Neues Verfahren erhöht Präzision der Protonentherapie

Seit April wird am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden ein neues Verfahren zur Bestrahlungs­planung bei Protonentherapie angewendet. Mit der „DirectSPR“ genannten Methode lässt sich die Protonen-Reichweite im menschlichen Gewebe viel genauer und für jeden Patienten individueller vorhersagen. Hierdurch werden die Präzision und die Sicherheit der Protonentherapie erhöht. Das Berechnungsverfahren wurde von Medizinphysikern des Dresdner OncoRay-Zentrums, des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) sowie des in Heidelberg ansässigen Deutschen Krebsforschungszentrums entwickelt.

DirectSPR MethodeHerausforderung der Protonentherapie
Protonen werden im Körper so gebremst, dass sie den Großteil ihrer Energie im Tumor entladen. Allerdings verlangsamen Gewebearten die Protonen unterschiedlich, daher wird zur Bestimmung der Reichweite meist eine CT-Aufnahme hinzugezogen. Da sich die Röntgenstrahlung im Gewebe aber anders verhält als die Protonen, lässt sich die Gesamt­reichweite nur ungenau vorhersagen. Daher muss ein Sicherheitssaum aus gesundem Gewebe um den Tumor mitbestrahlt werden, um sicherzustellen, dass das Krebsgewebe vollständig bestrahlt wird. 

SPR „Stopping Power Ratio“
Das DirectSPR-Verfahren basiert auf der Dual-Energy-Computertomographie (Dual-­Energy CT, DECT). Mit der eigentlich für die radiologische Diagnostik entwickelten DECT bekommen Medizinphysiker deutlich aufschlussreichere Daten, um die Bestrahlungen mit Protonen zu planen. Das DECT-Verfahren liefert für die Bestrahlungsplanung jeweils zwei CT-Aufnahmen, die mit unterschiedlichen Röntgenenergien erzeugt werden. Daraus lassen sich deutlich mehr Informationen über das Gewebe ableiten als bei der Standardmethode zur Berechnung der Reichweite des Protonenstrahls. 
Bereits 2015 wurde der erforderliche Berechnungs-Algorithmus von den Heidelberger und Dresdner Forschern entwickelt. Mit DirectSPR lässt sich die relative Elektronendichte und die effektive Kernladungszahl ­individuell in jedem Bildpunkt bestimmen. Daraus wird dann das Bremsvermögen des Gewebes berechnet. Die Abkürzung SPR steht für „Stopping Power Ratio“. Diese Größe gibt den Energieverlust der ­Protonen pro Wegstrecke relativ zum Energieverlust in Wasser an.
Die Verringerung des Bestrahlungsvolumens, etwa im Gehirn, ermöglicht eine noch bessere Schonung wichtiger Nervenstrukturen. Dadurch werden Nebenwirkungen wahrscheinlich reduziert, wodurch die Protonen­therapie schonender wird.

 

Ein Interview mit:

Prof. Dr. med. Dr. Esther Troost 
Direktorin der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des Universitätsklinikums Dresden und Leiterin der Forschungsgruppe „Bildgestützte Hochpräzisionsstrahlentherapie“ am HZDR

Dr. Christian Richter
Leiter der Forschungsgruppe „Hochpräzisionsstrahlentherapie“ am HZDR und am OncoRay-Zentrum

 

Was sind die Vorteile der neuen Therapie?

Richter: Die Reichweite der Protonen war bislang im Patienten nur mit einigen Millimetern Unsicherheit vorhersagbar (Details siehe Kasten). Uns fehlte bisher eine Technologie, um die individuellen Parameter zu ermitteln, die für die Protonenbremsung in unterschiedlichen Geweben wichtig sind. Mit dem ­DirectSPR-Verfahren, das auf der DECT basiert, können wir das viel genauer. Jetzt können wir Unterschiede in der Gewebezusammensetzung in verschiedenen Patienten, aber auch in unterschiedlichen Geweben im selben Patienten viel besser auflösen und bei der Planung berücksichtigen. Damit wird die Bestrahlung präziser, schonender und individueller. Konkret bedeutet dies bei der Bestrahlung von Prostatatumoren eine Reduktion des Sicherheitssaumes um rund 35 Prozent, im Gehirn sogar um bis zu 40 Prozent.

Wie hat sich die Genauigkeit der Reichweite­berechnung geändert?

Troost: Wir konnten belegen, dass der Vorteil zur bisherigen Reichweite- und Dosisberechnung nicht nur in der Theorie besteht, sondern dass er klinisch hochrelevant ist. Wir haben gesehen, dass das umfassend validierte DirectSPR-Verfahren für tiefliegende Tumore eine um vier bis acht Millimeter präzisere Protonenreichweite berechnet als das bisherige Standardverfahren. Die seit über 30 Jahren unveränderte Reichweitegenauigkeit der Protonentherapie wird damit erstmals deutlich verbessert.

