Konflikte unter Ärztinnen und Ärzten – wie man mit Mediation Auseinandersetzungen effizient und zukunftsweisend lösen kann

Die verschärften Wettbewerbsbedingungen und die zahlreichen gesetzgeberischen Reformen im deutschen Gesundheitswesen sowie zuletzt verstärkt auch die erheblichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie für die ambulante Versorgung, erhöhen den wirtschaftlichen Druck auf niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Hierdurch haben kooperative Versorgungsmodelle sowie interdisziplinäre und arbeitsteilige Praxisstrukturen vermehrt an Bedeutung gewonnen. Hierin liegen Chancen und Risiken zugleich. Die Zusammenarbeit innerhalb sowohl langjährig gewachsener als auch neu gegründeter, arbeitsteiliger Praxisstrukturen birgt nämlich aufgrund der Komplexität der Rahmenbedingungen, sich überschneidender Verantwortungsbereiche und divergierender Zukunftsstrategien auch erhebliches Konfliktpotenzial. Wirtschaftliche Abhängigkeiten und persönliche Beziehungsgeflechte machen es erforderlich, einvernehmliche Lösungen für auftretende Streitigkeiten zu finden.

Infolgedessen sind auch Konflikte unter Ärztinnen und Ärzten im Rahmen ärztlicher Kooperationen, insbesondere unter ärztlichen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern – ob über die strategische Ausrichtung der Praxis, die Gewinnverteilung oder den individuellen Arbeitseinsatz – keine Seltenheit und werden häufig von den guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen übertüncht. Erfahrene Medizinrechtlerinnen und -rechtler erkennen mehr und mehr, dass die Mediation gegenüber der streitigen, insbesondere der gerichtlichen, Auseinandersetzung deutliche Vorteile bringt. Mediation zahlt sich aus – emotional und finanziell: Vor allem dann, wenn die Beteiligten die Konflikte und den strukturierten Rahmen der Mediation dazu nutzen, persönliche Konflikte auszuräumen und ihre eigenen und die gemeinsamen Interessen für die berufliche und persönliche Zukunftsplanung zu klären. Am Ende kann dabei die Fortsetzung oder auch die Beendigung der Kooperation stehen. Beides ist ein Gewinn, wenn durch die Klärung im Mediationsprozess deutlich wird, ob man eigentlich noch im selben Boot sitzt oder wegen der unterschiedlichen Ziele besser verschiedene Boote besteigen sollte.

DefinitionWas bedeutet Mediation?

Die Mediation ist ein „vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben“ (§ 1 Abs. 1 MediationsG). Strukturprägende Elemente sind die Verhandlung der Parteien, die Unterstützung durch eine Mediatorin oder einen Mediator und die Freiwilligkeit der Mediation. Die Konfliktparteien – auch Medianden genannt – wollen mit Unterstützung einer dritten „allparteilichen“ (§ 2 Abs. 3 S. 1 MediationsG) Person – der Mediatorin oder dem Mediator – einen Konflikt durch eine gemeinsame Vereinbarung beilegen, die den Bedürfnissen und Interessen aller gerecht wird, es soll eine „Win-Win-Situation“ geschaffen werden. Die Mediatorin oder der Mediator trifft dabei, anders als z. B. eine Richterin bzw. ein Richter oder Schlichterin bzw. Schlichter, keine eigenen Entscheidungen, sondern sorgt für einen geordneten Verfahrensablauf und unterstützt die Medianden bei der Lösungssuche. Konkret bedeutet das: Die Mediatorin oder der Mediator steuert den Mediationsprozess, die Medianden bestimmen Inhalt und Lösung.

Aus diesem Grund hat gerade die Mediation auch unter Ärztinnen und Ärzten als eine Form der einvernehmlichen Streitbeilegung anhaltend an Bedeutung gewonnen. Durch Beauftragung eines Mediators lassen sich Konflikte häufig schneller, effektiver und nachhaltiger beilegen als bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung. In der medizinrechtlichen Vertragsgestaltung werden daher neben den bereits verbreiteten Schlichtungs- und Schiedsgerichtsklauseln zunehmend auch Mediationsklauseln, teils in Kombination mit Schlichtungs- und/oder Schiedsgerichtsklauseln verwandt. Dies gilt nicht nur für gesellschaftsrechtliche Verträge unter Ärztinnen und Ärzten, sondern auch für jegliche Form von Kooperationsverträgen als auch für Dienstverträge von angestellten Ärztinnen und Ärzten. Diese Entwicklung ist nachvollziehbar: Die Vorteile einer außergerichtlichen Mediation und deren hohe Erfolgsquote – nach Untersuchungen werden mehr als 75 % aller Mediationen erfolgreich beendet – sprechen für sich. Die hohe Effektivität der Mediation ist daher in besonderem Maß geeignet, die Eskalation einer Streitigkeit verbunden mit schweren wirtschaftlichen Nachteilen zu vermeiden.

