Das Restless-Legs-Syndrom – Teil 1: Definition und diagnostische Kriterien

Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist eine neurologische Erkrankung, die zu den extrapyramidalen Hyperkinesien gezählt wird und die als eine der häufigsten Ursachen für Schlafstörungen betrachtet werden kann. Die Prävalenz des RLS beträgt in Westeuropa und den USA (Kaukasier) etwa 10 Prozent [1]. Dabei handelt es sich um die Lebenszeitprävalenz, also die Wahrscheinlichkeit, mindestens einmal im Leben an RLS-Beschwerden zu leiden.

Je nach Häufigkeit und Intensität der Beschwerden und dem daraus resultierenden Leidensdruck für den Betroffenen unterscheidet man zwischen klinisch relevantem und klinisch nicht relevantem RLS. Ein klinisch relevantes RLS liegt dann vor, wenn die Diagnose definitiv gesichert ist, Symptome häufig vorkommen (an mehr als fünf Tagen pro Woche) sowie der Schweregrad und die Häufigkeit der Symptome die Lebensqualität oder die Funktionalität eines Patienten im Alltag erheblich einschränken (einschließlich Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit), so dass diese Patienten in der Regel behandelt werden müssen. Die Prävalenz des klinisch relevanten RLS ist daher geringer als die Gesamt-Lebenszeitprävalenz, in Deutschland lag sie laut einer Untersuchung von Allen et al. 2005 bei 3,7 Prozent2. Das RLS ist damit auch eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen.

Somit kann das RLS schon als eine – oft lange unerkannte – Volkskrankheit gelten. Weil es den Betroffenen oft schwer fällt, die typischen Symptome wie unangenehme Missempfindungen in den Beinen, seltener auch in den ­Armen, die mit einem unstillbaren Bewegungs­drang in Ruhesituationen verbunden sind, exakt zu beschreiben, ist der ­primäre Anlass eines Arztbesuches häufig die daraus resultierende Schlafstörung und deren Folgen für die Tagesbefindlichkeit. Wird die sich dahinter verbergende Ursache nicht erkannt, kann das RLS zu chronischer Insomnie und Depressionen führen sowie ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko zur Folge haben. Die frühe Diagnose ist daher wichtig, nicht zuletzt mit Blick auf die erheblich reduzierte Lebensqualität von RLS-Patienten, vergleichbar mit jener von Patienten mit Herzinsuffizienz, Arthrose oder Diabetes mellitus3.

Die Krankheit kann prinzipiell in jedem Alter auftreten, auch bei Kindern, meist jedoch ab dem vierten bis fünften Lebensjahrzehnt. Die Prävalenz steigt mit dem Alter an. Frauen sind etwa doppelt so häufig sowie vergleichsweise schwerer betroffen als Männer4.


Definition des RLS

Die Definition des RLS zeigt Tabelle 15. Unter einem RLS wird ein starker, nicht zu unterdrückender Bewegungsdrang der Beine, seltener auch der Arme, verstanden, der ausschließlich in Ruhe auftritt und sich bei Bewegung bessert oder verschwindet. Unter Bewegungsdrang ist dabei ein qualvolles Unruhe-, Spannungs- und/oder Druckgefühl zu verstehen, das die Patienten meist in der Tiefe der Beine lokalisieren. Die Symp­tomatik ist abends und nachts besonders ausgeprägt. Vor allem erzwungene Ruhesituationen, wie zum Beispiel im Theater oder bei Busreisen, steigern den Bewegungsdrang und die Miss­empfindungen, nicht selten bis hin zu starken Schmerzen6.

Auf der NIH-Konferenz 2002 wurden die bis heute gültigen Diagnosekriterien des RLS (essenzielle oder Minimalkriterien) definiert7, die 2011 durch ein fünftes Diagnose­kriterium ergänzt wurden8.


Diagnostische Kriterien des RLS

Für eine Diagnosestellung müssen alle Kriterien erfüllt sein:

