Randale in der Praxis, kann ich mich wehren?

Man will es selbst nicht erleben, aber mindestens 75 Mal pro Tag kommt es in deutschen Arztpraxen zu körperlicher Gewalt gegen niedergelassene Ärzte und ihre Praxisteams. Dabei trifft es Ärztinnen genauso häufig wie ihre männlichen Kollegen. Was aber kann ich in einem solchen Fall tun? Darf ich mich wehren? Kann ich meinen Mitarbeitern bei einem Angriff helfen? Diese Fragen zur Notwehr und Nothilfe beantworten wir im Folgenden.

Bei der Notwehr und der Nothilfe handelt es sich um sogenannte Rechtfertigungsgründe. Die Notwehr ist fast wortgleich in drei Gesetzbüchern (§ 32 Strafgesetzbuch, § 227 Bürgerliches Gesetzbuch und § 15 Ordnungswidrigkeitengesetz) geregelt.

DefinitionNotwehr ist laut Strafgesetzbuch die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwehren. Wer in Notwehr handelt wird nicht bestraft.

Nothilfe ist eine Notwehrhandlung, bei der der Angegriffene nicht der Handelnde selbst ist sondern ein Dritter, z.B. eine Mitarbeiterin der Praxis oder auch ein Patient. Sie verteidigen sich also gegen einen Angriff auf eine andere Person.

Die Notwehr/Nothilfe sollten Sie nicht verwechseln mit einem weiteren Rechtfertigungsgrund dem sogenannten Notstand. Ein Notstand liegt vor, wenn jemand eine Straftat begeht, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigen­tum oder ein anderes Rechtsgut von sich oder einem anderen abzuwehren. So brechen Sie zwar die ärztliche Schweigepflicht, wenn Sie die Polizei darüber informieren, dass Sie von einer Patientin erfahren haben, dass diese von ihrem Mann mehrfach geschlagen wurde. Drohen der Patientin aber schwerwiegende Schädigungen oder ist sogar ihr Tod zu befürchten, sind Sie befugt, Ihnen anvertraute Geheimnisse gegenüber der Polizei bzw. der Staatsanwaltschaft zu offenbaren und damit Ihre ärztliche Schweigepflicht zu verletzen.

Wann kann eine Verteidigung durch Notwehr oder Nothilfe gerechtfertigt sein?

Um im Sinne der Notwehr straffrei zu handeln, müssen zwei Voraussetzungen vorliegen:

  • eine Notwehrlage
  • die Notwehrhandlung darf gewisse Grenzen nicht überschreiten

DefinitionEine Notwehrlage ist dann gegeben, wenn ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff auf ein Rechtsgut vorliegt. Rechtsgüter sind alle rechtlich geschützten Interessen. Dazu zählen z.B. das Eigentum oder das Hausrecht in Ihrer Praxis.

Ein Angriff liegt vor, wenn ein Mensch droht, eines dieser Rechtsgüter zu verletzen. So kann z.B. die Wegnahme eines Gegenstandes das Eigentumsrecht oder ein körperlicher Angriff das Leben und die Gesundheit eines Menschen verletzen. Dabei muss allerdings eine gewisse Bagatellschwelle überschritten sein. Sie dürfen sich also nicht gegen einen Schein- oder Scherzangriff wehren.

Die Gegenwärtigkeit ist immer dann gegeben, wenn der Angriff unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert. Nicht davon erfasst sind daher spätere Rachefeldzüge. Wurden Sie in der Praxis verprügelt und treffen Sie Stunden später erneut auf den Schläger, ist eine Notwehrlage nicht mehr gegeben und Sie machen sich strafbar, wenn Sie jetzt den Schläger angreifen. Wenn Sie jedoch unmittelbar den Schlag abwehren und auch gegeben­enfalls zurückschlagen, kann dies unter dem Schutz der Notwehr liegen, sodass Sie nicht bestraft werden.

Beachten Sie aber: Wenn der Angreifer vom Angriff abgelassen und ihn beendet hat, er also bereits die Praxis verlassen will, ist keine Notwehr mehr zulässig.
Der Angriff muss außerdem rechtswidrig sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn er im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Wenn z.B. die Polizei eine Person festnimmt, ist keine Notwehr zulässig. Denn das gesetzmäßig zugelassene und ordnungsgemäß durchgeführte Handeln der Polizei steht nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung. Kein rechtswidriger Angriff liegt auch vor, wenn der Angreifer sich auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann, er z.B. selbst unmittelbar zuvor körperlich angegriffen wurde.

Die Notwehrhandlung – Wie dürfen Sie reagieren?

