Der richtige Zeitpunkt für den Beginn des Rentenbezugs aus dem Versorgungswerk – ein Gestaltungsmodell

Der Zeitpunkt des Rentenbeginns kann in allen Versorgungswerken für Ärzte im Rahmen der Satzung in einer relativ großen zeitlichen Spannbreite selbst gewählt werden – unabhängig von der Tatsache, ob der Arzt weiter beruflich tätig ist oder nicht. Das eröffnet interessante wirtschaftliche Überlegungen, mit denen sich jeder Arzt beschäftigen sollte. Im Grunde geht es um eine Wette, bei der man sechsstellige Beträge gewinnen oder auch verlieren kann. Und Sie müssen wetten: Denn auch „Nichts tun“ bedeutet, die Option „Rente ab dem regulären Renteneintritt“ zu wählen.

1. So sind die Regeln – und sie sind in jeder Satzung anders

Fast alle Versorgungswerke orientieren sich inzwischen hinsichtlich des Regelrentenbeginns an der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Rente ab 65 Jahren ohne Abschläge gibt es also nicht mehr. In Abhängigkeit vom Geburtsjahrgang wird in der Zukunft die Rente mit 66,5 Jahren (Geburtsjahrgang 1961) Realität. Ab dem Geburtsjahrgang 1964 gilt für alle: Rente ohne Abschläge gibt es ab 67 Jahren.

Im Unterschied zur gesetzlichen Rentenversicherung orientieren sich aber die Versorgungswerke nicht unbedingt an den bekannten 0,3 Prozent Abschlag pro Monat des vorzeitigen Rentenbezugs. Hier gibt es die unterschiedlichsten Modelle, die teils besser und teils schlechter sind als diese Referenzgröße.

Die maximal mögliche Vorverlagerung ist üblicherweise fünf Jahre. Also beim

  • Geburtsjahrgang 1961 mit 61,5 Jahren
  • Geburtsjahrgang 1964 mit 62 Jahren

Was viele vergessen: Die Reduzierung des Rentenanspruchs erfolgt dann – richtigerweise – auf zwei Ebenen:

a)    Der oben genannte prozentuale Abschlag laut Satzung berücksichtigt die voraussichtlich längere Bezugsdauer der Rente.

b)    Gleichzeitig wird aber auch der Einzahlungszeitraum verkürzt. Man muss also nicht nur den in der jährlichen Mitteilung des Versorgungswerks genannten Anspruch prozentual kürzen, sondern auch zuerst den geringeren Rentengrundanspruch ermitteln. Viele Versorgungswerke bieten inzwischen dazu auf ihrer Homepage Online-Rechner an.1


Der vorzeitige Rentenbezug hat auch eine steuerliche Folgewirkung. Die Versorgungswerkrente wird nach den Regeln des Alterseinkünftegesetzes besteuert. Danach bestimmt sich der zu versteuernde Prozentsatz der Rente nach dem ersten Rentenbezugsjahr.

Bei einem Rentenbezug ab 2018 sind dies 76 Prozent Steuerpflicht für den gesamten Zeitraum des Rentenbezugs.

In 2020 sind es 80 Prozent und danach steigt der Prozentsatz jedes Jahr um ein Prozent per annum.2


Diese Besteuerungsregel führt zu einer teilweisen Kompensation der Nachteile durch den Rentenabschlag und ist immer dann interessant, wenn man durch eine kleinere Vorverlagerung einen Rentenbezug ab dem 01.12. erreicht und damit ein ganzes Rentnerleben lang zwei Prozent mehr Steuerfreiheit erhält.

Ein wenig beachteter Teil der satzungsmäßigen Regeln bietet die Möglichkeit, den Rentenbezug hinauszuzögern, meist bis zu drei Jahre. Das wäre ab dem Geburtsjahrgang 1964 bis zum 70. Lebensjahr.
Da in den meisten Satzungen geregelt ist, dass ab dem regulären Renteneintritt keine Beiträge mehr eingezahlt werden können, erhöhen sich hier die Rentenansprüche in der Regel nur durch die satzungsmäßigen Zuschläge. Diese sind oft sehr attraktiv.

Beispiel: Die nordrheinische Ärzteversorgung bietet nach 36 Monaten einen Zuschlag von 24,6 Prozent, das sind im Durchschnitt fast 0,7 Prozent pro Monat ohne (!) Beitragszahlung.

