Das Ende des angestellten Arzt-Gesellschafters in seinem eigenen MVZ?

Das Bundessozialgericht schränkt die Möglichkeiten zur Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) durch Vertragsärztinnen und -ärzte mit seinem Urteil vom 26.01.2022 (Az. B 6 KA 2/21) ein – mit massiven Konsequenzen.

Was bisher möglich war …
Die Möglichkeit zugelassener Vertragsärztinnen und -ärzte, auf ihre Zulassungen zugunsten einer Anstellung in einem (von ihnen in diesem Wege zu gründenden) eigenen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) zu verzichten, kann Vorteile bieten, die in der Praxis bislang gern genutzt wurden. Insbesondere Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) haben in der Vergangenheit diesen Weg häufiger gewählt. Auf diese Weise kann zum Beispiel die Bindung der Zulassungen/ Versorgungsaufträge an das MVZ erreicht werden, sodass auch im Falle des Ausscheidens einer Ärztin oder eines Arztes aus dem MVZ deren bzw. dessen Zulassung im MVZ bleibt; das ist rechtssicher in einer BAG für die Gesellschafterinnen und Gesellschafter nicht zu erreichen. Auch kann ein für die nächsten Jahre geplanter beruflicher Rückzug oder Verkauf vorbereitet werden. Zudem erhöht die MVZ-Struktur die Attraktivität für den Einstieg übernahmewilliger Nachfolgerinnen und Nachfolger. Da im Übrigen für MVZ die Beschränkung für die Anzahl angestellter Ärztinnen und Ärzte (§14a Abs. 1 S. 2 bis 4 BMV-Ä) nicht gilt, war gerade für solche Praxen, die diese Grenzen überschritten, das MVZ der Ausweg, um ein weiteres Wachstum sicherzustellen.

 

Dabei hat §95 Abs. 6 Satz 5 SGB V die bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten angestellter Ärztinnen und Ärzte an der Trägergesellschaft des MVZ zuletzt noch erweitert. Die mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) 2019 eingeführte Regelung sollte es den Gesellschafterinnen und Gesellschaftern, die von der Möglichkeit des Zulassungsverzichts zugunsten einer Anstellung im eigenen MVZ Gebrauch gemacht hatten, ermöglichen, ihre Gesellschaftsanteile an die „nächste Generation“ weiterzugeben. In der Praxis gründeten Vertragsärztinnen und -ärzte daher häufig eine MVZ-Trägergesellschaft in der Rechtsform einer GbR oder auch eine GmbH zur Errichtung eines MVZ, verzichteten zugunsten des MVZ auf ihre Zulassungen und ließen sich im „eigenen“ MVZ anstellen, wobei sie zugleich Gesellschafterinnen und Gesellschafter der MVZ-Trägergesellschaft wurden. Dabei ließen die meisten Zulassungsgremien bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) das MVZ zu und erteilten die Anstellungsgenehmigungen für die verzichtenden Gesellschafterinnen und Gesellschafter des MVZ, ohne als Voraussetzung für die Erteilung der Anstellungsgenehmigungen zu prüfen, ob die zum Zwecke der Anstellung verzichtende Ärztin bzw. der Arzt tatsächlich abhängig Beschäftigte bzw. Beschäftigter im sozialversicherungsrechtlichen Sinne wird (s. Infokasten rechts). Nach bislang jedenfalls kaum infrage gestellter Meinung, sollte es für die im „eigenen“ MVZ angestellte Ärztin bzw. den angestellten Arzt indes nicht auf den sozialversicherungsrechtlichen Begriff der abhängigen Beschäftigung ankommen, zumal in den meisten Fallgestaltungen die zum Zwecke der Anstellung im „eigenen“ MVZ verzichtende Vertragsärztin bzw. der Vertragsarzt selten tatsächlich abhängig beschäftigt war und ist im Sinne der Definition des Bundessozialgerichts. Denn die Ärztinnen und Ärzte, die vormals als BAG organisiert waren, wollten bei Überführung der BAG in ein MVZ typischerweise nicht ihren Einfluss innerhalb der Gesellschaft verlieren, schon gar nicht in ihrer MVZ-Anstellung von Weisungen ihrer Mitgesellschafterinnen und Mitgesellschafter abhängig sein.