Nur weil ein Angriff auf eine Person vorliegt, ist nicht jede Handlung im Rahmen der Notwehr zulässig. Geschützt sind nur die Handlungen, die im richtigen Verhältnis zum Angriff stehen. Angriff und Notwehr müssen also verhältnismäßig sein.

Bei der Notwehr wird verglichen, ob die Verteidigungshandlung dem Angriff entsprechend ist oder ob überreagiert wird. Das typische Beispiel aus den juristischen Lehrbüchern dafür ist der griesgrämige Nachbar, der mit der Flinte auf Nachbarskinder zielt, die ihm Äpfel vom Grundstück klauen. Die Äpfel gehören zu seinem schützenswerten Eigentum und der Diebstahl ist ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff. Dennoch muss die Reaktion angemessen erfolgen. Die Verteidigung muss daher mit dem mildesten Mittel erfolgen, das den Angriff effektiv und endgültig abwehren kann. Wer etwa von einem Unbewaffneten angegriffen wird, darf, sofern nicht besondere Umstände vorliegen (z. B. besondere Gefährlichkeit des Angreifers), den Angriff nicht mit einer Waffe oder einem Werkzeug wie einem Brieföffner abwehren.

Beachten Sie auch: Haben Sie oder Ihre Mitarbeiter den Patienten provoziert, z.B. durch Beleidigungen, sollten Sie sich nur abwehrend verteidigen, also zurückweichen und sich wenn möglich entfernen.

Notwehrwille

Der Nothelfer muss dem Angriff gegen das geschützte Rechtsgut eines Dritten mit Notwehrwillen entgegentreten. Das bedeutet, ein zielgerichtetes Wollen in Form der Absicht, die Angriffe abzuwenden oder abzuschwächen. Ein Notwehrwille fehlt, wenn Sie es einem lästigen Patienten mal heimzahlen wollen, der schon öfters in der Praxis Ärger gemacht hat.

Was ist eine Nothilfe?

Wie bei der Notwehr muss auch bei der Nothilfe eine Notwehrlage vorliegen und die Notwehrhandlung darf gewisse Grenzen nicht überschreiten. Dementsprechend muss auch bei der Nothilfe ein entsprechender Rechtfertigungsgrund vorliegen. Die Hilfe von Dritten muss jedoch nicht erbeten, geschweige denn erwünscht sein.
Wird beispielsweise einer älteren Dame in der Praxis gewaltsam die Tasche entrissen, dann liegt ein Grund vor, welcher die Nothilfe rechtfertigt. Die ältere Frau ist offensichtlich nicht in der Lage, sich zu verteidigen, weshalb Sie auch ohne Aufforderung das Recht haben, einzuschreiten.

Irrtum über die Notwehrlage

Irrt sich der Notwehrausübende über eine der oben genannten Voraussetzungen der Notwehr bzw. der Nothilfe, bezeichnen Juristen dies als einen sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtum. Die Folge des Irrtums ist, dass die Verteidigungshandlung nicht gerechtfertigt ist. In der Regel gehen die Gerichte dann davon aus, dass kein Vorsatz für die strafbare Handlung vorlag. Es kommt dann nur eine Strafbarkeit wegen fahrlässigen Handelns, z. B. fahrlässige Körperverletzung, in Betracht.

Notwehrexzess

Es kommen auch Fälle vor, in denen der sich Wehrende die Grenzen der Notwehr überschreitet. Selbst dann müssen Sie nicht unbedingt eine Strafe befürchten, wenn die Voraussetzungen des § 33 StGB vorliegen. Danach wird nicht bestraft, wer die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, überschreitet. Dies ist etwa der Fall, wenn der sich Wehrende plötzlich ein Messer benutzt, obwohl der Angriff ohne Probleme auch anders abgewehrt werden könnte. Affekte wie Wut oder Hass genügen aber nicht, um straffrei zu bleiben.

Bei einem Notwehrexzess handelt es sich nicht wie bei der Notwehr selbst um einen Rechtfertigungsgrund. Vielmehr entfällt hier die Schuld des sich Wehrenden und dieser wird nicht bestraft.

Fazit

Gibt es Randale in der Praxis, bleiben Sie ruhig. Informieren Sie die Mitarbeiter und ggf. Kollegen in der Praxis am besten mit einem zuvor trainierten Codewort. Rufen Sie ggf. die Polizei. Wenn Sie alleine in der Praxis sind, entfernen Sie sich. Und wenn es notwendig ist, wehren Sie sich angemessen.

► Stand: Januar 2020

Justiziarin Andrea Schannath

Bei individuellen Fragen zu diesem, aber auch allen anderen beruflichen Themen, können sich Mitglieder des Virchowbundes an die Justiziarin Frau Andrea Schannath wenden:
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