Verstopfung bei Kindern wird häufig unterschätzt

Das große Geschäft funktioniert nur unter Schmerzen und wird zur quälenden Prozedur: Fünf Prozent aller Kinder zwischen dem 1. und 5. Lebensjahr leiden an chronischer Verstopfung. Nach Ansicht der Gesellschaft für Pädiatrie, Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) ein häufiges Problem, das dennoch zu oft unterschätzt wird: Von Eltern als auch von den betreuenden Ärzten. „Nur eine frühzeitige Behandlung ist erfolgreich und verhindert eine Chronifizierung“, wissen Dr. Stephan Buderus, Bonn, und Dr. Axel Enninger, Stuttgart. Die beiden Mitglieder der Fachgesellschaft beantworten wichtige Fragen zum Thema.


Welche Symptome stehen für chronische Verstopfung?

Das Kind sitzt mehrmals in der Woche unter Schmerzen lange auf dem Töpfchen oder der Toilette und kann selten bis gar nicht den Darm entleeren. Der Stuhl ist hart und groß. Diese Prozedur geht einher mit Bauchweh und Blähungen. Appetitlosigkeit und Abgeschlagenheit sind weitere Anzeichen. Wenn das Kind nur unter Schmerzen das große Geschäft machen kann, versucht es natürlich dies zu vermeiden. Es hält bewusst zurück, hält sich den After mit der Hand zu und tippelt angespannt hin und her. Die Symptomatik ist vielschichtig und nicht immer eindeutig. Ständiges Einkoten und ein unwillkürlicher Stuhlabgang können Anzeichen für eine para­doxe­ Diarrhoe bei Obstipation sein.

Chronische ObstipationEs müssen zwei oder mehr dieser diagnostischen Kriterien1 vorliegen und mindestens einen Monat bestanden haben:
• weniger als drei Stuhl­entleerungen pro Woche
• mehr als eine Episode von Stuhlschmieren pro Woche
• Stuhlmassen im Rektum oder Abdomen palpabel
• Beobachtung von ­„Rückhaltemanövern“
• schmerzhafte Entleerungen oder harte Stuhlkonsistenz
Die Kriterien gelten für Kinder ab einem Entwicklungsalter von vier Jahren.


Kann eine gefährliche Erkrankung Ursache sein?

Bei 95 Prozent aller Kinder liegt keine organische Erkrankung vor. Gründe für einen harten Stuhlgang gibt es viele, denn eine überstandene Magen-Darm-­Infektion kann ebenso Auslöser sein wie Stresssituationen im Alltag des Kindes. Das mag der Verlust der vertrauten Umgebung sein, Druck in der Schule, die Trennung der Eltern, der Tod eines geliebten Menschen bis hin zu ungewohnten Ereignissen, die das Kind im wahrsten Sinne des Wortes schlecht verdaut. Auch eine genetische Prädis­position kann als Ursache vorliegen.


Wann sollten Eltern mit ihrem Kind zum Facharzt?

Verstopfung ist für jedes Kind ein quälender Prozess. Die Eltern sind verunsichert und wissen oftmals nicht, was ihrem Kind fehlt. Sie erhöhen aus Unwissenheit lediglich die Trinkmenge oder setzen auf mehr Bewegung. Das allein reicht nicht. Deshalb sollte bei den ersten Anzeichen von Bauchschmerzen, Krämpfen und vor allem Problemen mit dem großen Geschäft rasch ein Arzt aufgesucht werden. Abwarten kann zu einer Chronifizierung führen – manchmal sogar bis ins Erwachsenenalter. Das bedeutet eine massive Einschränkung der Lebensqualität mit Schwierigkeiten bei sozialen und intimen Kontakten. Das ist ein Teufelskreis, der nur durch eine frühzeitige Behandlung durchbrochen werden kann. Eltern brauchen Unterstützung durch einen Facharzt, weil sie sich berechtigterweise Sorgen machen und täglich mitbekommen, wie ihr Kind leidet. Dieser Toilettenstress für Kind und Eltern muss vermieden werden.


Wie sieht die richtige Behandlung aus?

Bei der Untersuchung wird der After sehr vorsichtig abgetastet. Das ist für das Kind zwar unangenehm – aber nur so können organische Ursachen ausgeschlossen werden. Das Kind bekommt dann ein Laxans, das für eine vollständige Entleerung des Darmes sorgt. In aller Regel sind keine Einläufe notwendig. Hoch dosiertes Macrogol ist ebenso effektiv und nicht traumatisierend. Für jedes Kind, das oftmals wochenlang unter Verstopfung litt, ist das eine unglaubliche Erleichterung. Endlich tut der Stuhlgang nicht mehr weh. Die Medikamentengabe muss jedoch gerade bei chronischer Verstopfung über mehrere Wochen erfolgen. Abführmittel wie Macrogol sorgen dafür, dass sich der Stuhl vermehrt mit Wasser mischt und weich bleibt. Ziel der Behandlung ist eine vollständige Entleerung des Darmes. Bei schwierigen Fällen raten wir zu einer „Ausscheidungssprechstunde“, in die ein multiprofessionelles Team eingebunden ist. Die Erfolgsraten bei Kindern ohne zugrunde liegendes organisches Problem liegen bei richtiger Behandlung bei fast 100 Prozent.


Wie sinnvoll ist ein Stuhl­training?