Abhängig beschäftigt
Im sozialversicherungsrechtlichen Sinne läge ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit der Folge der Sozialversicherungspflicht vor, wenn die Ärztin bzw. der Arzt eine Tätigkeit nach Weisungen ausübt und in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers eingegliedert ist; die Ärztin bzw. der Arzt muss persönlich vom Arbeitgebenden abhängig sein (BSG Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 12/18 R).

 

Die Spruchpraxis der meisten Zulassungsausschüsse bei den KVen akzeptierten dies auch und erteilten MVZ-Zulassung und Anstellungsgenehmigungen.

Was das Bundessozialgericht meint …

Mit seinem Urteil vom 26.01.2022 hat das Bundessozialgericht dieser gängigen Praxis eine knallharte Absage erteilt und den Weg in von Ärztinnen und Ärzten getragene MVZ erheblich eingeschränkt. Als Konsequenz wurde damit ein enormer Wettbewerbsnachteil zu sogenannten „Investoren“-MVZ geschaffen. Das Bundessozialgericht ist der Ansicht, dass – entgegen der bisher gängigen Spruchpraxis der meisten Zulassungsgremien – die Vertragsärztin bzw. der Vertragsarzt, die bzw. der auf die Zulassung zum Zwecke der Anstellung in dem „eigenen“ MVZ verzichtet, abhängig Beschäftigte bzw. Beschäftigter sein müsse im Sinne des §7 Abs. 1 SGB IV. Eine Vertragsärztin bzw. ein Vertragsarzt habe nur dann Anspruch auf eine Genehmigung der Anstellung in dem „eigenen“ MVZ, wenn sie bzw. er auch weisungsgebunden in die Arbeitsorganisation eingegliedert und persönlich abhängig ist. Das Bundessozialgericht begründet dies zum einen mit der systematischen Verortung der Regelung im Sozialversicherungsrecht. Der Begriff der Anstellung in § 103 Abs. 4a S. 1 SGB V könne keine andere Bedeutung haben als im übrigen Krankenversicherungsrecht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Die Historie des Vertragsarztrechts belege dieses Verständnis, welches durch die Erbringung ärztlicher Leistungen durch selbstständige, in freier Praxis tätige Vertragsärztinnen und -ärzte geprägt gewesen sei, und die Möglichkeit der vertragsärztlichen Leistungserbringung durch angestellte Ärztinnen und Ärzte erst sukzessive in die Gesetzgebung Eingang gefunden habe. Hieraus sei deshalb abzuleiten, dass eine angestellte Ärztin bzw. ein angestellter Arzt nicht selbstständig tätig sein könne; das Gesetz kenne nun mal keinen „freien Mitarbeiter“ in der vertragsärztlichen Versorgung. Auch der Regelungszweck spräche für dieses Verständnis. Die gesetzgeberischen Nachbesserungen zum Erhalt der MVZ-Gründereigenschaft bei eigener Anstellung im MVZ stünden nicht dagegen; denn eine MVZ-Gesellschafterin bzw. ein -Gesellschafter könne auch in dem „eigenen“ MVZ abhängig beschäftigt sein, nämlich dann, wenn sie bzw. er aufgrund der Gesellschafterstellung nicht die Leitungsmacht gegenüber der Geschäftsführung ausüben könne. Es bestünde daher keine Veranlassung, dem „angestellten Arzt“ eines MVZ, der zugleich Gesellschafter der MVZ-Trägergesellschaft ist, ein anderes Verständnis zuzuordnen, als jeder anderen angestellten Ärztin bzw. jedem anderen angestellten Arzt in der vertragsärztlichen Versorgung auch, nämlich die abhängige Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne.

Was nun …?

