Haushaltshygiene – Was der Arzt wissen sollte!

Aufgrund aktueller demografischer Trends wird Infektionsprävention im häuslichen Umfeld immer wichtiger. Gleichzeitig ist ein mikrobiell vielfältiges Umfeld, insbesondere im Kindesalter, für die Gesundheit des Menschen von großer Bedeutung und kann Allergien und Asthma vorbeugen. Hygienemaßnahmen sollten daher viel stärker als bisher auf ein sinnvolles Management als auf das bloße Abtöten von Mikroorganismen abzielen, um die Gesundheit des Menschen zu fördern.

In Industrienationen wie Deutschland verbringt ein Mensch bis zu 90 Prozent seiner Zeit in Innenräumen: am Arbeitsplatz, im Auto, in der Sporthalle, aber vor allem auch zu Hause. Die ­Haushaltshygiene – die Gesunderhaltung des Menschen im häuslichen Umfeld – wird daher immer bedeutender.


Infektionsprävention zu Hause

Auch ohne konkrete Fallzahlen ist sicher, dass es im Haushalt zu einer Vielzahl von Infektionen kommen kann. Schätzungen zufolge haben zum Beispiel 70 Prozent aller Lebensmittelinfektionen ihren Ursprung zu Hause. Aber auch Noroviren, Grippe oder Parasiten verbreiten sich leicht im häuslichen und familiären Umfeld. Maßnahmen zur Infektionsprävention sind daher auch zu Hause sehr sinnvoll. Besonders gefährdet ist die Gruppe der sogenannten YOPIs (Young, Old, Pregnant, Immunocompromised).

Aktuelle soziodemografische Trends unterstreichen die Bedeutung der häuslichen Infektionsprävention: Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2020 16,3 Millionen Einwohner in Deutschland älter als 67 Jahre sein werden und, dass diese Zahl auf 21,5 Millionen im Jahr 2040 anwachsen wird.1 Im Jahr 2015 waren 2,86 Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen; 72,6 Prozent davon wurden zu Hause gepflegt.2 Die mittlere Verweildauer eines Patienten in einem deutschen Krankenhaus hat sich von 1992 bis heute fast halbiert.3 Patienten werden heute also viel früher entlassen und erholen sich zu ­Hause, wo sie vor Infektionserregern geschützt werden müssen. Der klinische und der häusliche Bereich überschneiden sich daher immer stärker.


Humanes Mikrobiom und Gesundheit

Im vermeintlichen Gegensatz zur oben geschilderten Bedrohung durch Infektions­erreger zeigen die Ergebnisse der modernen humanen Mikrobiomforschung, dass Menschen ein mikrobiell vielfältiges Umfeld für Gesundheit und Wohlbefinden brauchen. Das humane Mikrobiom ist die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die ein Mensch beherbergt. Es umfasst etwa 10 Billionen Zellen und besteht aus tausenden verschiedenen Arten. Nahezu das gesamte ­humane Mikrobiom befindet sich im Dickdarm. Doch auch Mund, Vagina und Haut sind signifikant mit Bakterien, Pilzen, Viren und Parasiten besiedelt.

Das humane Mikrobiom erfüllt lebenswichtige Aufgaben für den Menschen. Es unterstützt zum Beispiel die Verdauung, schützt durch Nahrungskonkurrenz und die Produktion antimikrobieller Wirk­stoffe vor Krankheitserregern und stimuliert das Immunsystem. Letzteres wird daher nicht mehr als ein System gesehen, das uns primär vor Infektionserregern schützt. Vielmehr kommuniziert es mit Mikroorganismen und der Umwelt zum Wohle seines Wirtes. Einige Forscher sehen das humane Mikrobiom als ein eigenes Organ an, dessen Aktivität die Gesundheit des Menschen signifikant mitbestimmt.

Mittlerweile werden eine ganze Reihe von Erkrankungen mit einem gestörten Mikrobiom assoziiert. Das sind nicht nur klassische Darm- und Verdauungserkrankungen, sondern zum Beispiel auch Haut­erkrankungen und Arthritis oder neuro­logische Erkrankungen wie Depressionen, Autismus und Morbus Parkinson. Inwieweit das gestörte Mikrobiom aber Ursache oder Folge einer Erkrankung ist, liegt dabei oftmals noch im Dunkeln.


Die Hygiene-Hypothese

Sicher ist, dass ein westlicher, industrialisierter Lebensstil die Prävalenzen von Allergien und allergischem Asthma erhöht. Hierfür sei ein Mangel an Infektionen im Kindesalter verantwortlich, so die klassische „Hygiene-Hypothese“. Sie gilt mittlerweile als widerlegt. Neben Schadstoffen, Stress, stark prozessierter Nahrung oder Übergewicht scheint auch eine geringe mikrobielle Vielfalt Allergien und Asthma zu begünstigen.

