Cannabis kein Allheilmittel in der Schmerztherapie?

Seit März 2017 stehen Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen durch eine Gesetzesänderung nun auch cannabisbasierte Arzneimittel zur Schmerzlinderung zur Verfügung. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. (DMKG) weisen darauf hin, dass lediglich bei einem Bruchteil der Erkrankungen mit chronischen Schmerzen erwiesen ist, dass cannabisbasierte Arzneimittel helfen.

Auf der Pressekonferenz am 12. Oktober 2017 in Mannheim anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses (11. bis 14. Oktober 2017) erläuterten Experten, für welche Patientengruppe cannabisbasierte Arzneimittel sinnvoll sind und was beim Umgang mit Cannabisprodukten in der Schmerzmedizin zu beachten ist.

Ausreichende Evidenz nur beim neuropathischen Schmerz

Prof. Dr. med. Winfried Häuser, Klinikum Saarbrücken, wertete zusammen mit Kollegen aus insgesamt 750 identifizierten Studien elf systematische Übersichten (Januar 2009 bis Januar 2017) zu diesem Thema aus. Die Forscher kommen in der Arbeit* zu dem Ergebnis, dass keine ausreichende Evidenz für cannabisbasierte Arzneimittel (Dronabinol, Nabilon, Medizinalhanf, THC/CBD-Spray) bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen besteht. Auch positive Effekte bei Appetitlosigkeit sind nach der wissenschaftlichen Auswertung nicht erwiesen. „Eine ausreichende Quantität der Evidenz besteht nur beim neuropathischen Schmerz“, ergänzt Häuser.

Nicht für Kopfschmerzen?

„Cannabis als Schmerzmittel ist seit der Gesetzesänderung im März en vogue. Die intensive Medienberichterstattung hat dazu geführt, dass zum Teil auch Kopfschmerz­patienten eine Verordnung vehement einfordern“, berichtet PD Dr. med. Stefanie Förderreuther, Präsidentin der DMKG. „Doch leider ist die Studienlage auch in diesem Bereich noch zu dürftig, als dass wir eine reguläre Behandlung mit Cannabinoiden empfehlen würden.“

Cannabis sativa enthält etwa 500 verschiedene Komponenten

Die weibliche Hanfpflanze Cannabis sativa enthält etwa 500 verschiedene Komponenten, davon circa 100 Cannabinoide. Zwar ist die medizinische Wirksamkeit bei Schmerzlinderung und Entzündungen von zwei Cannabinoiden, nämlich Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), in Einzelfällen und durch einige klinische Studien erwiesen. Doch die Wirkeffekte auf den menschlichen Körper sind noch weitgehend unerforscht.
„Es müssen zunächst für jedes Krankheitsbild methodisch gut gemachte randomisierte placebokontrollierte Studien vorliegen, die den gewünschten Effekt einer Schmerzlinderung belegen und die Art, Schwere und Häufigkeit von Nebenwirkungen wie zum Beispiel Verwirrtheit oder Psychosen erfassen“, betont Förderreuther. „Es ist darüber hinaus sehr wichtig, verschiedene Formen von cannabishaltiger Medizin zu unterscheiden“, erläutert Häuser. Derzeit sind 14 Sorten Cannabisblüten auf Rezept erhältlich – so genannter Medizinalhanf. Die Konzentration des darin enthaltenen THC liegt zwischen 1 und 22 Prozent, die des CBD zwischen 0,05 und 9 Prozent. „Erschwerend hinzu kommt, dass uns Dosierungsangaben für einzelne Indikationen fehlen“, mahnt Häuser. Des Weiteren stehen aus diesen Blüten gewonnene Extrakte mit definierten Konzentrationen an THC sowie synthetisch hergestellte THC-Analoga zur Verfügung.

Kein isoliertes Therapieverfahren

Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. begrüßt dennoch die Gesetzesänderung des Bundestags. Sie hebt nun die bisherige Barriere bei der Kostenerstattung von cannabishaltigen Rezeptur- und Fertigarzneimitteln auf. „Wichtig ist allerdings, dass Cannabinoide nicht als isoliertes Therapieverfahren, sondern in Kombination mit physiotherapeutischen und schmerzpsychotherapeutischen Verfahren genutzt werden“, fordern Häuser und Förderreuther. Jede Form einer Eigentherapie lehnen die Experten wegen unüberschaubaren Nebenwirkungen durch drohende Dosis-Schwankungen ab.

* Häuser W, Fitzcharles M-A, Radbruch L, Petzke F: Cannabinoide in der Schmerz- und Palliativmedizin. Eine Übersicht systematischer Reviews und prospektiver Beobachtungsstudien. Dtsch Arztebl Int 2017; 114(38): 627-34; DOI: 10.3238/arztebl.2017.0627. Originalarbeit.

Quelle: Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. und Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V.

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