Tango tanzen gegen Parkinson
Die Tangolehrerin Simone Schlafhorst hat ein Training mittels verschiedener Elemente aus dem Tango Argentino entwickelt, das die Motilität bei neurologischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson verbessern kann.

Tangounterricht kann Entwicklungen anstoßen und Heilungseffekte erzielen, da er mit Korrekturen der Körperhaltung und des kommunikativen Austauschs des Paares und in der Gruppe tätig ist. Wesentlich tiefer greifend als ein normaler Tangounterricht sind Elemente aus dem Tango Argentino als Therapie, da sie auf bestimmte therapeutische Schwerpunkte fokussiert werden können.
Seit rund zehn Jahren wird die Wirkung von Tangotanzen auf Krankheiten mit Störungen der Beweglichkeit erforscht. Bei Menschen, die an Morbus Parkinson, Enzephalitis disseminata oder demenziellen Prozessen in ihren frühen Stadien erkrankt waren, konnten günstige Effekte auf den Krankheitsverlauf, deutlicher noch auf die Bewältigung der Krankheitseffekte nachgewiesen werden.
Auf dem Hintergrund der in den letzten zehn Jahren publizierten wissenschaftlichen Ergebnisse der bewegungstherapeutischen Arbeit mit Tangoelementen2-6 hat die Tangolehrerin Simone Schlafhorst aus Elementen des argentinischen Tangos ein bewegungstherapeutisches Konzept zur Verbesserung von Motorik, Psyche und geistigen Fähigkeiten entwickelt, das sie Neurotango© genannt hat und das sie in Kursen für Physiotherapeuten und Neurologen lehrt.
Das Konzept der Tanztherapie
Die Bewegungstherapie, die mit Hilfe von Elementen des Tango Argentino entwickelt wurde, dient dem Aufbau, der Entwicklung und Erhaltung motorischer und kognitiver Fertigkeiten in Verbindung mit dem Abbau depressiven Herabgestimmtseins. Neurotango© verknüpft motorische und kognitive Aufgaben mit auditiven Reizen rhythmischer und melodischer Art zur Stimulation auch der emotionalen Gehirnhälfte.
Die Übungen sind so angelegt, dass kognitive, motorische und sensorische Reize in wechselnder Kombination gesetzt werden. Alle Übungen sollen den Teilnehmern vor allem keine Situation der Überforderung schaffen, sondern Freude machen.
„Tango Tools“

Beim Konzept des Neurotango© werden folgende „Werkzeuge“ (Tango Tools) in Kombination angewendet:
- Gegengleiche Bewegungen (Torsionen in der Hochachse)
- Übungen zur räumlichen Orientierung und „Rundumgewahrsein“
- Übungen zum Gleichgewicht
- Schreiten in Richtungen (geradeaus, rückwärts, vorwärts, seitwärts)
- Taktimpulse für Gehen und Pausen
- Multitasking (gehen, zählen, Schritte erinnern, Orientierung im Raum, Übungen des Körperlagesinnes, Führung, Musikalität)
- unterschiedliche Dynamiken (Schrittlänge, Geschwindigkeit, Intensität/Betonung)
Besonders interessant ist ein Tool, das Übungen zur Fußkoordination mit der Fußsensormotorik und einem Gedächtnistraining verbindet. Oder ein Tool, bei dem auf den bei intensiverem Tangotraining auftretenden meditativen Zustand eingegangen wird.
Motivierende und effektive Therapie
Wenn man die elaborierten physiotherapeutischen Behandlungsmethoden vor Augen hat, mit denen man an neurologisch bedingten Motilitätsstörungen leidenden Patienten zu einer verbesserten Beweglichkeit verhelfen will, so wird ein erheblicher Unterschied zur Therapie mittels Neurotango© deutlich: die endlosen Wiederholungen immer der gleichen Bewegungsfolge erzeugen alsbald Langeweile und mindern die Motivation und die Therapietreue; die Übungen mittels Neurotango© sind dagegen angenehm und vergnüglich, so dass Aufmerksamkeit und Motivation nicht nachlassen.