Noch sehr ursprünglich lebende Volksgruppen haben im Vergleich zu Menschen in Industrieländern tatsächlich ein deutlich vielfältigeres Mikrobiom – und weniger ­Allergien. Allgemeine Hygienemaßnahmen wie sauberes Trinkwasser, keimarme Nahrungsmittel, Luftfiltration oder der Einsatz von antimikrobiellen Oberflächen, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln gehören zweifellos zu den großen Errungenschaften der Menschheit. Sie tragen erheblich zur Lebenszeitverlängerung bei. Allerdings nehmen sie unserem Immunsystem die mikrobiellen „Sparringspartner“. ­Welche Mikroorganismen uns dabei besonders fehlen, sollen aktuelle Untersuchungen zeigen.

 

  • praktische maßnahmen für die Haushaltshygiene Mikroorganismen sind nicht schlecht. Der Mensch braucht für ein gesundes Leben eine vielfältige mikrobielle Gemeinschaft in sich, auf sich und in seiner häuslichen Umgebung.

  • Infektionen sollten trotzdem konsequent vermieden werden, insbesondere bei YOPIs.

  • Für die zuverlässige Kontrolle von Mikro­organismen und Infektionserregern zu Hause reichen klassische Hausmittel völlig aus (Abb. 1): Hitze (Kochen, Braten), Kälte (Einfrieren, Kühlen), UV-Strahlung (Sonne), Trockenheit (Lüften, Trocknen), Säure (Essig, Zitronensäure), Lauge (Ammoniak, Seife), Tenside (Seife, Allzweckreiniger, Waschmittel), mechanisches Reinigen und das regelmäßige Ersetzen von Reinigungsuntensilien (Küchenschwamm).

  • Von allen Orten im Haushalt kommt der Küche mit der Lebensmittelhygiene die größte Bedeutung zu (noch vor der Toilette!).

  • Situationsbezogenes Hände­waschen ist nach wie vor eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen im Alltag.

  • Impfungen schützen vor den wirklich gefährlichen Infektionskrankheiten.

  • Gerade das noch heranreifende Immunsystem von Kindern profitiert von einer mikrobiell reichen Umgebung. Insbesondere der Kontakt zu Haus- und Farmtieren hat sich als positiv erwiesen.

  • Speziell antimikrobiell ausgerüstete Reinigungsprodukte, Oberflächen (Silber) und Desinfektionsmittel töten unspezifisch alle Mikroorganismen. Von einem regelmäßigen, prophylaktischen Einsatz solcher Mittel ist daher abzuraten – er könnte die Entstehung von Antibiotika­resistenzen fördern.

  • Der Einsatz von Desinfektionsmitteln zu Hause ist nur im akuten Krankheitsfall oder bei der Pflege sehr infektions­anfälliger Patienten nötig. Er muss dann ausreichend und gemäß Anwendungsvorschrift erfolgen. Subletale Konzentrationen können durch verdünnte Desinfektionsmittel oder zu geringe Einwirkzeiten entstehen und Resistenzen fördern.

Ausblick

Die klassische Hygiene, auch im Haushalt, fokussiert sich bislang stark auf unspezifische, antimikrobielle Strategien zur Infektionsprävention. Im klinischen Umfeld werden mittlerweile neue Strategien diskutiert und experimentell angewendet: Probiotische Reiniger sollen gefähr­liche Infektionserreger bekämpfen. In Mikrobiom-Erholungsräumen soll sich das Mikrobiom von Patienten nach einer Operation und eventueller Antibiotika-Gabe erholen können. Im Haushalt sind probiotisch imprägnierte Wandanstriche, Tapeten oder Fußbodenbeläge denkbar. „Gute“ Mikroben sollen „schlechte“ Mikroben (wie zum Beispiel Schimmel) in Schach halten und idealerweise noch das Immunsystem der Bewohner stimulieren. Auch Haushaltsreiniger mit lebenden Mikroorganismen sind bereits kommerziell verfügbar, wissenschaftlich allerdings nur spärlich untersucht.

Solche Ideen sind zwar noch Zukunftsmusik, aber auch ein spannendes Forschungsfeld. Sie zeugen von einem Umdenken: Zukünftig wird sich die (Haushalts-) ­Hygiene nicht mehr nur auf das Abtöten von Mikroorganismen konzentrieren, sondern auf ein gezieltes Management von mikrobiellen Gemeinschaften. Das schließt antibiotische und probiotische Strategien zum Wohle des Menschen als Wirt gleichberechtigt mit ein (Abb. 2).
 


1 Focus Money: Prognostizierte Entwicklung der Altersstruktur in Deutschland von 2010 bis 2050 (in Millionen Einwohner). Statista – Das Statistik-Portal.
2 Statistisches Bundesamt: Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland in den Jahren 1999 bis 2015 (in 1.000). Statista – Das Statistik-Portal.
3 Statistisches Bundesamt: Durchschnittliche Verweildauer in deutschen Krankenhäusern in den Jahren 1992 bis 2017 (in Tagen). Statista – Das Statistik-Portal.
* Illustrationen: 3DDock, Arcady, art-sonik, Bay_Design, bsd, Janis Abolins, Marnikus, nexusby, studioworkstock – shutterstock

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Ullstein Buchverlage

Prof. Dr. Markus Egert
Mikrobiologe

Institute for Precision Medicine
Fakultät Medical & Life Sciences
Hochschule Furtwangen
Markus.Egert@hs-furtwangen.de

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