Das Restless-Legs-Syndrom – Teil 2: Symptomatik und Diagnostik

Die klinische Symptomatik beim RLS ist individuell vielfältig und macht es häufig schwer, auf Anhieb die richtige Diagnose zu stellen. Vordergründig klagen die meisten Patienten über die Folgen des RLS wie Schlafstörungen, Tagesschläfrigkeit oder Leistungsmangel und Erschöpfung.[11]

Nicht selten erst auf Nachfragen berichten die Patienten von einem starken, quälenden Bewegungsdrang der Beine, seltener auch der Arme und der Unfähigkeit, die betroffenen Extremitäten ruhig zu halten. Sehr häufig schildern sie damit verbundene „schwer zu beschreibende“ Missempfindungen in der Tiefe der Beine wie Kribbeln, Ziehen oder Spannen bis hin zu Schmerzen. Wird dem Bewegungsdrang nachgegeben (z. B. durch Herumlaufen, Gymnastik) oder eine anderweitige Aktivität unternommen (z. B. kaltes Abduschen, Einreibungen, Bürsten der Beine), bessern sich die Beschwerden meist vorübergehend bis zur nächsten Ruhe- und Entspannungsphase. Die Symptomatik tritt fast ausschließlich in Ruhephasen, vor allem abends und nachts, auf.


Symptome von primärem und sekundärem RLS ähnlich

Die Symptome des idiopathischen (primären) RLS und des symptomatischen oder komorbiden (­sekundären) RLS bei verschiedenen Grundkrankheiten unterscheiden sich kaum. Die Missempfindungen werden sehr unterschiedlich beschrieben – entscheidend ist, dass diese lediglich fakultativen sensorischen Symptome stets im Zusammenhang mit dem Bewegungsdrang auftreten oder diesen verursachen. Die verschiedenen Symptome werden von den Patienten als unterschiedlich störend empfunden. Situationen, die langes Stillsitzen erfordern, werden gezielt vermieden. Manchen Patienten ist ein längeres ruhiges Liegen oder Schlafen so gut wie unmöglich. Während des Schlafes, aber auch im Wachzustand, treten verstärkt periodische Beinbewegungen (PLM, periodic limb movements) auf. Das können Streckbewegungen der Großzehe sein, eine Dorsalflexion im Sprunggelenk oder plötzliche Beugebewegungen der Knie oder der Hüfte. Die Folgen sind Schlafstörungen mit konsekutiver Tagesschläfrigkeit und damit Abnahme der Leistungsfähigkeit.

Die betroffenen Patienten leiden zum Teil seit Jahren unter einem ganz erheblichen Schlafmangel, was häufig in einen unheilvollen Kreislauf aus RLS, zwischenmenschlichen und sozialen Problemen, mangelnder Leistungsfähigkeit, Verschlechterung medizinischer Probleme bis hin zu Depression und Angststörungen bei schweren Verlaufsformen des RLS mündet.12,13


Pathogenese des RLS

In den meisten Fällen (ca. 60–80 Prozent) tritt das RLS idiopathisch auf, entweder sporadisch oder aufgrund einer genetischen Belastung. Die Ursachen und die Entstehung eines idiopathischen RLS sind nach wie vor ungeklärt. Aktuelle Hypothesen zur Pathophysiologie des primären RLS favorisieren eine heterogen genetisch determinierte, komplexe Störung des zerebralen Eisenspeichers mit nachfolgender Dysregulation v.a. des dopaminergen Systems.14 Aufgrund weniger tierexperimenteller Befunde und neurophysiologischer Untersuchungen sowie der Tat­sache, dass dopaminerge Substanzen therapeutisch wirksam sind und Dopaminantagonisten (z.B. Neuroleptika, Antidepressiva) das RLS verstärken können, wird davon ausgegangen, dass die entsprechenden Neuro­transmittersysteme involviert sind. Die exakte Wirkungsweise dopaminerger Substanzen beim RLS ist jedoch noch nicht bekannt.

Darüber hinaus existieren einige sekundäre RLS-Formen, bei denen die Symptomatik im Zusammenhang mit oder als Folge einer Grund­erkrankung auftritt (Tab. 3).

 

RLS bei Eisenmangel

Eisenmangel (auch ohne Anämie) und RLS hängen sehr eng zusammen. Ein Eisenmangel kann RLS-Symptome auslösen oder bestehende Symptome verstärken. Dabei ist nicht etwa die häufig mit einem Eisenmangel einhergehende Anämie ursächlich, sondern in der Tat der Eisenmangel selbst, der idealerweise durch die Messung des Serum-Ferritins bestimmt wird. Bei Ferritin-Werten unter 50 μg/l, wird bei RLS-Patienten eine Eisensubstitution empfohlen.

