Fragen und Antworten in Rechtsbelangen

Einer meiner langjährigen Patienten kam vor einiger Zeit zu mir, weil er an männlichem Brustkrebs erkrankt sei. Sein Onkologe sei im Urlaub, aber habe eine bestimmte Therapie empfohlen. Den Arztbericht wollte er nachreichen. Ich habe ihm nach Untersuchung mehrmals die angeblich empfohlene Therapie verordnet. Nun nimmt mich die Kassenärztliche Vereinigung für die Verordnungskosten in Regress. Ist das rechtmäßig? Diese und weitere Fragen aus der täglichen Praxis, beantwortet Rechtsanwalt Sven Rothfuß.

Konkurrenz durch MVZ

Herr Dr. T. aus Magdeburg

Ich bin als Augenarzt in eigener Praxis niedergelassen. Nur 400 m von meiner Praxis entfernt wurde ein augenärztliches Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zugelassen. Allerdings haben die beiden Ärzte, die die MVZ-Zulassung beantragt haben und Gesellschafter der MVZ-Trägergesellschaft waren, ihre Gesellschaftsanteile schon ein paar Wochen nach der Zulassung des MVZ auf eine Klinik übertragen und die Geschäftsführung niedergelegt. Die beiden Ärzte, die das MVZ gegründet haben, hatten wohl nie die Absicht, dieses auch selbst zu betreiben. Kann ich nun irgendwie erreichen, dass die Zulassung des MVZ widerrufen bzw. entzogen wird?

Herr Rothfuß:

„Infrage käme hier ein Widerspruch bzw. eine Klage gegen die Zulassung des MVZ. Da Sie nicht Adressat des Zulassungsbeschlusses waren, käme nur eine sog. Drittanfechtungsklage in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) muss der Kläger zunächst überhaupt befugt sein, die Begünstigung eines Konkurrenten (hier die MVZ-Zulassung) anzugreifen (Drittanfechtungsbefugnis). Für die Drittanfechtungsbefugnis muss der dem Konkurrenten eingeräumte Teilnahme­status gegenüber dem des Anfechtenden nachrangig sein. Eine solche Nachrangigkeit bestünde bspw., wenn der Teilnahmestatus nur bei Vorliegen eines Versorgungsbedarfs erteilt wird. In einer Entscheidung vom 11.05.2022 (Az. L 11 KA 31/20) hat das Landessozialgericht (LSG) NRW klargestellt, dass die Zulassung eines MVZ grundsätzlich nicht gegenüber der Zulassung eines Vertragsarztes nachrangig sei. Auch die Zulassung eines MVZ stünde auf derselben Ebene wie die Zulassung eines Vertragsarztes. Eine Bedarfsprüfung finde gerade nicht statt. Somit sind Sie hier nicht anfechtungs­berechtigt.“

Nicht indiziertes Arzneimittel

Herr Dr. B. aus Düsseldorf

Ich bin niedergelassener Allgemeinmediziner. Einer meiner langjährigen Patienten kam vor einiger Zeit zu mir, weil er an männlichem Brustkrebs erkrankt sei. Sein Onkologe sei in den Urlaub gefahren, aber habe eine bestimmte Therapie empfohlen. Den Arztbericht wollte der Patient nachreichen. Ich habe ihm daraufhin mehrmals die angeblich empfohlene Therapie verordnet, nachdem ich die Brust abgetastet und eine Verhärtung gespürt habe. Nun nimmt mich die Kassen­ärztliche Vereinigung (KV) für die Verordnungskosten in Höhe von über 20.000 € in Regress. Wie hätte ich denn wissen können, dass er tatsächlich nicht an Brustkrebs leidet? Ist der Regress trotzdem rechtmäßig?

Herr Rothfuß:

„Versicherte haben grundsätzlich Anspruch auf die Versorgung mit Arzneimitteln bei entsprechender Indikation. Ob ein Arzneimitteleinsatz indiziert ist, bemisst sich nach der Rechtsprechung des BSG nicht danach, welche Diagnose bei der Verordnung gestellt wurde, sondern welche Diagnose tatsächlich vorlag. Einschränkend soll aber gelten, dass ein Regress nicht in Betracht kommt, wenn ein Arzt nach aktuellem Wissensstand und unter Ausschöpfung der möglichen Diagnostik sowie Auswertung der Befunde eine Therapieentscheidung getroffen hat, die zur Behandlung der Erkrankung zulässig war. Dies gilt nicht, wenn die Diagnostik unvollständig war oder eine offensichtlich fernliegende Diagnose gestellt wurde. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat in einem ähnlich gelagerten Fall mit Urteil vom 14.09.2022 (Az. S 20 KA 56/20) entschieden, dass allein durch ein Abtasten der Brust keine Krebsdiagnose gestellt werden könne. Wenn ein Arzt nicht zur nötigen Diagnostik in der Lage sei, müsse er diese durch andere Ärzte veranlassen. Auch dürfe ein Arzt nicht „blind“ auf die Angaben eines Patienten vertrauen. Das Gericht ging davon aus, dass der Regress zu Recht festgesetzt worden sei.“

Sven Rothfuß
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei am Ärztehaus
Oberländer Ufer 174, 50968 Köln
(0221) 34066960
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

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