Begleitend erfährt die Mediation aus der EU enormen Rückenwind: In der Umsetzung der Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen und zur Förderung der Mediation in Deutschland (EU-Mediationsrichtlinie) trat am 26. Juli 2012 das Mediationsgesetz in Kraft. Die Umsetzung betrifft nicht nur den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr, sondern erfasst jegliche Mediation.

Mediationsprozess

Dieser Prozess ist strengen Regeln unterworfen und erfordert insbesondere von der Mediatorin oder vom Mediator ein hohes Maß an Qualifikation, Empathie und Geschick. Dabei ist die Mediation ein hocheffizientes Instrument der Konfliktlösung, das die Mediatorin oder den Mediator physisch und psychisch aufs Äußerste fordert und die Mediandin oder den Medianden nach den Erfahrungen in der Praxis in der Regel zu interessengerechten Lösungen verhilft.

Wahre Interessen

Prägendes Element der Mediation ist die Fokussierung auf die wahren individuellen „Interessen“ der Beteiligten anstelle der oft nur vordergründig geäußerten „Positionen“. Die Interessen der Beteiligten können sich erheblich von deren Positionen oder auch von ihren rechtlichen Ansprüchen unterscheiden. Auch stellt sich die zunächst aufdrängende „gerechte Lösung“ meist nicht immer als interessengerecht dar. Zur Verdeutlichung mag folgendes – in Lehrbüchern bemühtes und wegen seiner einfachen Logik nachvollziehbares – Beispiel dienen: An einem Obststand gibt es nur noch eine letzte Zitrone, die sowohl A als auch B, die zeitgleich erschienen sind, kaufen möchten. Die sich aufdrängende „gerechte Lösung“ besteht darin, die Zitrone zu teilen und A und B jeweils die Hälfte zu geben. Diese Lösung geht aber an den wirklichen Interessen der Parteien vorbei. Während A nämlich nur den Saft der Zitrone für einen Cocktail benötigt, möchte B allein die Schale der Zitrone für einen 
Kuchen. Bei Klärung der wahren individuellen Interessen wären sowohl die Bedürfnisse von A als auch diejenigen von B vollumfänglich erfüllt worden, obgleich nur eine Zitrone zur Verfügung stand. Während sich für die unterschiedlichen „Positionen“ (jeder möchte eine Zitrone) keine einvernehmliche Lösung hätte finden lassen, gibt es hingegen für unterschied­liche „Interessen“ regelmäßig auch gemeinsame Lösungen.

Wie ist der Ablauf eines Mediationsverfahrens?

Das Mediationsverfahren gliedert sich grundsätzlich in sechs Phasen, die sich kurz wie folgt skizzieren lassen:

  1. Mediationsvorbereitung: Zunächst muss geklärt sein, dass sich der Konflikt für eine Mediation eignet. Ist dies der Fall, werden der Ablauf des Mediationsverfahrens sowie die dabei geltenden „Spielregeln“ erörtert und eine Mediationsvereinbarung abgeschlossen.
  2. Themensammlung: In dieser Phase wird ermittelt, worum es bei dem Konflikt geht und welche Themen zu erörtern sind.
  3. Interessenklärung: In dieser Phase geht es darum, das tatsächliche, hinter einer nach außen dokumentierten Position stehende Interesse aufzudecken.
  4. Lösungsoptionen: Es werden sämtliche (un-)denkbaren Lösungsansätze gesammelt.
  5. Bewertung der Lösungsoptionen: Erst in dieser getrennten Phase werden die gefundenen Lösungsansätze bewertet.
  6. Abschlussvereinbarung: Die gefundenen Lösungen werden in einer abschließenden Vereinbarung niedergelegt.