Medikamentös bedingtes RLS

Ein RLS kann durch unterschiedliche Medikamente ausgelöst bzw. verstärkt werden. Dazu gehören in erster Linie die Dopamin-Antagonisten (z.B. typische und atypische Neuroleptika), auch die meisten Anti­depressiva können RLS-­Symptome verursachen. Ebenso sind von weiteren Stoffgruppen wie Statinen, Östrogenen, Thyroxin und Koffein mögliche Zusammenhänge mit der Verstärkung oder dem Auslösen von RLS-Symptomen berichtet worden. Besteht der Verdacht eines Zusammenhangs zwischen Medikamenten­einnahme und RLS, sollte das entsprechende Medikament abgesetzt oder ausgetauscht werden.

RLS in der Schwangerschaft

Eine erhöhte Inzidenz zum RLS ist bei Schwangeren, besonders im letzten Trimenon, bekannt. Man geht davon aus, dass circa 50 Prozent der Schlafstörungen während der Schwangerschaft durch ein RLS erklärt werden, am ehesten besteht eine Assoziation zum Eisenmangel.


Diagnostik des RLS

Das RLS ist im Wesentlichen eine klinische Diagnose, weshalb der Anamneseerhebung mit Erfassung der oben genannten essentiellen RLS-Kriterien eine zentrale Bedeutung zukommt. Eine Übersicht über das diagnostische Prozedere bei Verdacht auf ein RLS zeigt Abbildung 110.

 

Da sich primäres (idiopathisches) und sekundäres oder komorbides RLS klinisch in der Regel nicht unterscheiden, sind nach Diagnosestellung sekundäre RLS-Ursachen abzuklären.

Zur Abgrenzung des primären vom sekundären RLS können verschiedene Blutuntersuchungen notwendig sein (Tab. 4). Dadurch können mögliche symptomatische Formen des RLS, die auf Eisenmangel, Niereninsuffizienz oder Schilddrüsenfunktionsstörungen beruhen, identifiziert und ursächlich behandelt werden. Bei der Überprüfung des Eisenstatus sollte neben dem Eisengehalt der roten Blutkörperchen (Hämoglobin-Wert) vor allem das Speichereisen (Serum-Ferritin) bestimmt werden. Sinkt dieser Wert unter 50 ng/ml, liegt ein Eisenmangel vor.


Differenzialdiagnosen

Schwierigkeiten kann die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu einer Polyneuropathie bereiten, die oft auch eine EMG (Elektromyographie) und eine ENG (Elektroneurographie) erforderlich macht, Überlappungen beider Krankheitsbilder sind nicht selten.

Wenn nach Ausschluss möglicher anderer Erkrankungen der dringende Verdacht auf ein RLS besteht, kann ein L-Dopa-Test Gewissheit bringen. Bleibt der diagnostische Test mit L-Dopa erfolglos, bestehen Zweifel an der Diagnose oder werden noch andere Erkrankungen vermutet, die den Schlaf zusätzlich stören, ist eine Untersuchung in einem Schlaflabor angezeigt15.

Hier lassen sich durch eine Poly­somnographie (Schlafableitung) in vielen Fällen sowohl die typischen periodischen Beinbewegungen im Schlaf (PLMS) als auch die Zerstörung der Schlafstruktur durch die unzähligen Weckreaktionen zweifelsfrei nachweisen. Außerdem können durch die Polysomnographie zusätzliche schlafstörende bzw. schlafgebundene organische Erkrankungen aufgedeckt und voneinander abgegrenzt werden. Hierzu zählen z. B. schlafbezogene Atmungsstörungen (Schlafapnoe) oder das „Syndrom der periodischen Beinbewegungen“ (PLMD = periodic leg movement disorder). Bei dieser Erkrankung klagen die betroffenen Patienten über einen unerholsamen, unruhigen Schlaf und eine unerklärliche Müdigkeit und Erschöpfung am Tag – ohne die beschriebenen RLS-Symptome wie Missempfindungen und Bewegungsdrang.

Dieses Syndrom kann nur durch eine Schlafableitung diagnostiziert werden, weil nur dadurch die Zerstörung des normalen Schlafverlaufes durch lange Phasen periodischer Beinbewegungen mit nachfolgenden, meist sehr kurzen Aufwachreaktionen zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Diese werden vom Betroffenen gar nicht registriert, beeinträchtigen die Erholsamkeit des Schlafes jedoch erheblich und können zu andauernder Tagesmüdigkeit führen.


PLM, PLMS oder PLMW

Es existieren keine Normwerte für PLM, PLMS oder PLMW für verschiedene Altersgruppen. Ein erhöhter PLMS-Index (>5/h) wurde bei einer Reihe von internistischen und schlafmedizinischen Erkrankungen und als Nebenwirkung von Medikamenten z. B. (serotonergen) Anti­depressiva beschrieben und findet sich auch häufiger mit zunehmendem Alter bei Gesunden.

PLMS wurden zudem mit erhöhter Herzfrequenz-Variabilität und nächtlicher Blutdruck-Erhöhung in Zusammenhang gebracht16. Bei Dialyse-Patienten ist eine PLMD mit erhöhter Mortalität assoziiert.

Mit dem „Restless Legs Syndrom Diagnose-­Index (RLS-DI)“ gibt es ein Werkzeug zur einfachen Diagnosestellung, mit dem anhand eines Punktesystems die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines RLS unter Berücksichtigung der essenziellen und der unterstützenden Kriterien bestimmt werden kann (Abb. 2)17.

