann, erhält er bis dahin T4 von der Mutter über die Plazenta, aber auch über das Fruchtwasser. Um diesen Mehrbedarf zu stillen, empfiehlt Schützler die Gabe von circa 25 – 40 µg T4 zusätzlich.

Damit der Embryo an die benötigten Schilddrüsenhormone kommt, greift er mit dem von ihm gebildeten Schwangerschaftshormon, dem humanen Chorion­gonadotropin (Beta-HCG), in die Steuerung der mütterlichen Schilddrüse ein. Beta-HCG stimuliert den TSH-Rezeptor und veranlasst die mütterliche Schilddrüse mehr Hormone zu produzieren. Dies lässt den TSH-Wert (physiologisch bedingt) auf subnormale Werte absinken.

Es kann sogar dazu kommen, dass der TSH-Wert vollkommen supprimiert ist und T4 ansteigt, sodass bei den Laborwerten der Eindruck entstehen kann, die Patientin habe eine Überfunktion, obwohl keine Anzeichen dafür vorhanden sind. Bei sehr starker Stimulation kann es zu verstärktem Schwangerschafts-Erbrechen kommen. Diese Veränderungen im Hormonhaushalt der Schilddrüsenhormone sind laut Schützler gesund und sollten nicht korrigiert werden. In der 20. SSW hört der Effekt wieder auf, und die TSH-Werte sollten dann wieder (einigermaßen) normal sein.

Ab der 20. SSW gelten wieder die „normalen“ Referenzwerte. Der TSH-Wert sollte dann in der Nähe von 1,0 mU/l liegen. Dabei sind leicht erniedrigte TSH-Werte meist unproblematisch, erhöhte TSH-Werte sollten durch Gabe von T4 korrigiert werden. T4 darf (bei einem oberen Referenzwert von 1,8 ng/dl) auf bis zu 2,0 ng/dl ansteigen. Bei Gabe von Schilddrüsenhormonen sind TSH-Kontrollen in Abständen von vier bis sechs Wochen sinnvoll.

Jod-Bedarf in der Schwangerschaft

Auch der Jod-Bedarf steigt in der Schwangerschaft. Schützler empfiehlt spätestens ab der 20. SSW die Gabe von Jod (ca. 250 µg).* Über die Plazenta kann der Embryo das Jod aufnehmen und der embryonalen Schilddrüse zur Verfügung stellen. So wird der Embryo langsam unabhängig von der mütterlichen Schilddrüse. Erst im 3. Trimenon produziert der Embryo selbst ausreichend eigene Schilddrüsenhormone. Da der Bedarf des Embryos im 3. Trimenon steigt, kann bei sonst normalen Werten der FT4-Spiegel absinken. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, die Dosis der Mutter zu steigern (um ca. 12,5 µg T4).

Embryos, die optimal mit T4 versorgt werden, bewegen sich intensiver und stärker im Vergleich zu Embryos, die eine niedrigere Konzentration von FT4 haben. Gegen Ende der Schwangerschaft finden sie häufiger die richtige Position (Kopf nach unten und Gesicht zum Rücken der Mutter).10


Fazit

Da die Hashimoto-Thyreoiditis zunächst keine Beschwerden hervorruft und auch keine Fehlfunktion der Schilddrüse auslöst, wird sie häufig erst dann diagnostiziert, wenn eine latente oder manifeste Hypothyreose vorliegt. Die latente Hypothyreose sollte korrigiert werden, die manifeste Hypothyreose muss korrigiert werden. Eine optimale Versorgung des Embryos mit Schilddrüsenhormonen über die Mutter kann sich günstig auswirken. Der Embryo kann bei guter Versorgung mit T4, Jod und ggf. Selen sein Hirn besser entwickeln.11

Zusammengetragen von Amelie Kaufmann

1 Front Endocrinol (Lausanne) 2012; 3: 50. Published online 2012 Mar 30. doi: 10.3389/ fendo.2012.00050 PMCID: PMC3355884).
2 Hollowell, JG et al,. J Clin Endocrinol Metab 2002 Feb;87(2):489-99.
3 Razvi, S et al., J Clin Endocrinol Metab 2008; 93; 2998-3007.
4 Oppo, A et al., J Endocrinol Invest 2011 June;34(6): 449-453.
5 Negro, R et al., J Endocrinol Invest 2007;30: 3-8.
6 Psanu, A et al., Chirurgia Italiana 2003; 55: 365-372.
7 Fiore, E, Vitti, P, J Clin Endocrinol Metab 2012; 97: 1134-1145.
8 Haddow, JE et al., N Engl J Med 1999; 19; 341(8):549-55.
9 Spencer, C et al., Thyroid. 2003 Jan;13(1):3-126.
10 Hennie, A et al.,Clin Endocrinol 2009;71(5), 746-751.
11 Harder, L et al., J Neuroendocrinol. 2018; 30(3): e12573.

*Die Angaben basieren auf Praxiserfahrungen. Beim Nachweis von Jod im Urin bei Schwangeren wurde der Nachweis bei einer Menge von 280 µg Jod positiv. Dieser Wert galt für eine Schwangere in Köln im Jahr 2012. Zu anderen Zeiten und in anderen Regionen wird man einen anderen Wert finden.

Quelle: „Schilddrüsenstörungen in der gynäkologischen Praxis“ Dr. med. Werner Schützler im Rahmen der Gyn-for-life Präventions­medizin für die Praxis am 23.02.2019 in Köln.

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