Was tun bei Knie-Problemen? Es muss nicht immer die OP sein!

In Deutschland werden pro Jahr mehrere Hunderttausend Kniegelenke operiert – das ist aber nur die Spitze des Eisbergs an Knieleiden. Für die Betroffenen bedeutet ein solcher Eingriff meist einen tiefen Einschnitt in den Alltag, verbunden mit grundlegenden Fragen nach der Belastungsfähigkeit in der Zukunft. Die Lebensumstände der Patienten beeinflussen dabei wesentlich die Auswahl der chirurgischen Optionen. In Fachkreisen wird angesichts der weiterhin steigenden Operationszahlen zunehmend das Einholen einer Zweitmeinung empfohlen. Hierzu Orthopäde und renommierter Kniechirurg Prof. Dr. Hanno Steckel im Interview.

Die Zahl der Knieoperationen steigt in Deutschland drastisch: 200.000 künst­liche Kniegelenke pro Jahr. Wie erklären Sie sich diese erschreckende Zahl und den Zuwachs?

Der Anstieg und die hohe Fallzahl bei den künstlichen Kniegelenken haben verschiedene Gründe. Zum einen lässt sich dies durch den demographischen Wandel erklären, denn Deutschland hat weltweit mit den höchsten Altersdurchschnitt in der Bevölkerung. Zum anderen sind die Ergebnisse der Endoprothetik, also der künstlichen Gelenke, im Schnitt so gut, dass viele Patienten ein neues Gelenk fordern, um nicht weiter eingeschränkt zu sein. Eine konservative Therapie liefert hier oft nicht einen vergleichbaren Erfolg. Richtig ist aber auch, dass die konservative Therapie in Deutschland nicht angemessen honoriert wird, so dass diese nicht in der nötigen Intensität und Qualität angeboten werden kann. Abschließend gibt es sicher auch zu viele Einrichtungen, die Endoprothetik anbieten, dies oft in einer sehr geringen Fallzahl.

Thema Prävention: Was ist eigentlich entscheidend für ein gesundes Knie? Worauf muss man im Alltag achten?

Ein gesundes Kniegelenk zeichnet sich durch eine gute Achse aus, d. h. kein übermäßiges O- oder X-Bein. Auch sollte das Kniegelenk durch die natürlichen Bänder gut stabilisiert sein. Liegt z. B. eine Instabilität des Kniegelenkes nach einem Riss des vorderen Kreuzbandes vor, so entstehen durch diese Instabilität vermehrt Knorpel- und Meniskusschäden. Dies hat im Umkehrschluss zur Folge, dass stärkere Achsabweichungen korrigiert werden sollten und auch Instabilitäten behandelt werden müssen. Übergewicht ist ein weiterer Faktor, der den Kniegelenken stark zu schaffen macht. Beim Laufen oder Treppensteigen, lastet ein Vielfaches unseres Körpergewichts auf den Kniegelenken, so dass schnell ersichtlich wird, dass jedes Kilo für gesunde Kniegelenke zählt.

Ist eine Zweitmeinung zur Knie-OP für den Patienten unerlässlich?

Nein, nicht jede Operation bedarf einer Zweitmeinung. Es gibt oft klare Operationskriterien, die unstrittig sind. Dies ist z. B. das instabile Kniegelenk nach einem Riss des vorderen oder hinteren Kreuzbandes. Auch wenn man ein gutes Vertrauensverhältnis zum behandelnden Arzt oder Ärztin hat und bereits eine konservative Therapie ohne Erfolg durchlaufen hat, stellt sich meist nicht die Frage nach einer Zweitmeinung. Lebensverändernde Operationen wie der Einbau eines künstlichen Kniegelenkes bedürfen hingegen doch häufig einer Zweitmeinung. Egal ob ein Teil oder das komplette Gelenk ersetzt werden, so ist dies doch der Einstieg in ein Leben mit einem künstlichen Gelenk und kann somit nicht wieder rückgängig gemacht werden. Fragen nach Standzeit, späteren Prothesenwechseln, Infektionsschutz bei chirurgischen Eingriffen und individuelle Erfolgsaussichten stehen dann zur Diskussion.

Ab wann sollte man wirklich den Orthopäden aufsuchen? Welche Anzeichen müssen vorliegen?

Grundsätzlich sollten alle schmerzhaften Zustände am Kniegelenk, die länger als zwei Wochen andauern, ärztlich abgeklärt werden. Hat man sein Knie beim Sport oder anderweitig lediglich überlastet, so sind solche Beschwerden nach zwei Wochen meist verschwunden. Ein dickes geschwollenes Knie mit oder ohne Unfallereignis bedarf jedoch umgehend einer Untersuchung, da sollte nicht gewartet werden. Bei einem Unfall spricht das für eine Verletzung von Gelenkstrukturen, ohne Unfall kann so etwas ein Zeichen für eine Infektion oder eine rheumatische Erkrankung sein.

