Chancen der Digitalisierung für die Dermato-Onkologie

Die Digitalisierung in der Medizin wird von manchen bereits als heilsbringende Revolution gefeiert, von anderen eher noch kritisch gesehen. In jedem Fall sind digitale Tools für die Mehrheit der Ärzteschaft noch ungewohnt und ihr Nutzen erschließt sich nicht unbedingt auf den ersten Blick. Es zeichnen sich jedoch mit zunehmender Digitalisierung einige spannende Entwicklungen ab, die auch für die Dermatologie und insbesondere für die Dermato-Onkologie interessant werden dürften.

Wireless sensors 

Wearables (wireless sensors) sind drahtlose Geräte, die diverse Parameter messen und die Ergebnisse unmittelbar auf einem mobilen Endgerät wie einem Smartphone anzeigen. Gelungen ist dies bereits unter anderem für die Messung von Blutzucker, Blutdruck, Puls und EKG. Einige Geräte zur drahtlosen Ableitung eines EKGs wurden in den USA bereits von den Zulassungsbehörden genehmigt. Auch eine „smarte Ta­blette“ eines Psychopharmakons ist bereits in den USA auf dem Markt: In die Tablette ist ein smarter Faden integriert, der bei Kontakt mit Magensäure ein Signal an das Smartphone sendet – der Prototyp einer digitalen Adhärenz­kontrolle. 

Telemedizin 

Fernbehandlung (Telemedizin) kann insbesondere in ländlichen Regionen hilfreich werden. Aber auch unabhängig von der Region sind viele Nutzungsbereiche der Telemedizin für die Dermato-Onkologie denkbar. Ein Beispiel hierfür ist die Verlaufskontrolle von kutanen Nebenwirkungen einer zielgerichteten Therapie, die über ein mit dem Smartphone angefertigtes Foto in vielen Fällen genauso gut möglich ist wie bei einer persönlichen Konsultation. Videokonferenzen mit Experten zur Diskussion komplexer Fälle werden in naher Zukunft Alltag in der dermato-onkologischen Versorgung sein. In der Roboter­chirurgie werden bereits heute intraoperativ telemedizinische Konsultationen bei speziellen Fragestellungen uro- oder gynäko-onkologischer Eingriffe genutzt. 

Big Data 

Big Data wird die Onkologie in Diagnostik und Therapie stark beeinflussen. Im Bereich der Diagnostik bieten Algorithmus-basierte, lernende Programme der Radiologie, Pathologie und Dermatologie (Hautkrebsscreening) neue Chancen, aber auch neue Herausforderungen. Für die Optimierung der Therapie dürften die teilweise gigantischen Sammlungen von klinischen und molekularbiologischen Daten, die bei verschiedenen Tumorentitäten erhoben werden, eine immer stärker molekular gesteuerte Therapie in diversen Subgruppen nach sich ziehen. Faszinierend sind zudem lernende Programme künstlicher Intelligenz, die aus anamnestischen Angaben mit zunehmend höherer Treffsicherheit Verdachtsdiagnosen erstellen.

Digitale Verlaufskontrolle 

Eine digitale Verlaufskontrolle unter Tumortherapie scheint ein bedeutsamer Bereich der Digitalisierung in der Onkologie zu werden: Seit dem Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2017 ist bekannt, dass digitale Tools einen hohen Stellenwert beim Follow-up entfalten können. In der von Basch et al. publizierten Arbeit1 wurde deutlich, dass eine regelmäßige präzise online durchgeführte Abfrage von Symptomen und Nebenwirkungen unter einer Tumortherapie ein signifikant besseres Überleben zur Folge haben kann als die „klassische“ ärztliche Follow-up-Untersuchung. Die Umsetzung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgt in Deutschland bereits mit verschiedenen Tools, unter anderem mit einem Online-Tagebuch für (Haut-) Krebspatienten, das für die Messung von Adhärenz, Lebensqualität oder patient reported outcome (PRO) genutzt werden kann. Als zertifiziertes Medizinprodukt eignet sich das Programm auch zum Therapiemanagement: Das Erinnern an die Medikamenteneinnahme gilt als die einfachste Möglichkeit, die Adhärenz zu steigern2. Die App ermöglicht tagesvariierende und zyklusspezifische Einnahmeerinnerungen speziell für die Onkologie3 und wird in Kürze in Hautkrebszentren im Rahmen einer Versorgungsforschungsstudie bei Patienten unter einer zielgerichteten Melanomtherapie eingesetzt. 

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine onkologische Therapie ist auch, dass die Patienten verstehen, warum die Medikation in der vorgegebenen Weise wichtig ist bzw. welche Beschwerden auftreten können und wie sie mit ihnen umgehen sollten. Dies untersuchte die multizentrische PACOCT-Studie, in der Welslau et al. in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (WINHO) den Nachweis erbrachten, dass mithilfe eines nichtärztlichen Patientencoachs bei der oralen Tumortherapie Abläufe verbessert, Nebenwirkungen reduziert und damit auch die Bereitschaft zur Einnahme der vorgesehenen Medikation erhöht werden kann4,5.  

