Honorarkürzungen bei fehlender TI-Anbindung

Spätestens seit dem 1. Juli 2019 und den ab diesem Datum eingetretenen Honorarkürzungen von einem Prozent sorgt das Thema der Telematikinfrastruktur (TI) für Diskussionen innerhalb der Ärzteschaft. Nach den aktuellen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums waren bis zu diesem Stichtag bereits rund 100.000 der knapp 180.000 Arzt- und Zahnarztpraxen in Deutschland an die TI angeschlossen, weitere 20.000 haben zumindest die Bestellung des Konnektors platziert. Im Gegenschluss macht dies aber auch klar: Auf die restlichen Praxen kommen Honorarkürzungen zu. Eine rechtliche Betrachtung.

 

Mag eine Honorarkürzung von einem Prozent zunächst nicht nach viel klingen, so entspricht dies bislang im Schnitt etwa 200 €, bei Fachärzten sogar knapp 300 € im Monat. Für die Berechnung orientiert sich das Bundesgesundheits­ministerium daran, dass Ärzte und Psychotherapeuten im ersten Quartal 2018 im Schnitt rund 65.000 € für die Behandlung von Kassen­patienten bekommen haben. Ab März 2020 sollen die Kürzungen steigen.

TI – Pflicht oder Kür?

Es besteht eine gesetzliche Verpflichtung für alle an der vertragsärzt­lichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Psychotherapeuten und Einrichtungen mit direktem Arzt-Patienten-Kontakt, an der TI teilzunehmen. Eine Differenzierung zwischen Allgemeinmedizinern oder bestimmten Facharztgruppen ist grundsätzlich nicht vorgesehen. 

Ist im Versorgungskontext kein Arzt-Patienten-Kontakt vorgesehen oder erfolgt der Arzt-Patienten-Kontakt nicht in den eigenen Praxisräumen, ist das Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) nicht möglich. In diesen Fällen kommt weiterhin ein mobiles Kartenlesegerät zum Einsatz, mit dem kein Versichertenstammdaten(VSD)-Abgleich vorgenommen werden kann. Dies betrifft insbesondere Laborärzte und Pathologen (s. Info­kasten).

TI als digitale Datenautobahn

Durch die TI findet eine Vernetzung aller Akteure des deutschen Gesundheitswesens wie Ärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Kassenärztliche Vereinigungen, Apotheken und Krankenkassen statt. 

Somit wird der Datenaustausch auch über Sektorengrenzen hinweg erleichtert. 

Zudem ist ein sicherer Austausch von Informationen gewährleistet, da keine Verbindung zum öffentlichen Internet besteht. Zugang zum geschlossenen Netz der TI haben nur registrierte Nutzer.

Keine Übergangsfristen 

Nicht möglich ist es, bestimmte Praxen von der Pflicht der TI-Anbindung und der VSDM-Durchführung zu befreien bzw. Ausnahmeregelungen zu genehmigen, etwa wenn die Praxis in absehbarer Zeit aus Altersgründen abgegeben werden soll.

Empfindliche Folge: Honorarkürzung

Leistungserbringer, die ihre Praxis nicht an die TI anschließen und keinen VSD-Abgleich durchführen, wird das Honorar seit dem 01.07.2019 solange um ein Prozent gekürzt, bis die Praxis an die TI angeschlossen ist und der VSD-Abgleich durchgeführt wird. Um keine Honorarkürzung zu riskieren, mussten die Verträge zum Erwerb der erforderlichen TI-Komponenten bis Ende März 2019 verbindlich abgeschlossen werden. 

Durch das Digitale-Versorgung-­Gesetz (DVG) ist vorgesehen, dass die Honorarkürzung seit dem 1. März 2020 angehoben wurde. Bei fehlender Anbindung an die TI ist die Vergütung vertragsärzt­licher Leistungen seitdem pauschal um 2,5 Prozent zu kürzen. 

Wie erfolgt die Honorarkürzung?

Die Kürzung erfolgt dahingehend, dass von der Gesamtvergütung, die von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) an die Ärzte verteilt wird, pauschal ein (bzw. 2,5) Prozent, der dem jeweiligen Arzt zustehenden Vergütung, abgezogen wird. Eine Ausnahme bezüglich spezieller Leistungen ist nicht vorgesehen;  die Honorarkürzung gilt bezüglich aller vertragsärztlicher Leistungen.

Was mit dem abgezogenem Honorar passiert und wohin das Geld fließen wird ist bislang noch nicht bekannt. 