Nach dieser Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts kommt ein Anstellungsverzicht einer Vertragsärztin bzw. eines Vertragsarztes zugunsten der Tätigkeit in einem MVZ, in welchem sie bzw. er weiterhin Gesellschafterin bzw. Gesellschafter sein möchte, damit nur noch dann in Betracht, wenn die Gesellschafterstellung – atypisch – so ausgestaltet ist, dass sie sich mit dem Begriff einer bzw. eines abhängig Beschäftigten in Einklang bringen lässt; dies bedeutet, dass die Ärztin als Gesellschafterin bzw. der Arzt als Gesellschafter der MVZ-Trägergesellschaft keine gesellschaftsrechtliche Leitungsmacht haben darf. Das wiederum hängt von der Ausgestaltung der Gesellschafterrechte im MVZGesellschaftsvertrag ab. Aber letztlich ist damit die Ein-Mann-MVZ-Träger-GmbH, in der die Gesellschafterin bzw. der Gesellschafter angestellt sein soll, nicht (mehr) genehmigungsfähig. Gleiches gilt für die gleichberechtigte Zwei-Mann-BAG-GbR, die die BAG in eine MVZ-GbR überführen möchte, um beispielsweise die Zulassungen zu binden. De facto wird ein MVZ, in dem (ganz oder teilweise) Personenidentität auf Gesellschafterebene und der Ebene der angestellten Ärztinnen und Ärzte besteht, gesellschaftsvertraglich immer erfordern, dass die Gesellschafterinnen und Gesellschafter keine beherrschende Gesellschafterstellung haben, sodass voraussichtlich dieses Modell nur noch gestaltbar sein wird mit einer hinreichend großen Anzahl von Gesellschafterinnen und Gesellschaftern. Aber auch bei MVZ-Gesellschaften mit einer größeren Anzahl von Arzt-Gesellschafterinnen und -Gesellschaftern müsste die Stellung der betreffenden Personen so ausgestaltet sein, dass es für die einzelne Vertragsärztin bzw. den einzelnen Vertragsarzt wenig attraktiv sein wird, sich in eine solche Struktur zu begeben. Insgesamt wird das Urteil des Bundessozialgerichts – sollten die Zulassungsgremien der KVen, wie zu erwarten, ihre Spruchpraxis zukünftig entsprechend anpassen – die vertragsarztrechtlichen Optionen für vertragsärztlich zugelassene Ärztinnen und Ärzte, die ein MVZ gründen möchten, ganz erheblich verkürzen. Völlig unklar ist bislang auch, wie mit solchen MVZ-Trägergesellschaften umzugehen sein wird, die bereits in der bisher häufig praktizierten Weise aufgestellt sind, insbesondere dann, wenn dort Änderungen in der Gesellschafterstruktur oder auf der Ebene der angestellten Ärztinnen und Ärzte anstehen. Zu einem Bestandsschutz äußert sich das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung nämlich nicht. Es stellt aber zumindest klar, dass bereits erteilte Zulassungen und Genehmigungen den Teilnahmestatus, die Abrechnungsberechtigung und den Honoraranspruch absichern.

Was tun?
Wer bereits eine wie im Beitrag dargestellte genehmigte MVZ-Struktur betreibt, hat aktuell keinen Handlungsdruck. Wenn Sie aber Änderungen beabsichtigen, bedarf es eines umsichtigen und vor allem gut vorbereiteten Vorgehens, möglichst begleitet durch versierte Beraterinnen und Berater. Neugenehmigungen für solche Strukturen werden Sie derzeit kaum noch erhalten. Vielleicht greift der Gesetzgeber zukünftig zugunsten der Vertragsärztinnen und -ärzte ein, um den Status wieder auf die Zeit vor dem 26. Januar 2022 zurückzudrehen – wünschenswert wäre es.

 

Svenja Brungert
Rechtsanwältin
Kanzlei am Ärztehaus
Dorpatweg 10
Germania Campus
48159 Münster
s.brungert@kanzlei-amaerztehaus.de
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Sven Rothfuß
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei am Ärztehaus
Oberländer Ufer 174
Köln-Marienburg
50968 Köln
s.rothfuss@kanzleiam-aerztehaus.de
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

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