Eine Weiterentwicklung dieser Erkenntnisse zeigt die POSCA-Studie, die das Patientencoaching aus PACOCT mit einer Online-Plattform verbindet. In dieser ebenfalls von Welslau et al. geführten Studie konnte gezeigt werden, dass selbst Patienten über 80 Jahre mittels Coaching zum aktiven Teil ihres eigenen Betreuungsteams werden können und den eigenen Verlauf am Computer dokumentieren können6.

Bisher sind Patientenpässe und Therapietagebücher üblich, in denen die Einnahme dokumentiert werden kann. Künftig werden sich Patienten zunehmend in Foren und Blogs austauschen und digitale Tools zur Therapiesteuerung und Dokumentation nutzen. 

Unabdingbar ist, dass die neuen digitalen Tools sich Zertifizierungsprozessen stellen und dass sie in Studien validiert werden. 

Digitale Wissensvermittlung 

Die digitale Wissensvermittlung ist ein zunehmend genutztes Feld. Mit der Entwicklung von Smartphones und Tablets hat sich seit etwa einem Jahrzehnt ein beträchtlicher Teil der Internetnutzung kontinuierlich von der klassischen Website auf Apps verlagert. Verschiedene Angebote sind zurzeit in Entwicklung (siehe Kasten).

Die Apps von onkowissen.de bereiten den Stand des Wissens so auf, dass sie auf Smartphones und Tablets verfügbar sind. Obwohl industriell unterstützt, haben sie den Anspruch, akademische Tools zu sein, produktneutral zu informieren, den Stand des Wissens abzubilden sowie nationale und internationale Leitlinien zu berücksichtigen. Auf der Videoplattform onkowissen.tv wird in Ergänzung zu den Apps regelmäßig von Kongressen berichtet. Neben einem redaktionellen Team aus Naturwissenschaftlern, Pharmazeuten und Ärzten werden die Apps von interdisziplinären Expertengremien einem Review unterzogen und überwacht. 

Die Apps können im App Store kostenlos heruntergeladen werden, sind aber auch als klassische Website über onkowissen.de erreichbar. Derzeit sind Apps zu verschiedenen Tumorentitäten verfügbar, u. a. zum Malignen Melanom7 und zur Supportivtherapie/ Nebenwirkungsmanagement8.

 

Trends bei der Nutzung digitaler Tools zur Wissensvermittlung  

Nutzungsanalysen9 zeigen, dass Apps offenbar anders genutzt werden als klassische Websites: Während Websites eher in den Abendstunden und an Wochenenden aufgerufen werden, nutzt man Apps auf mobilen Endgeräten häufiger während der Sprechstunden- bzw. Visitenzeiten. Die durchschnittliche Verweildauer bei einzelnen Kapiteln ist bei Apps etwas kürzer, die Zahl der Wiederkehrer dafür aber deutlich höher. Auch tagesaktuelle Ereignisse, etwa die Zulassung eines neuen Medikamentes oder die Veröffentlichung einer Nutzenbewertung, wirken sich erkennbar auf die Nutzung der Apps aus, weil an diesen Tagen verstärkt schnell auffindbare Informationen zu den jeweiligen Substanzen gesucht werden. Diese messbaren Trends sowie die kontinuierlich steigenden Downloadzahlen signalisieren, dass offenbar ein Bedarf nach digitaler Wissensvermittlung besteht.

Sind wir reif für die Onkologie 4.0? 

Die Chancen der Digitalisierung sind erkennbar groß. Aber naturgemäß sind auch Risiken und Nebenwirkungen zu bedenken – rechtliche, gesetzliche, ethische und ökonomische Aspekte ebenso wie psychologische. Wie werden sich Telemedizin, wireless sensors, Algorithmen oder digitale Adhärenzkontrolle auf die Versorgung auswirken? Wie steht es mit dem Datenschutz? Welche gesellschaftlichen Auswirkungen sind zu erwarten? Sind wir reif genug für die Onkologie 4.0? Können wir verantwortungsbewusst genug mit den neuen Möglichkeiten umgehen? 

Die Kernfrage speziell für (Dermato-) Onkologen aber wird sein: Gerät der hohe Anspruch, den die Onkologie an das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis stellt, durch digitale Tools in Gefahr oder ist sogar eine Optimierung möglich?

Literatur

1. Basch EM et al. Overall survival results of a randomized trial assessing patient-reported outcomes for symptom monitoring during routine cancer treatment. J Clin Oncol. 2017;35(suppl):Abstr LBA2. 
2. Neckermann K, Schinköthe T. Adhärenz: Fehlende Therapietreue und Möglichkeiten der Steigerung. Forum. 2018;33:140-2. 
3. cankado.com.
4. Welslau, M. et al. Patients’ competence in oral cancer therapies, ASCO Annual Meeting, 2016.    
5. Welslau M et al. Patients’ competence in oral cancer therapies. J Clin Oncol. 2016;34:6517- 6517. 
6. Riese C et al. Patients ´guidance with Onco- Coaching and CANKADO on systemic che- motherapy for metastatic colorectal cancer (POSCA Study). DKK 2018;Abstr 562. 
7. melanom.onkowissen.de.
8. supportiv.onkowissen.de.
9. Google Analytics.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Friedrich Overkamp
onkowissen.de GmbH 
Kantstraße 26, 97074 Würzburg 
E-Mail: overkamp@onkowissen.de

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