Welche Patienten werden vorwiegend mit der DirectSPR-Methode in Dresden behandelt?

Troost: Aktuell behandeln wir Patienten mit einem unbeweglichen Tumor in der ­Prostata, im Gehirn oder an den Extremitäten mit der DirectSPR-Methode. Das sind circa 60 Prozent der in Dresden mit Protonen bestrahlten Patienten. Da diese Methode erst Ende April eingeführt wurde, konnten bislang nur wenige Patienten (circa 30) von dieser Methode profitieren. Diese Zahl steigt aber kontinuierlich an.

Wie sind die ersten Erfahrungen bei  Patienten?

Troost: Die mit Protonen behandelten Patienten werden im Rahmen klinischer Studien behandelt. In diesen werden neben der Tumorkontrolle Daten der Nebenwirkungen und Lebensqualität erfasst. Die Auswertung der Studienergebnisse wird erst erfolgen, wenn die Studie abgeschlossen ist. Daher können wir zur Verträglichkeit zum aktuellen Zeitpunkt noch keine Aussage treffen. Wir erwarten jedoch, dass die Verträglichkeit aufgrund des geringeren Volumens an bestrahlten Normalgeweben, wie z. B. Gehirn, Enddarm und Blase, besser sein wird.

Soll diese Therapieform auch zukünftig an anderen Zentren angeboten werden?

Richter: Wir haben eine sehr enge Kooperation mit einem großen Medizintechnikunternehmen, das das Verfahren in einer als Medizinprodukt zugelassenen Software anbieten wird. Dieses Produkt wurde im Rahmen der internationalen Fachtagung der European Society for Radiotherapy and Oncology (ESTRO) im April vorgestellt – das Interesse war außergewöhnlich groß. Auch wir bekommen sehr viele Anfragen von anderen europäischen Protonentherapie-Zentren zur Unterstützung der Einführung des Verfahrens an diesen Kliniken. Von einer Umfrage innerhalb des europäischen Partikeltherapie-Netzwerkes wissen wir, dass die Anwendung der Dual-­Energy CT als die vielversprechendste Innovation zur Verbesserung der Protonentherapie-Planung eingeschätzt wird.

Wie ist die Wirksamkeit der Protonentherapie bei Prostatakrebs einzuschätzen?

Troost: Studien, welche in der Vergangenheit durchgeführt wurden, konnten keinen Mehrwert für die Protonentherapie beim Prostatakarzinom nachweisen. Dabei muss allerdings erwähnt werden, dass damals eine technologisch weniger avancierte Protonentherapie (keine Marker, kein Röntgen) verglichen wurde mit einer modernen Photonentherapie (intraprostatische Marker, röntgenbasierte Patientenpositionierung). An der Universitäts ProtonenTherapie Dresden verwenden wir für Patienten beider Therapieformen einen intrarektalen Ballon, intraprostatische Marker und die tägliche Röntgenkontrolle vor der Bestrahlung. In diesem Umfeld könnte sich eventuell ein Vorteil der Protonen hinsichtlich Nebenwirkungen der Blase und des Enddarms abbilden lassen.

Was ist für die Zukunft geplant?

Richter: Wir arbeiten daran, die DirectSPR-­Methode auch für weitere Indikationen, z. B. Patienten mit einem Kopf-Hals-­Tumor oder einem sich bewegenden Tumor in der Lunge oder in der Bauchspeicheldrüse, anwendbar zu machen. Darüber hinaus evaluieren wir die Vorteile der Dual-­Energy CT für andere Anwendungen wie die Konturierung von Normalgewebs­organen.

Troost: Aktuell behandeln wir 20 Prozent aller Patienten der Klinik und circa 98 Prozent aller Protonenpatienten im Rahmen klinischer Studien. Selbstverständlich arbeiten wir an weiteren Studien, welche den Stellenwert der Protonentherapie untersuchen sollen, aber auch an Studien zur Kombination von Strahlentherapie (mit Photonen oder Protonen) und anderen Medikamenten wie z. B. Immuntherapeutika.


OncoRay-Zentrum
Das Dresdner OncoRay-Zentrum ist eine institutionenübergreifende Forschungsplattform mit besonderem Fokus auf Translationsforschung. D. h., dass Ergebnisse aus der Grundlagenforschung gezielt zum Wohle von Patienten weiterentwickelt und in klinischen Studien getestet werden sollen. Ziel ist es, die Behandlung von Krebserkrankungen durch eine biologisch individualisierte, technologisch optimale Strahlentherapie entscheidend zu verbessern. Hierfür bündelt OncoRay die Stärken der drei Trägerinstitutionen: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden und Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf.
www.oncoray.de

db

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Quelle: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

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