Molekulare Super-Verstärker entscheiden über Verlauf von kindlichen Neuroblastomen

Kindliche Neuroblastome zeigen einen extrem unterschiedlichen Verlauf: Sie können sich spontan zurückbilden oder hochaggressiv in gesundes Gewebe streuen. Molekulare Super-Verstärker schalten dabei die entscheidenden Regelkreise an, die den Tumor in die eine oder andere Richtung lenken.

    Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg (KiTZ), des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und der Universität Heidelberg. Das „Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg“ (KiTZ) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Universität Heidelberg (Uni HD).

    Neuroblastome sind nach Hirntumoren die häufigsten soliden Tumoren bei Kindern. Die Tumoren entstehen aus unreifen Vorläuferzellen des Nervensystems und treten entweder im Bereich der Nebennieren auf oder entlang der Wirbelsäule im Brustkorb oder Bauchbereich. Etwa die Hälfte der Kinder hat eine schlechte Prognose, während sich der Tumor bei einigen der jungen Patientinnen oder Patienten sogar ohne therapeutische Maßnahmen spontan zurückbilden kann.

    Genetische Programme in Tumoren sind verschieden

    „Die Ursache für diese unterschiedlichen biologischen Eigenschaften sind unterschiedliche genetische Programme in den Tumoren“, erklärt Frank Westermann vom KiTZ und vom DKFZ. „Bislang war jedoch unklar wie diese unterschiedlichen regulatorischen Netzwerke genau gesteuert werden.“

    Gemeinsam mit Kollegen um Carl Herrmann von der Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg untersuchte sein Team molekulargenetische Netzwerke und deren Schalter in Neuroblastom-Tumoren von insgesamt 60 Patientinnen und Patienten. Darunter waren auch welche, bei denen der Tumor bereits Metastasen gebildet hatte, oder die einen Rückfall erlitten hatten.

    Die Forscher nahmen dabei „Enhancer“ unter die Lupe, das sind Regionen im Erbgut, die die Aktivität bestimmter Gene regulieren, indem sie beispielsweise als Andockstellen für Steuerproteine (Transkriptionsfaktoren) dienen. Gruppen von Enhancern mit besonderem Verstärkerpotenzial für zentrale Zellvorgänge bezeichnet man auch als „Super-Verstärker“. Diese konnten in der Vergangenheit bereits bei anderen Krebsarten mit der Tumorentwicklung in Verbindung gebracht werden. Die vorliegende bislang umfänglichste Kartierung von Enhancern in Neuroblastomen mittels innovativer computergestützter Ansätze ergab nun: Super-Verstärker sind im Tumorgenom der einzelnen Neuroblastome unterschiedlich verteilt und unterschiedlich aktiv.

    Patienten in vier neue Krebs-Risikogruppen einteilbar

    Anhand dieser Muster konnten die Wissenschaftler Patienten vier neuen Risikogruppen zuordnen. Bislang wurden Neuroblastome molekulargenetisch anhand von Daten aus Zelllinien nur grob in zwei Gruppen unterteilt. „Bei bestimmten Neuroblastomen haben wir eine Gruppe identifiziert, deren Super-Verstärker von sogenannten MYCN-Transkriptionsfaktoren angeschaltet werden. MYCN gilt beim Neuroblastom als sehr ungünstiger Prognosefaktor und Patienten, in denen MYCN hochreguliert ist, gehören in der Regel zu den Hochrisiko-Patienten“, erläutert Frank Westermann. Bei zwei weiteren Gruppen schien die Aktivierung durch MYCN jedoch keine Rolle zu spielen. Unter ihnen gab es Tumoren mit einem eher gutartigen und einem eher aggressiven Verlauf. Bei der vierten Gruppe der Neuroblastome entdeckten die Forscher einen bislang unbekannten Zusammenhang zwischen den Super-Verstärkern und einer Aktivierung durch das Krebsgen RAS. Diese Patienten hatten bereits einen Rückfall erlitten.

    Dass die Unterschiede der Super-Verstärker-Landkarten auch zu unterschiedlichen genetischen Programmen führen, konnte das Team ebenfalls durch Analysen der genomweiten Genaktivität zeigen. „Interessanterweise scheint es über den Super-Verstärkern noch einen gemeinsamen regulatorischen Master zu geben, der dafür sorgt, dass bestimmte essentielle Gene in allen Tumoren aktiv bleiben“, erklärt Carl Herrmann. Beispielsweise war CCND1, ein zentrales Gen für das Wachstum von Neuroblastomzellen, in allen Gruppen überaktiviert.

    Regulatorische Schalter zur Ausschaltung von Krebszellen

    Die umfangreichen Datensätze stellen die Wissenschaftler jetzt über eine Web-Schnittstelle anderen Forschern zur Verfügung. „Regulatorische Schalter sind vielversprechende Angriffsziele, um Krebszellen auszuschalten“, betont Westermann. „In Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern werden wir das Potenzial der Super-Verstärker als therapeutische Zielstrukturen jetzt gezielt testen.“

    Originalpublikation:
    M. Gartlgruber, A. K. Sharma, A. Quintero, D. Dreidax, et al. Super enhancers define regulatory subtypes and cell identity in neuroblastoma. In: Nature Cancer (Online Publikation 7. Dezember 2020) DOI: 10.1038/s43018-020-00145-w

    Das Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ)

    Das „Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg“ (KiTZ) ist eine kinderonkologische Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums, des Universitätsklinikums Heidelberg und der Universität Heidelberg. Wie das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, das sich auf Erwachsenenonkologie konzentriert, orientiert sich das KiTZ in Art und Aufbau am US-amerikanischen Vorbild der so genannten "Comprehensive Cancer Centers" (CCC). Das KiTZ ist gleichzeitig Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Es verfolgt das Ziel, die Biologie kindlicher Krebs- und schwerer Bluterkrankungen wissenschaftlich zu ergründen und vielversprechende Forschungsansätze eng mit der Patientenversorgung zu verknüpfen – von der Diagnose über die Behandlung bis hin zur Nachsorge. Krebskranke Kinder, gerade auch diejenigen, für die keine etablierten Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, bekommen im KiTZ einen individuellen Therapieplan, den Experten verschiedener Disziplinen in Tumorkonferenzen gemeinsam erstellen. Viele junge Patienten können an klinischen Studien teilnehmen und erhalten damit Zugang zu neuen Therapieoptionen. Beim Übertragen von Forschungserkenntnissen aus dem Labor in die Klinik übernimmt das KiTZ damit Vorbildfunktion.

    Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum

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