Neben der Medikamentengabe ist das Stuhltraining eine wertvolle Hilfe, um Probleme mit dem großen Geschäft langfristig in den Griff zu bekommen. Die Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung empfiehlt, dass Eltern ihr Kind regelmäßig nach jeder Mahlzeit auf Töpfchen oder Toilette setzen sollten. Dieses Training in einer ruhigen Umgebung muss konsequent durchgeführt werden, denn es ist eine Art Brücke zurück in die Normalität. Hilfreich ist oft auch ein Belohnungssystem für das gute Mitmachen beim Stuhltraining – selbstverständlich nicht mit Keksen oder Schokolade. Denn ein Stuhltraining ist auch eine Herausforderung für das Kind: Es kann Monate dauern, bis die Verdauung wieder normal funktioniert. Eltern als auch Ärzte brauchen einen langen Atem und müssen Geduld haben. Denn bei Stresssituationen kann es erneut Probleme mit der Verdauung geben. Deshalb immer daran denken, dass es doch nicht klappt, weil das Kind nicht kann, aber gern will.


Welche Rolle spielt die Ernährung?

Für einen fitten Darm werden Ballaststoffe wie Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte empfohlen. Diese Information erhalten Eltern, wenn sie im Internet nach Hilfe suchen, sich in Chats einklinken oder einen vermeintlich guten Rat von Freunden erhalten. Es gibt eine verwirrende Anzahl von guten Ratschlägen. Doch unsere Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die Wirksamkeit von Ballaststoffen oft überschätzt wird. Außerdem werden sie oft von Kindern nicht akzeptiert. Wir empfehlen eine normale Mischkost und ausreichend körperliche Bewegung. Auch die Trinkmenge wird überschätzt. Bei früh begonnener Obstipation gehört auch immer der Ausschluss einer Kuhmilchallergie durch einen Diätversuch dazu. Zudem sollte kritisch überprüft werden, wie viele verstopfende Lebensmittel wie Banane, Kakao und Fast-Food im Ernährungsplan stehen.

 


Therapieempfehlungen* (bei Kindern mit Obstipation ohne organische Ursachen)


"Demystifizierung“ – Erklärung des Teufelskreises
Den Eltern erläutern, dass die Obstipation durch eine Störung des Stuhlgang-Regelkreises durch Assoziation zwischen Stuhlentleerung und Schmerzen hervorgerufen werden kann

Desimpaktion – Vollständige Entleerung des Darms
Gabe einer täglich steigenden Dosis Macrogol bis die Desimpaktion vollständig war; oder Gabe einer gleichbleibenden hohen Dosis mit z. B. 1-1,5 g/kg Körpergewicht/Tag für 3–6 Tage

Folgebehandlung – (Wieder-)Erlernen einer schmerzfreien Defäktion
Stuhl kontinuierlich weich halten durch Gabe einer niedrigen Dosis Macrogol: meist wird eine Dosis von circa 0,5 g/kg Körpergewicht/Tag verabreicht; sie kann aber auch individuell unterschiedlich sein. Kriterien für eine adäquate Dosierung:
• Mindestens fünf schmerzlose Defäktionen in der Woche
• kein Einkoten
• keine Rückhaltemanöver

Stuhltraining
Stuhltraining ist ein essenzieller Baustein der Behandlung, um den gastrokolischen Reflex wieder zu erlernen: Jüngere Kinder sollten nach der Hauptmahlzeit für 5 Minuten, Schulkinder für 10 Minuten angehalten werden, die Toilette zu benutzen; hierbei sollte kein „Erfolgszwang“ entstehen

Ernährung
Es wird eine altersgemäße Mischkost empfohlen; eine ballaststoffreiche Ernährung alleine führt bei Kindern oft nicht zum gewünschten Erfolg


„Gerade wenn Kinder Schmerzen beim Stuhlgang haben, sollten Ärzte nicht zum Abwarten raten, sondern eine adäquate Therapie einleiten, um eine Chronifizierung zu vermeiden“, sagt Dr. Axel Enninger, Ärztlicher Leiter des Zen­trums für Kinder-, Jugend- und Frauenmedizin am Klinikum Stuttgart.

Fazit*Zu empfehlen
• Das Problem der Obstipation bei Kindern frühzeitig ernst nehmen und nicht bagatellisieren
• Konsequent behandeln: Des­impaktion, Weichhalten des Stuhls, Stuhltraining
Bitte vermeiden
• nur Ratschläge zur Ernährung geben
• primäre Desimpaktion nicht konsequent durchführen
• zu niedrige Dosierung von Macrogol oder zu frühes Beenden der Therapie

 


1 Rom-Kriterien in der 4. Version. Hyams JS et al. Functional disorders: children and adolescents. Gastroenterology. 2016 Feb 15. pii: S0016-5085(16)00181-5.

*Ergänzendes Interview mit Dr. Axel Enninger von Dr. Daniela Busse

► Die Gesellschaft für Pädiatrische Gas­troenterologie und Ernährung (GPGE) ist ein Zusammenschluss deutschsprachiger Kindergastroenterlogen. Die Gesellschaft setzt sich für den Fortschritt in der Erforschung von Krankheiten, Diagnostik und Therapiemaßnahmen des Magen-Darm-Traktes ein. https://www.gpge.eu/

Quelle: Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung e. V. (GPGE)

 

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