Hilfe bei Polyneuropathien ungeklärter Ursache

Polyneuropathien – es gibt etwa 300 Arten – sind nach wie vor ein Stiefkind in der Behandlung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen. Die Ursachen sind unterschiedlicher Natur bis hin zu ungeklärten Fällen. Die Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e. V. bietet Hilfestellung für Betroffene – insbesondere für Patienten mit Polyneuropathien ungeklärter Ursache.

Einige Polyneuropathien (PNP), wie das akute Guillain-Barré-Syndrom (GBS und Varianten wie Miller-Fisher), hat man heute ganz gut im Griff. Die Dauer der Erkrankung einschließlich der Genesungsphase kann durch die Behandlung mit Immun­globulinen oder auch Plasmapherese um etwa ein Drittel verkürzt werden. Das akute GBS ist mit seinen Varianten die einzige Polyneuropathie, die einen raschen Beginn hat und sehr lebensbedrohlich ist, da gegebenenfalls eine Beatmungspflicht (bei ca. 40 %) erforderlich ist.

Die Diagnose GBS (med. AIDP = Akute Idiopathische Demyelinisierende Polyneuropathie) zu stellen ist heute eigentlich kein Thema mehr. Früher war die häufigste Fehldiagnose „Psychiatrie“. Die Rehabilitationspraktiken sind in den vergangenen 15 Jahren ebenfalls entscheidend verbessert worden. Ist man vor 20 Jahren noch davon ausgegangen, dass es vom Zeitpunkt des Beginns eines GBS an gerechnet, nach zwei Jahren keine Verbesserungen mehr gibt, sind es heute etwas über elf Jahre.

 

Erfahrungen eines ErkranktenPfarrer i. R. Martin Bödeker

Man weiß nicht, wer bedauernswerter ist: Der Mensch, an dem Polyneuropathie (PNP) diagnostiziert wird oder der ihn behandelnde Neurologe. Als langjährig Betroffener stelle ich mir inzwischen häufig diese Frage. Ende der 1980er Jahre wurde bei mir während einer Reha-Maßnahme eine PNP diagnostiziert; meine Zehen litten unter zunehmender Gefühllosigkeit. Nachdem ich an meinen Heimatort in NRW zurückgekehrt war und mit dem neurologischen Bericht in eine neurologische Praxis kam, wurde mir gesagt, ich hätte keine PNP und ich solle mich wegen der Schmerzen und Gefühls­irritationen nicht so anstellen. Ich ging zu anderen Neurologen, die mich zwar mit der zunehmenden Gefühllosigkeit ernst nahmen, aber die Polyneuropathie nicht bestätigen konnten. Resignation machte sich breit, die Gefühllosigkeit verschlimmerte sich, oftmals hatte ich Schmerzen, aber wirkliche Hilfe bekam ich nicht.

Leider hat die überwiegende Zahl der Mitglieder der von mir vor 10 Jahren gegründeten SELBSTHILFEGRUPPE für PNP OST-WESTFALEN-LIPPE (50 Mitglieder plus Angehörige) vergleichbare Erfahrungen machen müssen. Es scheint unter den Neurologen viel Rat­losigkeit zu geben. Erst durch die Initiative eines Handchirurgen, der mich ambulant am Armgelenk operiert hatte, kam ich auf dessen Einweisung in eine Klinik mit neurologischer Abteilung und wurde dort nach allen Regeln der „damaligen Kunst“ untersucht. Diagnose: PNP unbekannter Ätiologie. Mir wurde ein Mittel verschrieben, das mir zwar die Schmerzen etwas nehmen konnte, das mich aber zeitgleich in „Watte“ packte, was meinem Gesamtergehen nicht zuträglich war, so dass ich es nach einem halben Jahr wieder absetzte.

Im Laufe der vergangenen 14 Jahre war ich mehrfach in einer Uniklinik, in verschiedenen neurologischen Praxen und mehrfach in Reha-Kliniken. Es wurden alle gängigen schulmedizinischen Medikamente an mir ausprobiert, die zwar einerseits etwas Linderung meiner Beschwerden brachten, andererseits aber erhebliche Nebenwirkungen hervorriefen, die meine Lebenssituation sehr negativ beeinflussten. Alternative Methoden wurden nicht ausprobiert und wenn, musste ich (und muss es immer noch!) die Kosten dafür allein tragen. Denn in Deutschland ist es nicht gewollt, alternative Mittel und ebensolche Methoden von den Krankenkassen oder vom G-BA anerkennen und bezahlen zu lassen, wie es ansonsten im europäischen Ausland schon lange üblich ist. Nicht einmal die Laboruntersuchungen der für die Nerven wichtigen Mikronährstoffe, Mineralstoffe und die lebenswichtigen Vitamine dürfen von den Neurologen angeordnet werden, um so die vom Patienten selbst zu bezahlenden Mittel wenigstens regelmäßig kontrollieren zu lassen.

Wenn man beispielsweise bedenkt, dass Neurologen für die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, die zur Erkennung einer PNP wesentlich ist, zwar viel Zeit aufwenden, diese Untersuchung jedoch im Vergleich mit Handwerkerkosten weitaus geringer bezahlt wird, fragt sich jeder: Was haben wir in Deutschland für ein Gesundheitssystem, in dem so etwas zugelassen wird?!

Fazit: Wir Erkrankten leiden weiterhin nicht nur an den Folgen von PNP, sondern auch noch zusätzlich – ebenso wie aufgeschlossene Neurologen – an den Unzulänglichkeiten des deutschen Gesundheitssystems, das weder alternative Medizin zulässt, noch die entsprechenden Mittel einsetzt, die schon sehr Vielen Linderung verschaffen konnten.