 

Ausgenommen von der VSDM-Pflicht sind in der Regel:

  • Laborärzte
  • Anästhesisten
  • Pathologen
  • Notärzte

Ausnahmen in seltenen Fällen mit APK

Bei Laborärzten kann die VSDM-Pflicht greifen, insbesondere wenn z. B. Leistungen gemäß der Gebührenordnungsposition 19210 „Konsiliarpauschale“ des EBM erbracht werden, bei der ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt im obligaten Leistungsinhalt gefordert wird oder wenn Patienten in seltenen Fällen Laborärzte direkt aufsuchen. Für diese seltenen Fälle mit Arzt-Patienten-­Kontakt benötigt auch eine Laborpraxis eine TI-Anbindung und muss das VSDM durchführen.  

Anästhesisten, die Patienten in der Praxis eines anderen Arztes aufsuchen und dafür ein mobiles Kartenlesegerät verwenden, sind in diesen Fällen von der VSDM-Pflicht ebenfalls ausgenommen. Erfolgt die Behandlung eines Patienten (persönlicher Arzt-Patienten-­Kontakt) allerdings in den eigenen Praxisräumen, so müssen z. B. auch Anästhesisten in der Lage sein, das VSDM durchzuführen. In diesen Fällen besteht dann die Pflicht zur Durchführung des VSDM.  

Handlungsmöglichkeiten für Betroffene

Gesetzliche Grundlage der Honorarkürzung ist § 291 Abs. 2b SGB V. Grundsätzlich können Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht auf ihre Zulässigkeit überprüft werden. Dies geschieht im Wege einer abstrakten oder konkreten Normenkontrolle. Allerdings ist eine natürliche Person für diese Klagearten nicht antragsberechtigt.

Widerspruch

Der Bescheid, den der einzelne Arzt über die Honorarkürzung erhält, stellt jedoch einen Verwaltungsakt dar. Dieser muss mit einer Rechts­behelfsbelehrung versehen sein. Gegen diesen Verwaltungsakt kann Widerspruch innerhalb eines Monats seit Bekanntgabe eingelegt werden (§ 84 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz, SGG). Der Widerspruch sollte eine Begründung enthalten und kann schriftlich oder in elektronischer Form eingelegt werden. Der Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung (§ 87b Abs. 2 SGB V). Dies bedeutet, dass das Honorar zunächst trotz des Widerspruchs einbehalten werden darf. 

Klage

Nach Einlegung des Widerspruchs kann zudem Klage auf Aufhebung des Bescheids über die Honorarkürzung in Verbindung mit der Verpflichtung zur Auszahlung des gesamten Honorars in Form einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG erhoben werden. Auch diese Klage hat keine aufschiebende Wirkung und wirkt sich zunächst nicht auf die Honorarkürzung aus.

Eilrechtsschutz

Möglich wäre zudem ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (sogenannter Eilrechtsschutz). Auf Antrag kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs. 1 SGG). 

Wird diesem Antrag stattgegeben, müsste das einbehaltene Honorar zunächst ausgezahlt werden. Voraussetzung ist jedoch eine Abwendung von wesentlichen Nachteilen für den Antragsteller. Die Honorarkürzung von einem Prozent müsste demnach schon einen wesentlichen Nachteil für den betroffenen Arzt darstellen, um einen Eilrechtsschutz zu rechtfertigen.

Regelung eindeutig

Bezüglich der Erfolgsaussichten eines solchen Vorgehens gilt, dass die gesetzliche Regelung zur Honorarkürzung (§ 291 Abs. 2b SGB V) ausgehend von ihrem Wortlaut eindeutig ist. Allerdings könnte durch die TI und die festgelegte Sanktionierung die Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz eingeschränkt werden. Die Berufsausübungsfreiheit könnte zwar durch die Verpflichtung zur TI-Anbindung betroffen sein, allerdings ist zu beachten, dass dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet ist, sondern durchaus durch ein Gesetz eingeschränkt werden kann, wenn dies verhältnismäßig erscheint. Wie das Bundesverfassungsgericht dies beurteilen würde, ist bislang noch offen. 

Empfohlene Vorgehensweise bei (noch) fehlender TI-Anbindung

Eine Alternative zur TI-Anbindung besteht zurzeit nicht. Um Honorarkürzungen zu vermeiden, sollte die Arztpraxis möglichst schnell an die TI angebunden werden. Dies erscheint als wichtiger Schritt im Zuge der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Spielen die Ärzte – als wichtigste Akteure des Gesundheitssektors – nicht mit und verschließen sich dem digitalen Fortschritt, wird der digitale Umbruch schwerfallen. Sollen die Möglichkeiten der Behandlung in Zukunft fortschritt­licher und stetig verbessert werden, ist eine Digitalisierung des Gesundheitswesens unumgänglich. 

Stand: März 2020

Gerrit Tigges
Rechtsanwalt | Fachanwalt für Medizinrecht
Möller & Partner - Kanzlei für Medizinrecht
Neuer Stahlhof, Breite Straße 69
40213 Düsseldorf
www.moellerpartner.de

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