Aufgabe der allparteilichen Mediatorin oder des Mediators ist die Strukturierung des vertraulichen und von den Parteien eigenverantwortlich geführten Prozesses. Während des Mediationsverfahrens steht es – was in der Rechtsanwaltschaft häufig nicht bekannt ist – den Medianden auch frei, sich z. B. anwaltlich begleiten und beraten zu lassen. Die Mediatorin oder der Mediator selbst darf allerdings, selbst wenn er zugleich Anwältin oder Anwalt ist, aufgrund der Neutralität und aus berufsrechtlichen Gründen nicht in der Funktion als Anwältin oder Anwalt in Erscheinung treten und die Medianden rechtlich 
beraten. 

Zu erwähnen ist auch, dass die Mediation ein freiwilliges Verfahren ist und jederzeit und ohne Angabe von Gründen abgebrochen werden kann. Dies ist auch in § 2 MediationsG ausdrücklich bestimmt. 

Vorteile der außergerichtlichen Streitbeilegung

Die wesentlichen Vorteile einer Mediation gegenüber einer streitigen, insbesondere gerichtlichen, Konfliktlösung bestehen insbesondere darin, dass die Medianden ihren Konflikt nicht fremdbestimmt durch z. B. eine Richterin oder einen Richter, sondern eigenverantwortlich und damit in der Regel nachhaltig lösen, Diskretion und Vertraulichkeit gewahrt sind: Interna dringen –  anders als bei in aller Regel öffentlichen gerichtlichen Auseinandersetzungen – nicht nach außen, Mediation im Verhältnis zu streitigen Gerichtsverfahren deutlich schneller und meist kostengünstiger zur Konfliktbei­legung führt,
in der Regel anders als bei sonstigen Konfliktlösungsinstrumenten eine langfristige und somit nachhaltige Befriedung  zwischen den Parteien erreicht wird.

Anwendungsfälle für Mediation in der Arztpraxis

In einer Arztpraxis finden sich viele potenzielle Anwendungsfälle für eine außergerichtliche Mediation. Der Schwerpunkt liegt dabei sicher auf dem Bereich der ärztlichen Kooperationen. Besonderes Konfliktpotenzial bergen hierbei erfahrungsgemäß die Gewinn- und Verlustverteilung einer ärztlichen Gesellschaft oder auch die Praxisorganisation im Allgemeinen sowie vor allem auch jede Form der Beendigung einer Zusammenarbeit unter Ärztinnen und Ärzten. Denkbare weitere Anwendungsfälle, für die sich eine Mediation anbietet, sind insbesondere

  • Kompetenzkonflikte zwischen Ärztinnen und Ärzten in der Praxis
  • Geschäftsführungsstreitigkeiten in ärztlichen Gesellschaften
  • Generationenkonflikte (Senior-Junior-Konstellationen)
  • Konflikte bei Um- oder Neustrukturierung der Praxis
  • Differenzen über die zukünftige Strategie/Ausrichtung der Praxis
  • Unterschiedliche Vorstellung über den Arbeitseinsatz in der Praxis
  • Streit bei Ein-/Austritt einer Partnerin oder eines Partners aus der Praxis
  • Konflikte bei der Ermittlung der Abfindung bei Ausscheiden einer Partnerin oder eines Partners
  • Konflikte im Praxisteam

Bei diesen Konstellationen lassen gleich mehrere Aspekte die Vermeidung einer streitigen, insbesondere gerichtlichen Auseinandersetzung, als besonders sinnvoll erscheinen und stattdessen eine Mediation in Erwägung zu ziehen:

  • Starke persönliche und wirtschaftliche Verflechtung der Beteiligten
  • Unterschiedliche Kompetenzen und Wertvorstellungen bei gleichgeordneter Zusammenarbeit
  • In der Regel dauerhafte Zielsetzung der Kooperation
  • Enge Zusammenarbeit auch mit dem nichtärztlichen Personal
  • Komplexer rechtlicher Rahmen, bei dem sich manche Gestaltungsmöglichkeit nicht auf den ersten Blick aufdrängt und von den Parteien gesehen wird
 

 

Auswirkung auf das Praxisklima

Einer der großen Vorteile der Mediation gegenüber allen rechtlichen Auseinandersetzungen ist auch darin zu sehen, dass man direkt in die Lösung der Probleme einsteigen kann. Statt langer Wartezeiten wie beim Gericht kann die Mediation – je nach Grad des Konflikts und der Terminkalender der Gesellschafterinnen und Gesellschafter – umgehend begonnen werden. Das Gefühl, das sich unmittelbar etwas im Prozess bewegt, nimmt häufig schon ein Stück der Anspannung in der Praxis, die gerade auch von den Mitarbeitenden sehr genau wahrgenommen und als äußerst belastend empfunden werden.

