Fragen und Antworten in Rechtsbelangen

Aktuelle Fragen aus der Rechtspraxis zu den Themen Kündigungsschutz bei Schwangeren, Gestaltungsmissbrauch in einer Praxisgemeinschaft und Zusatzurlaub bei Mitarbeitern mit Behinderung.

 

Gestaltungsmissbrauch in einer Praxisgemeinschaft

Herr Dr. P. aus Koblenz:

„Ich betreibe mit einem Fachkollegen eine Praxisgemeinschaft. Wir haben uns auf unterschiedliche Gebiete spezialisiert, wie Fuß- und Handchirurgie oder Kinderchirurgie. Wir möchten so unsere Patienten optimal versorgen. Wenn wir operieren, vertreten wir uns gegenseitig. Daher haben wir oft mehr als 20 % gemeinsame Patienten. Kann uns eine Plausibilitätsprüfung drohen?“

Frau Schannath:

„Das Sozialgericht Marburg hat am 01.10.2019 (Az.: S 12 KA 2/18) entschieden, dass Partner einer Praxisgemeinschaft, die einen hohen Anteil von gemeinschaftlichen Patienten behandeln, sich der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich bedienen. Zwar können Vertretungsfälle bei einer Plausibilitätsprüfung entlastend zugunsten der Ärzte berücksichtigt werden. Das aber nur dann, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund an der Ausübung seiner Praxis­tätigkeit verhindert war, das heißt nicht nur stundenweise abwesend war. Dies liegt nicht vor, wenn er stundenweise operative Tätigkeiten ausübt. Ihnen droht also durchaus eine Plausibilitätsprüfung.“

fragen an die expertinHaben auch Sie Fragen an Andrea Schannath? Mitglieder des Virchowbundes erreichen sie montags bis donnerstags jeweils von 9 bis 16 Uhr und freitags von 9 bis 13 Uhr unter der Telefonnummer 030 288774-125

Schwerbehinderte auf Zusatzurlaub hinweisen

Frau Dr. A. aus Dortmund:

„Ich werde von einer ehemaligen Mitarbeiterin verklagt. Sie war schwer­behindert und ich hätte sie auf den zusätzlichen Urlaub hinweisen müssen. Sie selbst hatte nicht gewusst, dass sie einen Anspruch auf Zusatzurlaub hatte und fordert jetzt Schadensersatz von mir. Ist das rechtens?“ 

Frau Schannath:

„Ein Arbeitgeber muss einen schwer­behinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub gemäß § 208 SGB IX hinweisen. Kommt er seiner Hinweis- und Informationspflicht nicht nach, begründet dies einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers. Das hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 16.01.2019 (Az.: 2 Sa 567/18) entschieden. Der Arbeitnehmerin stehe der Anspruch auf Schadensersatz gerichtet auf Abgeltung des Schwerbehindertenzusatzurlaubs zu, da der Arbeitgeber während des gesamten Arbeitsverhältnisses die Arbeitnehmerin weder auf den Zusatzurlaub hingewiesen noch sie aufgefordert hat, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Kommt der Arbeitgeber seinen Informations- und Hinweis­pflichten nicht nach, stehe dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Schadensersatz in Form eines Ersatzurlaubs und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Form einer Abgeltung zu. Ihre Mitarbeiterin hat also recht.“

Besonderer Kündigungsschutz für Schwangere ab Vertrags­abschluss

Herr Dr. G. aus Tutzing:

„Ich habe im Juni 2020 einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer neuen Mitarbeiterin abgeschlossen. Arbeitsbeginn sollte der 01.10.2020 sein. Jetzt teilt mir die Mitarbeiterin mit, dass sie schwanger sei und wegen einer Vorerkrankung sofort ein Beschäftigungsverbot erhalten habe. Ich kann sie doch noch kündigen, oder?“

Frau Schannath:

„Leider nein, denn Schwangere sind schon vor Dienstantritt unkündbar. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 27.02.2020 (Az.: 2 AZR 498/19) entschieden. Nach Ansicht der Richter greift der Kündigungsschutz für Schwangere bereits mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages. Nur so ließen sich Existenzängste und Abtreibungen verhindern, so das BAG. Das Mutterschutzgesetz sei diesbezüglich zwar nicht ganz eindeutig. Diese Auslegung ergebe sich aber schon aus den Vorgaben des EU-Rechts. Dies verpflichte die Mitgliedsstaaten, Kündigungen von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs zu verbieten.“

 

Andrea Schannath

Justiziarin des Virchowbundes

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