Positive Effekte durch TangoBei Gruppen von Parkinsonpatienten, die 24 Monate allwöchentlich für eine Stunde an Tangotherapien teilnahmen, wurden folgende Effekte festgestellt:
• Rückwärtsbewegung deutlich erleichtert und verbessert
• Drehbewegungen aus Hüfte und Becken erleichtert
• kein „freezing“ während der Bewegung
• Erhöhung der Mobilität gemessen unmittelbar nach dem Training von 2 Punkten auf einer Skala von 1–10 gegenüber dem Befund zu Beginn des Trainings
• verbesserte Gangeinleitung bei Hindernissen wie z. B. Türen öffentlicher Verkehrsmittel
• flüssigeres Gangbild
• aufrechterer Gang, verbesserte Stimme und besserer Allgemeinzustand
• Gefühl der Erleichterung und sogar Lächeln bei Menschen mit depressiver Verstimmtheit
• Energieschub für mehrere Stunden bei Menschen mit apathischer Erscheinung vor dem Kurs
• Steigerung des Wohlbefindens von durchschnittlich 2 Punkten auf einer Skala von 1 -10
Praxisbuch
Für diese neuartige Bewegungstherapie ist das Praxisbuch Neurotango© erhältlich, das auf 100 DIN A4 Seiten den systematischen Übungsaufbau in zehn übersichtlichen Kapiteln darstellt. Dabei werden nicht nur die typischen Übungselemente in ihrer Aufeinanderfolge beschrieben, sondern jeweils auch die physiologischen und psychologischen Zusammenhänge für diese Übungen erklärt. So kann auch eine Person ohne besondere Expertise im Tango Argentino erste Erfahrungen bei der Anleitung von Patienten mit Beeinträchtigungen der Beweglichkeit vermitteln. Hilfreich ist jedoch eine gewisse eigene Erfahrung, die von der Autorin in speziellen Kursen vermittelt wird.
Die Anwendungsmöglichkeiten betreffen vorwiegend die Physiotherapie und den Behindertensport, die Ergotherapie mit Schwerpunkten in der Neurologie, der Geriatrie, aber auch der Psychiatrie.
Hervorzuheben ist, dass die Führung einer Patientengruppe mittels des Neurotangos© kein Tanzunterricht zum Erlernen des argentinischen Tangos ist. Über die bewegungstherapeutische Wirkung hinaus weisen alle Übungen eine soziale Komponente durch den Umgang mit dem jeweiligen Übungspartner und den Austausch innerhalb der Gruppe auf, was die fröhliche Grundstimmung in den Neurotango©-Gruppen erklärt.
Warum Menschen sich entschließen, mit dem Tango zu beginnen: „Aus Studien und Statistiken geht hervor, dass die meisten Menschen intuitiv mit dem Tango beginnen, wenn sie einen Verlust erlitten haben“, so die Autorin und stellt fest: „Die Urform des Trostes und die archetypische Geste aller Menschen ist die Umarmung.“ Sie vermutet, „die Kraft der Umarmung beim Tango (…) hat eine psychisch stabilisierende Wirkung.“
Fazit
Ich habe das Konzept Neurotango© in einem Kurs zum Neurotango© detailliert kennengelernt. Selbst führe ich Tango Remediando durch, ein Kommunikationstraining mittels Tango-Elementen für Neurosekranke. Neurotango© ist nach meiner Überzeugung als Nervenarzt eine ausgezeichnete und vergnügliche Methode für Menschen mit Störungen der Motilität.
► Weitere Informationen zur Tango Therapie und zu Kursen finden Sie unter www.tango-therapy.com
1 Schlafhorst S (2018) „Neurotango© – Prinzipien der Tango-Therapie.“ Neo Publishing
2 Hackney M. u. a.: A study on the effects of argentine tango as a form of partnered dance for those with parkinson disease and healthy elderly. Amer J Dance Therapy, 29/2, 2007, 109–127
3 Hackney M. et al.: Effects of tango on functional mobility in parkinson’s disease: A preliminary study. J Neurol Physical Training, 31/2007, 173–179
4 McKinley P. u. a.: Effect of a community-based argentine tango dance program on functional balance and confidence in older adults. J Aging Physical Activity, 16/4, 2008, 435–453
5 Hackney M. u. a.: Effects of dance on movement control in parkinson’s disease: A comparison of argentine tango and american ballroom. J Rehabil Med, 41/2009, 475–481
6 Quiroga Murcia C. et al.: Emotional and neurohumoral responses to dancing tango argentino: The effects of partner and music. Music and Medicine, 1/2009, 14