Viele ungeklärte Fälle

Aber was ist mit den anderen Poly­neuropathien, die sich langsam über Jahre entwickeln und teilweise schwer zu diagnostizieren bzw. zu behandeln sind?

Da ist zunächst einmal die größte Gruppe mit der diabetischen Poly­neuropathie, die sich zum größten Teil aus Ernährungsgepflogenheiten entwickelt. Alkoholkonsum ist dabei ein nicht gerade seltener Auslöser.

Danach folgt die große Gruppe der ungeklärten Fälle. Trotz umfangreicher Diagnostik ist bei diesen Patienten keine Ursache zu finden. In der Regel werden nur die Symptome behandelt, wobei starke Schmerzen oder heftiger Juckreiz den wohl größten Teil ausmachen.


Lücken schließen

Im Bereich der ungeklärten Fälle gab es über viele Jahre eine offene Selbsthilfeflanke, die mit Gründung der Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e. V. im Jahr 2017 geschlossen wurde. Es gibt zwar einige örtliche PNP-Gruppen, die aber an ihre Grenzen stoßen. Das bedeutet: Kaum oder kein überlappender Informations­austausch mit anderen Gruppen und auch keine einheitliche „Stimme“ im Gesundheitswesen, um Verbesserungen herbeizuführen. Außerdem fehlt diesen Gruppen die vom örtlichen Finanzamt festzustellende Gemeinnützigkeit der Satzung, wenn sie denn eine haben. Trotzdem ist hier ein wichtiger Baustein dahingehend entstanden, dass man sich in Gruppentreffen mit seinen Sorgen und Nöten untereinander austauscht.

Die Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e. V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Gruppen unter einem gemeinsamen Dach zusammenzuführen, um Verbesserungen zur Lebens­situation von Betroffenen zu erwirken. Weiterhin wird einheitliches Informationsmaterial zur Verfügung gestellt.

Die bundesweiten Bestrebungen, die Anzahl der Gruppentreffen zu erhöhen, sollen und müssen gestärkt werden, um weitere Anliegen oder Beschwerden betroffener Patienten zu erfahren und diese einer Lösungsmöglichkeit zuzuführen. Dazu unterhält die Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e. V. einen medizinisch-­wissenschaftlichen Beirat, der sich auf die Behandlung von Polyneuropathien spezialisiert hat. In der Regel erfolgt diese ambulant oder stationär in geeigneten Kliniken bzw. Zentren. Über jedes Gruppentreffen wird ein Bericht erstellt und in der Vereinszeitschrift PEPO Aktuell und auf der Website www.selbsthilfe-pnp.de veröffentlicht sowie per E-Mail versendet. Mitglieder ohne Internet bekommen die Berichte per Post zugeschickt.


Aufgabe des Vereins

Die Aufgaben der Selbsthilfe sind im Wesentlichen, Betroffene zusammenzuführen und mit diesen eine Selbsthilfeheimat zu bilden.

Dazu wurden 5 Säulen der Selbsthilfe entwickelt:

  • telefonische Hilfsleistungen für Betroffene und deren Angehörige bei Kontaktaufnahme und die Bereitstellung von geeigneten Informations­materialien
  • Besuch von Betroffenen in Kliniken oder zu Hause
  • Organisation von Gruppentreffen zum Erfahrungsaustausch; diese finden sowohl mit Fachärzten als auch mit erfahrenen Moderatoren statt
  • Teilnahme mit eigenen Informationsständen an öffentlichen Selbsthilfe-Informationsveranstaltungen; ebenfalls gehören Fachveranstaltungen und Symposien dazu
  • Teilnahme geeigneter Patienten an Seminaren, die der Fortbildung dienen, damit diese spätere Gesprächskreise moderieren können; zur Fortbildung gehören auch geeignete Mittel, um Widerspruchsverfahren zu begleiten

Zudem fördert der Verein erfolgversprechende Forschungsprojekte.


Veranstaltungen für Patienten

Die erste große Fachveranstaltung fand im Mai 2018 in den Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach statt. Vor über 100 Teilnehmern und Vertreter der Landes- und Kommunalpolitik referierten fünf Fachmediziner über Polyneuropathien und deren ­Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten.

Generelle Aussage: Wer als behandelnder Arzt nicht zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe motiviert, verpasst eine Chance für seinen Patienten.

 


Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e. V.

Die Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e. V. wurde 2017 gegründet, um eine nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität und Hilfestellung für Betroffene mit Polyneuropathien in Form von Beratung zu erbringen.

Informationsmaterialien  
Flyer zur Polyneuropathie
Broschüren:
Polyneuropathie – Kurzbeschreibung und Übersicht Medizinisches Cannabis
Restdefizite nach akutem Guillain-Barré-Syndrom  GBS – CIDP – MFS – MMN
„Über den Tod hinaus“ von Herbert Brüßeler
Regelmäßige Berichterstattung in PEPO Aktuell

Eine Umbenennung von „Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e. V.“  in „Deutsche PEPO e. V.“ ist für 2019 vorgesehen.
www.selbsthilfe-pnp.de


 

Albert Handelmann

Vorsitzender und Gründer der Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e. V.
Er erkrankte 1997 am akuten GBS und benötigte 3 Jahre bis zur Wiederherstellung. Er ist Ehrenvorsitzender und Gründer (2001) der heutigen Deutschen GBS CIDP Initiative e. V., seit 2005 Repräsentant der Internationalen GBS CIDP Stiftung der USA für den deutschsprachigen Raum in Europa und verfasste drei Sachbücher über das Durchleben des akuten GBS.

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