2. Die Wette auf ein langes Leben

Die Versorgungswerkrente ist eine Leibrente. Sie wird also bis zum Tod gezahlt. Dies bedeutet: Wieviel Rente man insgesamt kumuliert erhält, weiß man – zum Glück – im Zeitpunkt der Entscheidung nicht.
Lebt man besonders lange, wird es wirtschaftlich besser sein, die Rente auch später zu beziehen – und umgekehrt.

Man kann also nur berechnen, in welchem Zeitpunkt sich die Zahlungen aus den beiden Rentenbezugszeitpunkten ausgleichen – eine Break-Even-Berechnung.
Diesen Break-Even setzt man dann ins Verhältnis zur statistischen Lebenserwartung beziehungsweise zu der eigenen Vorstellung davon. Dann bekommt man ein Gefühl dafür, bei welcher Alternative die Chancen besser stehen, die Wette zu gewinnen.

Freiberufler leben länger

Vielmehr sollte man deshalb auch die höhere statistische Lebenserwartung für Freiberufler kennen, die die Dachorganisation aller Versorgungswerke ermittelt hat. Denn diese liegt etwa sechs Jahre höher!

Ihr statistischer Vergleichsmaßstab liegt also für Männer bei 89 Jahren und für Frauen bei 91 Jahren.

3. Der vorzeitige Rentenbezug – was er bringt und welche Risiken beachtet werden müssen

Durch den vorzeitigen Rentenbezug kann eine Menge Liquidität freigesetzt werden. Allen folgenden Rechenbeispielen liegt einheitlich zugrunde, dass die Berufstätigkeit bis zum 67. Lebensjahr ausgeübt wird, nur der Rentenbezugszeitpunkt wird variiert.


Unser erstes kleines Rechenbeispiel:

Rentenbezug ab 62 und damit fünf Jahre früher.
Aktueller Beitrag ins Versorgungswerk: 1000 Euro pro Monat
Rentenanspruch ab 62 Jahren: 3000 Euro pro Monat

Ersparte Beiträge: 60 Monate x 1000 = 60.000

Renteneinnahmen: 60 Monate x 3000 = 180.000

Freigesetztes Kapital (vor Steuern):  240.000

Rentenanspruch ab 67 Jahren: 3800 Euro pro Monat

Wenn der reguläre Rentenanspruch Euro 800 höher ist, kann man den ­Break-Even berechnen als:

240.000 Euro geteilt durch 800 Euro = 300 Monate = 25 Jahre

Der Break-Even liegt also 25 Jahre nach regulärem Renteneintritt, mithin bei einem Lebensalter von 92 Jahren und damit etwas höher als die statistische Lebenserwartung für Freiberufler.


Steuerliche Effekte des Rentenbezugs beachten

Solche Berechnungen werden teilweise in den Mitteilungen von den Versorgungswerken selbst geliefert. So einfach die Mathematik dahinter ist, so falsch ist das Ergebnis für den Einzelnen, weil die steuerlichen Effekte nicht beachtet werden.

In den ersten fünf Jahren erhöht sich die Steuerlast deutlich, weil sowohl die Beiträge als Steuerabzugsposition wegfallen als auch der Rentenbezug „on-top“ auf die beruflichen Einkünfte versteuert werden muss. Diese Effekte verändern beide Ergebnisse.

Das freisetzbare Kapital verändert sich durch den Steuereffekt deutlich nach unten. Die notwendige individuelle Berechnung nach Steuern ist immer dann unerlässlich, wenn mit den freigesetzten Mitteln zum Beispiel Darlehen bis zum Renteneintritt abbezahlt werden sollen, weil dies ansonsten nicht so gut möglich wäre.

Der Break-Even-Zeitpunkt verändert sich meist nur um ein bis drei Jahre. Die Richtung hängt von den individuellen Verhältnissen ab.

Niedergelassene Ärzte müssen individuellen Verhältnisse kennen

Ohne Kenntnis der individuellen Verhältnisse zu anderen Einkünften jetzt und nach Renteneintritt und weiteren Größen wie zum Beispiel der Höhe der Krankenversicherungsbeiträge ist eine richtige
Berechnung nach Steuern nicht möglich.