  1. Bewegungsdrang der Beine: Dieser wird üblicherweise von unangenehmen Gefühlen in den Beinen begleitet oder verursacht. In manchen Fällen besteht der Bewegungsdrang auch ohne unangenehme Gefühle; bisweilen können auch die Arme oder andere Körperregionen zusätzlich betroffen sein.
  2. Beginn oder Verschlechterung während Ruhezeiten: Der Bewegungsdrang und assoziierte unangenehme Gefühle in den Beinen beginnen oder verschlechtern sich in Ruhezeiten oder bei Inaktivität, z. B. im Sitzen oder im Liegen.
  3. Besserung durch Bewegung: Der Bewegungsdrang und assoziierte unangenehme Gefühle werden durch Bewegung wie Laufen oder Dehnen teilweise oder vollständig gebessert, zumindest solange diese Aktivität andauert.
  4. Symptomatik v. a. abends oder nachts: Der Bewegungsdrang und assoziierte unangenehme Gefühle sind am Abend oder in der Nacht stärker als während des Tages bzw. treten ausschließlich abends oder nachts auf. Bei starker Ausprägung der Symptome kann die Verschlechterung in der Nacht möglicherweise nicht mehr bemerkt werden, sie muss jedoch früher einmal bestanden haben.
  5. Sogenannte Mimics (RLS-ähnliche Symptome) ausschließen: die o.g. Symptomatik kann nicht hinreichend durch andere medizinische Faktoren/Begleit­erkrankungen erklärt werden (z. B. Muskelkrämpfe, venöse Insuffizienz, Beinödeme, ­Arthritis, lagebedingte Dysästhesien) .

Diese einfachen essenziellen oder Minimal-Kriterien für die ­Diagnose eines RLS lassen sich oft schon durch eine gründliche Anamnese und klinische Untersuchung abklären.

Es ist wichtig, ungewöhnlichen Beschreibungen von Symptomen in den Beinen Aufmerksamkeit zu schenken und gegebenenfalls nachzufragen. Denn RLS-Patienten erscheinen, jedenfalls wenn keine offensichtliche Grunderkrankung vorliegt, meist klinisch-neurologisch gesund und es ist für die Betroffenen schwer, ihre Beschwerden in Worte zu fassen. Letzteres ist eine der wesentlichen Ursachen für die Unter- und Fehldiagnostik des RLS.

Darüber hinaus bestehen ­wichtige unterstützende Diagnosekriterien, die für die Sicherung der Diagnose hilfreich sind, jedoch nicht zwingend bei jedem RLS-Patienten auftreten müssen. Dazu gehört ein positives Ansprechen auf frühere oder derzeitige Behandlungen mit dopaminergen Medikamenten (Dopaminagonisten, L-Dopa). Bei nicht-vorbehandelten Patienten kann zur Prüfung dieses Kriteriums ein einfach durchzuführender L-Dopa-Test durchgeführt werden. Er gilt als positiv, wenn sich die Beschwerden innerhalb von zwei Stunden nach Gabe einer Einzeldosis von 100–200 mg L-Dopa bessern. Positives Ansprechen auf Dopaminergika kann bei mindestens 90 Prozent der Patienten mit RLS beobachtet werden9.

Zum anderen sind periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS) oder im Wachen (PLMW) ebenso wie eine positive ­Familienanamnese (bei mehr als 2/3 ist mindestens ein Verwandter ersten Grades betroffen) den objektivierbaren unterstützenden RLS-Kriterien zuzurechnen.

Die typischen „periodischen Beinbewegungen“ können mit ­einer Schlafableitung bei über 80 Prozent der RLS-Patienten im Schlaflabor nachgewiesen werden. Der ohnehin oberflächliche, ­kurze Schlaf der Betroffenen wird so durch unzählige Weck­reaktionen restlos zerstört. Nicht selten bescheren sie auch dem Partner ­ruhelose Nächte. Auch die eingangs erwähnten Schlafstörungen als häufiges Begleitsymptom bei RLS können ein Anzeichen für das Vorliegen der Erkrankung sein.

Zusätzliche Hinweise auf RLS kann der klinische Verlauf geben, der häufig progredient ist; es sind jedoch auch intermittierende Verlaufsformen mit Remissionen über einen Monat oder länger möglich. Die Patienten sind bei Diagnosestellung meist im mittleren Alter oder älter (>50 Jahre), der Beginn der Symptomatik ist jedoch in jedem Alter möglich. Genetisch begründete Formen kommen oft familiär gehäuft und auch schon im Kindesalter vor. Das idiopathische RLS beginnt in der ­Regel ab einem Durchschnittsalter von 45 Jahren.

Sekundäres oder komorbides RLS tritt im Zusammenhang mit einer Grunderkrankung auf. Zudem lässt sich nicht selten der Beginn oder eine Exazerbation der Erkrankung während einer Schwangerschaft beobachten, wobei die Symptomatik nach Beendigung der Schwangerschaft meist wieder zurückgeht.