Kreative Lösungen

Beispiel für eine verbindliche Mediationsklausel

„Die Parteien verpflichten sich, im Falle von Meinungsverschiedenheiten und Aus­einandersetzungen über die Auslegung, Geltung oder sonstigen Inhalte dieses Vertrages, vor Inanspruchnahme des zuständigen Gerichts eine Schlichtung oder alternativ eine Mediation von mindestens jeweils zwei Sitzungen durchzuführen, falls nicht schon zuvor eine gemeinsame und einvernehmliche Lösung gefunden und verbindlich schriftlich vereinbart wurde. Diese Verpflichtung gilt sowohl während der Dauer der Gesellschaft als auch bei Auseinandersetzungen aufgrund der Beendigung der Gesellschaft. Verstößt ein Gesellschafter gegen diese „Friedenspflicht“, hat er dem anderen Gesellschafter als Vertragsstrafe einen Betrag von 10.000 € (in Worten: zehntausend) zu zahlen.“

Die detaillierte Klausel ist abrufbar unter: www.med-iatori.com/musterklauseln/mediationsklausel/ 

Vielleicht der größte Gewinn der Mediation besteht für jede einzelne Gesellschafterin und jeden Gesellschafter jedoch darin, dass die Beteiligten am Ende wissen, wie sie sich ihre berufliche und persönliche Zukunft vorstellen. Wenn diese Frage sorgfältig geklärt wird, entstehen manchmal die kreativsten Lösungen, die so individuell wie ihre Beteiligten sind:

Während manche nach der Mediation unbedingt weiterhin auf dem gemeinsamen Boot in die Zukunft segeln wollen, erkennen andere Konstellationen, dass sie eigentlich in ganz andere Richtungen segeln möchten. Wenn diese Erkenntnis nicht im Streit, sondern im Dialog gemeinsam wächst, erlebe man immer wieder, dass alle Beteiligten zwar zunächst eine ­gewisse Traurigkeit über das Beenden einer gemeinsamen Zeit eint. Zugleich ist jedoch die Vorfreude auf das Entdecken der neuen Ziele auch für die sich trennenden Gesellschafterinnen und Gesellschafter ebenso inspirierend wie entlastend.

Wie finde ich eine passende Mediatorin oder einen Mediator?

Natürlich kommt der Mediatorin oder dem Mediator bei der Lösung des Konflikts eine Schlüsselrolle zu. Im Rahmen eines kurzfristig anberaumbaren Auftakttermins besteht für die Gesellschafterinnen und Gesellschafter nicht nur die Möglichkeit, die Mediatorin oder den Mediator persönlich kennenzulernen, sondern auch sicherzugehen, dass die „Chemie stimmt“. Letzteres ist nicht nur für den weiteren Prozess äußerst wichtig, sondern entspricht auch unserem Verständnis von Respekt den Gesellschafterinnen und Gesellschaftern gegenüber, da die einzelnen Personen schließlich in der Mediation doch höchstpersönliche Angelegenheiten auf die Tagesordnung bringen. Daher sollten sie sich auch bei der Mediatorin oder dem Mediator ebenso aufgehoben fühlen wie die Patientinnen und Patienten bei ihnen.

Qualifikation

Mediatorinnen und Mediatoren sollten eine nachweisbare Qualifikation und Erfahrung, zum Beispiel als zertifizierte Mediatorin bzw. zertifizierter Mediator, vorweisen können und bei allen Medianden Akzeptanz finden. Besondere Offenbarungs- und Neutralitätspflichten sind in § 3 MediationsG festgelegt. Gezielt für das gesamte Gesundheitswesen bietet der 2011 gegründete Verein „med.iatori e. V. – Deutsche Schiedsstelle im Medizinrecht“ (www.med-iatori.de) an, auf das Medizinrecht spezialisierte Mediatorinnen und Mediatoren bundesweit zu benennen und stellt auch Muster für vertragliche Mediationsklauseln sowie für eine Mediationsvereinbarung zur Verfügung.

Michael Frehse, 
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator
Kanzlei am Ärztehaus, Münster 
m.frehse@kanzlei-­am-aerztehaus.de
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Michael Plassmann
Rechtsanwalt und Zertifizierter Mediator
Mediationskanzlei Plassmann Berlin/Münster 
mail@mediationskanzlei-­plassmann.de
www.mediationskanzlei-plassmann.de

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