Wo liegt das Risiko eines vorzeitigen Rentenbezugs?

Wenn die Altersvorsorge im Wesentlichen auf der Versorgungswerkrente aufgebaut ist, dann gehört eine Betrachtung „Kann ich mir die niedrigere Rente überhaupt leisten?“ auf jeden Fall auch zum Beratungsumfang. Hier müssen also auch Rahmenbedingungen wie

  • Wohnkosten im Alter
  • weitere Verpflichtungen
  • weitere Alterseinkünfte

berücksichtigt werden.

4. Hinauszögern des Rentenbezugs – ein attraktives Modell

Immer dann, wenn über das 67. Lebensjahr hinaus weiter gearbeitet wird oder der Rentenberechtigte aus anderen Gründen nicht sofort auf den Bezug der Rente finanziell angewiesen ist, kann es sehr sinnvoll sein, den Rentenbezug bewusst bis zum 70. Lebensjahr hinauszuzögern.

Oft sind die Renditen, die man dadurch erzielen kann, wesentlich höher als bei jeder halbwegs sicheren Kapitalanlage.


Rechenbeispiel anhand der aktuellen Satzung der nordrheinischen Ärzteversorgung:

Bei einem Rentenbezug ab dem 70. Lebensjahr erhalten Sie einen Zuschlag von 24,6 Prozent ohne Beitragszahlung ab dem 67. Lebensjahr.

Regulärer Rentenbezug: 36 Monate x 3800 Euro = 136.800 Euro
Rentenzuschlag bei späterem Bezug: 24,6 % = 934,80 Euro

136.800 Euro geteilt durch 934,80 Euro = 146 Monate = 12 Jahre 2 Monate

Eine Amortisation findet also mit 82 Jahren und zwei Monaten statt (gerechnet ab dem Rentenbezug 70. Geburtstag). Dies liegt deutlich vor der statistischen Lebenserwartung eines Freiberuflers.


Hier gilt der umgekehrte Effekt: Nach Steuern ist der finanzielle „Verlust“ in den drei Jahren bis zum verspäteten Renten­bezug deutlich niedriger als die Vor-Steuer-Berechnung ausweist. Nur eine individuelle Berechnung inklusive Steuerberechnung macht Sinn. Der Amortisationszeitpunkt verschiebt sich aber auch hier nur unwesentlich.

Wenn man auf den Rentenbezug in der Spanne zwischen dem 67. und 70. Lebensjahr nicht angewiesen ist, wäre dies also eine Wette, deren Gewinnmöglichkeit statistisch gesehen sehr hoch ist.
Um die Unterschiede nochmals an Zahlen deutlich zu machen, sind in der Tabelle 1 für ausgewählte Zeitpunkte die kumulierten Werte in Euro zwischen den drei Lösungen in Zahlen dargestellt.

 

5. Fazit

Drei Erkenntnisse sollte man für sich ziehen:

1. Der Rentenbezugszeitpunkt ist in letzter Konsequenz eine Wette auf langes Leben mit finanziell erheblichen Unterschieden.

2. Wetten muss man. Wenn man sich nicht damit auseinandersetzt, wählt man die „Zwischenlösung“. Das kann individuell richtig sein, muss es aber nicht.

3. Die Berechnungen vor Steuern sind relativ einfache Mathematik und dies kann jeder für sich selbst durchführen. Eine zutreffende Berechnung nach Steuern verlangt jedoch viel mehr Informationen und Berechnungs-Knowhow.

Im Zweifel: Fragen Sie Ihren Steuerberater.

1 z.B. Nordrheinische Ärzteversorgung: www.nordrheinischeaerzteversorgung.de
2 Rentensteigerungen sind immer zu 100 % steuerpflichtig.

► Stand: 2018

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Diplom-Kaufmann Dirk Klinkenberg
Steuerberater bei der CURATOR Treuhand- und Steuerberatungs­gesellschaft mbH
Schlossstraße 20, 51429 Bergisch Gladbach
Tel.: 02204-9508-200, www.curator.de
Tätigkeitsschwerpunkt der CURATOR ist die steuerliche und betriebswirtschaftliche Beratung von Ärzten, Zahnärzten und sonstigen Heilberuflern mit Zweigniederlassung in Leipzig.

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