Der neurologische Status kann weitere Hinweise geben. Bei der idiopathischen oder familiären Form ist die neurologische Untersuchung meist regelrecht, ältere Patienten zeigen jedoch nicht selten eine begleitende periphere Neuropathie oder Radikulopathie. Bei symptomatischen Formen (s. unten) können entsprechende Defizite festgestellt werden, eine rasche Krankheitsprogredienz deutet ebenfalls auf eine nicht-familiäre Form des RLS hin.

 

► Lesen Sie hier "Das Restless-Legs-Syndrom – Teil 2: Symptomatik und Diagnostik"

►Lesen Sie hier "Das Restless-Legs-Syndrom – Teil 3: Therapieoptionen"


1 Berger K, Kurth T. RLS epidemiology--frequencies, risk factors and methods in population studies. Mov Disord 2007; 22 Suppl 18: S420-S423
2 Allen RP, Walters AS, Montplaisir J et al. Restless legs syndrome prevalence and impact: REST general population study. Arch Intern Med 2005; 165: 1286-1292
3 Abetz et al, Clin Ther2004, 26:925-35
4 Allen RP et al, ArchInternMed 2005, 165:1286-1292)
5 Benes H, Walters AS, Allen RP et al. Definition of restless legs syndrome, how to diagnose it, and how to differentiate it from RLS mimics. Mov Disord 2007; 22 Suppl 18: S401-S408
6 (S1-Leitlinie Restless Legs Syndrom (RLS) und Periodic Movement Disorder (PLMD) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie; Stand September 2012, AWMF-Registriernummer 030/081)
7 Allen RP, Picchietti D, Hening WA, Trenkwalder C, Walters AS, Montplaisir J. Restless legs syndrome: diagnostic criteria, special considerations, and epidemiology. A report from the restless legs syndrome diagnosis and epidemiology workshop at the National Institutes of Health. Sleep Med 2003;4:101-19.
8 International Restless Legs Syndrome Study Group (IRLSSG). 2011 Revised IRLSSG Diagnostic Criteria for RLS. 2011 [cited 2013 June 13 2013]; Available from: irlssg.org/diagnostic-criteria/
9 Stiasny-Kolster K, Kohnen R, Moller JC et al. Validation of the „L-DOPA test“ for diagnosis of restless legs syndrome. Mov Disord 2006; 21: 1333-1339
10 S1-Leitlinie Restless-Legs-Syndrom (RLS) und Periodic Limb Movement Disorder (PLMD) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Stand: September 2012; AWMF-Registernummer 030/081
11 Hening W et al., Sleep Medicine 2004, 5: 237–246
12 Wellbery CE. Getting the facts on restless legs. Am Fam Physician 2000; 62: 51-52
13 Honryak, M et al: Depressive Erkrankungen beim Restless Legs Syndrom, Nervenarzt 2009 · 80:1160–1168
14 Dauvilliers,Y. and Winkelmann J Restless Legs Syndrom: update on pathogenesis; Curr Opin Pulm Med 2013, 19:594-600
15 Hornyak M, Kotterba A, Trenkwalder C, and members of the study group “ motor disorders” of the German Sleep Society Indications for performing polysomnography in the diagnosis and treatment of restless legs syndrome. Somnologie 2001;5:159 – 162.
16 Walters AS, Rye DB. Review of the relationship of restless legs syndrome and periodic limb movements in sleep to hypertension, heart disease, and stroke. Sleep. 2009;32(5):589-597
17 Benes H, Kohnen R. Validation of an algorithm for the diagnosis of Restless Legs Syndrome: The Restless Legs Syndrome-Diagnostic Index (RLS-DI). Sleep Med 2009; 10: 515-523
18 Garcia-Borreguero et al., BMC Neurology 2011, 11: 28
19 Garcia-Borreguero D et al. Diagnostic standards for dopaminergic augmentation of restless legs syndrome: report from a world association of sleep medicine – international restless legs syndrome study group consensus conference at the Max Planck Institute. Sleep Med 2007a;8:520– 530.
20 Trenkwalder C, Hogl B, Benes H et al. Augmentation in restless legs syndrome is associated with low ferritin. Sleep Med 2008; 9: 572–574
21 Garcia-Borreguero D et al Guidelines for the first-line treatment of restless legs syndrom, prevention and treatment of dopaminergic augmentation: a combined task force of the IRLSSG, EURLSSG and the RLS-Foundation. Sleep Med 2016; 21:1-11

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Priv.-Doz. Dr. med. Heike Benes

Schlaflabor Schwerin und Medical Center
Universität Rostock

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