Welche Sportarten empfehlen Sie Patienten mit Knie-Problemen und welche sollte man eher meiden?

Bei Knieproblemen verbieten sich Sport­arten, die das Knie stauchen, wie etwa Joggen, Volleyball- oder Fußballspielen. Ideal hingegen sind Sportarten, die das Knie zyklisch belasten wie Radfahren, Rudern oder Schwimmen. Zyklische Sportarten trainieren das Knie ideal ohne es zu schädigen. Joggen ist übrigens für kaputte Kniegelenke absolutes Gift.

Welche drei bis fünf Fragen sollten Teil des Fragenkatalogs eines jeden Patienten im Ärztegespräch zu einer möglichen Knie-OP sein?

Für mich sind die wichtigsten Fragen im OP-Beratungsgespräch: Was sind die Alternativen zur OP, Was sind die Risiken einer OP und Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Operation. Auch die Frage, wie oft der Operateur diese OP bereits durchgeführt hat, halte ich für wichtig und legitim.

Wie kann man im klassischen Büro­alltag dem Knieleiden entgegen­wirken? Haben Sie Tipps?

Für das Büro gilt ebenso wie für den Alltag der schöne Spruch sitzen ist das neue Rauchen. Bleiben Sie in Bewegung. Nehmen Sie die Treppe und nicht den Fahrstuhl. Wechseln Sie Ihre Position, mal ein Telefonat im Stehen oder ein Gespräch mit Kollegen beim Laufen. Ideal sind Bürotische, die wechselnd auf Sitz- oder Stehposition eingestellt werden können. Das ist übrigens auch für den Rücken ideal.

Sie sagen, dass nach einer Operation der Operateur immer zufriedener ist als der Patient – wieso ist das so?

Es gibt Studien, die genau dies zeigen. Der Operateur überprüft nach einer Operation Kriterien wie Stabilität, Beweglichkeit und das Röntgenbild. Sind alle diese Parameter perfekt, so ist auch der Operateur in der Regel zufrieden. Dem Patienten ist das perfekte Röntgenbild aber egal, diesbezüglich kann alles krumm und schief sein, er will beschwerdefrei sein und nicht länger daran erinnert werden, dass er ein künstliches Gelenk hat. Daher hat die Wissenschaft zunehmend neue Kriterien zur Beurteilung der Operationen eingeführt. Diese heißen PROMs, für ‚Patient Reported Outcome Measures‘ und sollen vermehrt die Patientenperspektive berücksichtigen.

Wie häufig gibt es das beschriebene „forgotten knee“, also das vergessene, weil beschwerdefreie Knie nach einem Gelenkersatz?

Das ‚forgotten knee‘ ist das ultimative Ziel für Patient und Chirurg. Bei den künst­lichen Kniegelenken, weiß man, dass 20 % der Patienten nicht hundertprozentig glücklich mit ihrem neuen Knie sind. Dies ist ganz anders bei den künstlichen Hüftgelenken, wo wir eine viel größerer Zufriedenheit beobachten. Nach derzeitiger Studienlage beobachten wir das ‚forgotten knee‘ bei 40 – 50 % der Kniegelenkersatzoperationen.

 


Buchtipp

Auch wenn dieses Buch keinen Arztbesuch ersetzen kann, so hilft es dem Betroffenen, Diagnosen und Zusammenhänge besser zu verstehen und weit vor einer Operation die richtigen Fragen zu stellen. Auch konservative Heilungswege und -aussichten kommen ausführlich zur Sprache. In acht Kapiteln erfahren Sie, wie faszinierend unser kompliziertestes Gelenk konstruiert ist, aber auch, was die häufigsten Leiden sind und wie sie behandelt werden. Typische Beschwerden und die Folgen von Verschleißerscheinungen oder Unfällen werden gut verständlich erläutert. Gleichzeitig beschäftigt sich das Buch intensiv mit konservativen Maßnahmen und der „Trainingslehre Knie“, mit denen man in vielen Fällen den Folgen einer Arthrose oder zumindest den Schmerzen effektiv entgegenwirken kann.

"Nicht übers Knie brechen"
Prof. Dr. Hanno Steckel
ISBN 978-3-95453-182-0
24,95 € (D), 256 Seiten, Format 19×24 cm, Becker Joest Volk Verla


 

Prof. Dr. Hanno Steckel
Orthopäde und Kniechirurg

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