Interview: Was leistet die erweiterte Darmkrebsfrüherkennung?

„Wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig“: Unser ärztliches Handeln unterliegt erheblichen Restriktionen. Das hat mit wünschenswert, nützlich, sinnvoll oder optimal herzlich wenig und mit personalisierter Medizin schon gar nichts zu tun, kritisiert Frauenarzt Dr. med. Edgar Leißling aus dem Vorstand der Ärzteorganisation GenoGyn. Er zeigt Möglichkeiten adäquater Darmkrebsfrüherkennung außerhalb der Grund- und Regelversorgung auf.

Interview mit:

Dr. med. Edgar Leißling
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe,
Vorstand der GenoGyn

Herr Dr. Leißling, wie beurteilen Sie das organisierte Darmkrebsscreening?

„Das aktuelle Krebsfrüherkennungsprogramm zeigt, dass sich das Screening einer Bevölkerung nicht an den Bedürfnissen des Einzelnen, sondern an der Effektivität des Mitteleinsatzes orientiert. Nicht nachzuvollziehen ist, dass Frauen, die mit 55 Jahren keine Koloskopie durchführen lassen, nur noch alle zwei Jahre einen Stuhltest (iFOBT) erhalten. Warum? Sinkt dann das Risiko für eine Erkrankung? Ist das eine erzieherische Maßnahme? Der Anspruch auf eine Koloskopie besteht zweimal im Leben, im Abstand von zehn Jahren. Wird eine Koloskopie durchgeführt, ist laut G-BA in den auf das Untersuchungsjahr folgenden neun Kalenderjahren keine weitere Früh­erkennungsmethode anzuwenden; also kein iFOBT im Intervall. Angesichts einer vom G-BA selbst angegebenen Versagerquote von ca. 5 % erschließt sich auch das nicht. Dass laut aktueller Studienlage immer mehr Erwachsene unter 50 Jahren an Darmkrebs erkranken und Experten aufgrund weitreichender Geschlechterunterschiede eine Verlängerung des Vorsorgezeitraums für Frauen über das 75. Lebensjahr hinaus fordern, spiegelt das Screening ebenso wenig.“

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

„Wir Frauenärzte können, lange bevor staatliche Institutionen nach langwierigen Entscheidungsprozessen reagieren, mit privatärztlichen Leistungen sofort ein individualisiertes Screening anbieten. Konkret ist es sinnvoll, Patientinnen ohne Koloskopie einen jährlichen iFOBT mit oder ohne Bestimmung der M2-PK (M2-Pyruvatkinase) zu empfehlen. Dieser kann in der eigenen Praxis problemlos als Point-of-care-­Diagnostik durchgeführt werden. Zwei bis drei Jahre nach erfolgter Koloskopie kann die regelmäßige Durchführung eines Stuhltests dazu dienen, das Auftreten von sog. Intervallkarzinomen zu verhindern. Wir Gynäkologen sollten dabei auch an die Partner unserer Patientinnen denken. Nur etwa 27 % aller Männer über 45 Jahre nehmen überhaupt eine Krebsfrüh­erkennungsuntersuchung wahr.“

Was leistet der zusätzliche M2-PK-Test?

„Neben der Untersuchung auf occultes Blut im Stuhl gibt es zuverlässige Enzym-Teste zum semiquantitativen Nachweis von M2-PK. Die M2-PK wurde als das Schlüssel­enzym bei Polypen und Darmkrebs­zellen identifiziert. Der Test ist unabhängig von Blut im Stuhl, es gibt keine falsch-positiven Ergebnisse durch Hämor­rhoiden oder andere Blut­ungen. M2-PK und iFOBT messen voneinander unabhängige Dinge und jeder Marker leistet für sich einen zusätzlichen Beitrag zur Darmkrebsvorsorge. Anhand der kombinierten Testung von M2-PK und Hb im Stuhl können blutende und auch nicht blutende Darm­polypen oder -tumoren erfasst werden.“

Worauf ist bei der Abrechnung zu achten?

„Je nachdem, welches Testverfahren Sie bei der erweiterten Diagnostik zur Darmkrebsfrüherkennung nutzen, können Sie neben der Beratung die GOÄ-Nr. A3747 bzw. die GOÄ-Nr. A3911 ansetzen.“ (s. Tab.)
 

Hat die zunehmende Ökonomisierung der Medizin Konsequenzen für Ihr ärztliches Handeln? 

„Durchaus, denn das Darmkrebsscreening ist nur ein Beispiel für die Beschränkung medizinischer Leistungen in der Regelversorgung. Seit Jahren zeigt das mangelhafte Screening auf Gestationsdiabetes das Spannungsverhältnis zwischen Leitlinien, G-BA-Richtlinien und „good practice“. Welche Auswirkungen das neue CxCa-Screening für die Versorgung unserer Patientinnen haben wird, ist noch nicht abzusehen. Hysterektomierte Frauen erhalten danach grundsätzlich keinen Zell­abstrich und keine HPV-Diagnostik. Definieren wir also in Zukunft die Prävention von Erkrankungen über das Vorhandensein von einzelnen Organen? Wenn wir eine gute ambulante Versorgung unserer Patientinnen gewährleisten wollen, müssen wir über den Tellerrand der Leitlinien hinausschauen, die ökonomisch orientierten Begrenzungen der G-BA-Richtlinien kritisch hinterfragen und sinnvolle neue Methoden nutzbar machen. Letztere hat die GenoGyn in ihrem aktuellen IGeL-Kompendium GynPLUS 2020 (www.genogyn.de) zusammengefasst.“ 

Das Interview führte Sabine Glimm, 
GenoGyn Pressestelle

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