Liegt die Gesamtsumme aus beiden Teilen des RLS-DI über 10 und trifft mindestens eines der Kriterien 7 bis 10 zu, dann kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass bei diesem Patienten ein RLS vorliegt.


Differenzialdiagnostik des RLS

In der Praxis gibt es immer wieder Probleme beim Erkennen des Restless Legs Syndroms. Differenzialdiagnostisch kann häufig die Abgrenzung zu Polyneuropathien Schwierigkeiten bereiten, da diese in einigen Fällen ebenfalls mit Miss­empfindungen, Besserung bei Bewegung oder nächtlicher Zunahme der Symptomatik einhergehen können. Auch weitere Erkrankungen können bei diagnostischer Unsicherheit ins Kalkül gezogen werden (Tab. 3)5 und sind bei Verdacht durch die in Abb. 1 dargestellten diagnostischen Schritte wie L-Dopa-Test oder EMG auszuschließen.

 

► Lesen Sie hier "Das Restless-Legs-Syndrom – Teil 1: Definition und diagnostische Kriterien"

► Lesen Sie hier "Das Restless-Legs-Syndrom – Teil 3: Therapieoptionen"


1 Berger K, Kurth T. RLS epidemiology--frequencies, risk factors and methods in population studies. Mov Disord 2007; 22 Suppl 18: S420-S423
2 Allen RP, Walters AS, Montplaisir J et al. Restless legs syndrome prevalence and impact: REST general population study. Arch Intern Med 2005; 165: 1286-1292
3 Abetz et al, Clin Ther2004, 26:925-35
4 Allen RP et al, ArchInternMed 2005, 165:1286-1292)
5 Benes H, Walters AS, Allen RP et al. Definition of restless legs syndrome, how to diagnose it, and how to differentiate it from RLS mimics. Mov Disord 2007; 22 Suppl 18: S401-S408
6 (S1-Leitlinie Restless Legs Syndrom (RLS) und Periodic Movement Disorder (PLMD) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie; Stand September 2012, AWMF-Registriernummer 030/081)
7 Allen RP, Picchietti D, Hening WA, Trenkwalder C, Walters AS, Montplaisir J. Restless legs syndrome: diagnostic criteria, special considerations, and epidemiology. A report from the restless legs syndrome diagnosis and epidemiology workshop at the National Institutes of Health. Sleep Med 2003;4:101-19.
8 International Restless Legs Syndrome Study Group (IRLSSG). 2011 Revised IRLSSG Diagnostic Criteria for RLS. 2011 [cited 2013 June 13 2013]; Available from: irlssg.org/diagnostic-criteria/
9 Stiasny-Kolster K, Kohnen R, Moller JC et al. Validation of the „L-DOPA test“ for diagnosis of restless legs syndrome. Mov Disord 2006; 21: 1333-1339
10 S1-Leitlinie Restless-Legs-Syndrom (RLS) und Periodic Limb Movement Disorder (PLMD) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Stand: September 2012; AWMF-Registernummer 030/081
11 Hening W et al., Sleep Medicine 2004, 5: 237–246
12 Wellbery CE. Getting the facts on restless legs. Am Fam Physician 2000; 62: 51-52
13 Honryak, M et al: Depressive Erkrankungen beim Restless Legs Syndrom, Nervenarzt 2009 · 80:1160–1168
14 Dauvilliers,Y. and Winkelmann J Restless Legs Syndrom: update on pathogenesis; Curr Opin Pulm Med 2013, 19:594-600
15 Hornyak M, Kotterba A, Trenkwalder C, and members of the study group “ motor disorders” of the German Sleep Society Indications for performing polysomnography in the diagnosis and treatment of restless legs syndrome. Somnologie 2001;5:159 – 162.
16 Walters AS, Rye DB. Review of the relationship of restless legs syndrome and periodic limb movements in sleep to hypertension, heart disease, and stroke. Sleep. 2009;32(5):589-597
17 Benes H, Kohnen R. Validation of an algorithm for the diagnosis of Restless Legs Syndrome: The Restless Legs Syndrome-Diagnostic Index (RLS-DI). Sleep Med 2009; 10: 515-523
18 Garcia-Borreguero et al., BMC Neurology 2011, 11: 28
19 Garcia-Borreguero D et al. Diagnostic standards for dopaminergic augmentation of restless legs syndrome: report from a world association of sleep medicine – international restless legs syndrome study group consensus conference at the Max Planck Institute. Sleep Med 2007a;8:520– 530.
20 Trenkwalder C, Hogl B, Benes H et al. Augmentation in restless legs syndrome is associated with low ferritin. Sleep Med 2008; 9: 572–574
21 Garcia-Borreguero D et al Guidelines for the first-line treatment of restless legs syndrom, prevention and treatment of dopaminergic augmentation: a combined task force of the IRLSSG, EURLSSG and the RLS-Foundation. Sleep Med 2016; 21:1-11

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Priv.-Doz. Dr. med. Heike Benes

Schlaflabor Schwerin und Medical Center
Universität Rostock

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