Fragen und Antworten in Rechtsbelangen
„Die ärztliche Leiterin unseres Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) durfte seit dem 01.01. nicht mehr arbeiten. Wir haben am 01.04. die Änderung der ärztlichen Leitung beantragt. Diese wurde zum 01.05. von einem anderen Arzt übernommen. Nun wurden für die Zwischenzeit alle Honorare zurückgefordert, da das MVZ keine ärztliche Leitung gehabt hätte. Kann das sein?“ Diese und weitere Fragen beantwortet Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Sven Rothfuß.
MVZ: Leistungserbringung ohne ärztliche Leitung
Frau Dr. E., Allgemeinmedizinerin
Aufgrund des Mutterschutzes durfte die (einzige) ärztliche Leiterin unseres Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) seit dem 01.01. nicht mehr arbeiten. Wir haben dem Zulassungsausschuss am 01.04. mitgeteilt, dass die Ärztin seit dem 01.01. wegen Mutterschutzes nicht ärztlich tätig war und einen Antrag auf Änderung der ärztlichen Leitung gestellt. Diese wurde zum 01.05. von einem anderen Arzt übernommen. Nun wurden alle zwischen dem 01.01. und 01.05. erzielten Honorare zurückgefordert, da das MVZ keine ärztliche Leitung gehabt hätte. Müssen wir wegen dieser bloßen Formalie unser gesamtes Honorar zurückzahlen? Die Ärztin war schließlich weiterhin Ansprechpartnerin für organisatorische Fragen.
Herr Rothfuß:
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfordert die Wahrnehmung der Leitungsfunktion in einem MVZ die Präsenz der Leiterin und eine Einbindung in Strukturen des MVZ, die nur durch eine ärztliche Tätigkeit gewährleistet sei. Dem folgend ist das Sozialgericht München im Urteil vom 29.02.2024 (Az. S 49 KA 5037/23) in einem vergleichbaren Fall davon ausgegangen, dass in dem MVZ ab dem Ende der Tätigkeit der Ärztin, die die ärztliche Leitung innehatte, auch keine ärztliche Leiterin mehr präsent war. Die Leistungserbringung durch ein MVZ ohne ärztliche Leitung verstoße gegen § 95 Abs. 1 SGB V. Dieser Verstoß führe zu einer Korrektur der Abrechnung. Das zu Unrecht erhaltene Honorar sei zurückzugewähren.
Gewerbsmäßiger Abrechnungsbetrug
Frau Dr. L., Chirurgin
Ich verordne oft Kompressionsstrümpfe. Um den Patienten zusätzliche Wege zu ersparen, möchte ich mit einem Sanitätshaus vereinbaren, dass ein Mitarbeiter des Sanitätshauses die Vermessungen in meiner Praxis anbieten darf. Ich würde die Koordinierung der Termine übernehmen und dafür dann 10 % des Umsatzes, den das Sanitätshaus mit diesen Strümpfen erzielt, erhalten. Kann ich das so machen?
Herr Rothfuß:
Auf gar keinen Fall dürfen Sie das umsetzen. Der Bundesgerichtshof bestätigte in einem aktuellen Urteil vom 21.03.2024 (Az. 3 StR 163/23) in einer ähnlichen Konstellation die Verurteilung einer Ärztin sowie eines Inhabers eines Sanitätshauses wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. § 128 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V (SGB V) verbietet es, Personen, die in der Hilfsmittelversorgung tätig sind, Ärzte gegen Gewährung finanzieller Vorteile an der Durchführung der Versorgung zu beteiligen. Die Praxis zwischen dem Sanitätshaus und der Ärztin verstieß gegen dieses Verbot, sodass die Krankenkassen nicht zur Zahlung der Vergütung verpflichtet waren. Da die Kompressionsstrümpfe von der Krankenkasse, die die Abrede nicht kannte, somit zu Unrecht vergütet wurden, haben die Ärztin und der Inhaber des Sanitätshauses nach Auffassung des BGH einen gewerbsmäßigen Bandenbetrug begangen.
Fehlender Fortbildungsnachweis wegen Krankheit
Frau P., Kinderärztin
Ich war in den letzten Jahren oft krank und musste mich um meine Kinder kümmern, sodass ich es neben der Arbeit nicht geschafft habe, meine Fortbildungspunkte nachzuweisen. Nun wurden meine Honorare gekürzt, obwohl ich ein Attest über meine Krankheit eingereicht habe. Ist die Kürzung rechtmäßig, obwohl ich durch Krankheit bzw. die Kindererziehung gehindert war, mich fortzubilden?
Herr Rothfuß:
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 15.05.2024 (Az. L 5 KA 2946/23) Honorarkürzungen in einem ähnlichen Fall als rechtmäßig bestätigt. § 95d Abs. 5 S. 3 SGB V erlaubt auf Antrag eine Verlängerung des fünfjährigen Nachweiszeitraums für die zwingenden Fortbildungen, wenn die Beschäftigung länger als drei Monate nicht ausgeübt wurde. Die Verlängerung erfolge aber zum einen nicht automatisch, sondern nur auf Antrag. Zum anderen könne eine Verlängerung nur gewährt werden, wenn die Tätigkeit nicht ausgeübt wurde. Da die Ärztin aber weiter tätig war und „nur“ ihrer Fortbildungspflicht nicht nachkam, schied eine Verlängerung aus. Da somit keine fristgemäße Fortbildung nachgewiesen wurde, durfte das Honorar gekürzt werden.