Telemedizin und Digitalisierung in der Arztpraxis – ein aktueller Stand

Bereits im Januar 2017 gab es bei Google 1.600 Suchanfragen zum Begriff „Online Arzt“. Im Mai 2020 stieg diese Zahl bereits auf 6.600. 90 % der Bürgerinnen und Bürger, die schon einmal ein digitales Behandlungs­angebot genutzt haben, würden dies auch wieder tun. Hier knüpft die Telemedizin an. Was heute in aller Munde ist, stellt Praxen bisweilen teilweise vor große – nicht medizinische – Herausforderungen. Ein Überblick.

Nach dem politischen Willen der Fraktionen sollen Telemedizin und Digitalisierung den Fortschritt im Gesundheitswesen beschleunigen. Gerade im ambulanten Sektor kann die Telemedizin für die Beteiligten tiefgreifende Änderungen mit sich bringen. Diese Veränderungen sind häufig maßgeblich von der schon bestehenden digitalen Ausstattung und dem Potenzial der Praxis abhängig. Telemedizin soll innovative Chancen der Patientenversorgung mit sich bringen, eine Steigerung der Patientensicherheit gewährleisten sowie neue unternehmerische Modelle und gänzlich innovative ambulante „pathways“ entwickeln. 

Berufsrecht und Telemedizin – Der Knackpunkt der Fernbehandlung 

Das strenge Verbot der reinen Fernbehandlung bei telemedizinischem Handeln wurde schon auf dem 121. Deutschen Ärzte­tag durch eine Anpassung von § 7 Abs. 4 Musterberufsordnung Ärzte (MBOÄ) liberalisiert. Diese Liberalisierung war konsequent und zeitgemäß. Telemedizin stellt begrifflich die Erbringung einer medizinischen Leistung in den Bereichen Diagnostik und Therapie sowie der ärztlichen Entscheidungsfindung über räumliche Entfernungen oder zeitlichen Versatz hinweg unter dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien dar. Fernbehandlung wird als Situation verstanden, in der die Patientin oder der Patient oder für diesen ein Dritter, der Ärztin oder dem Arzt, Angaben über die Symptome und Beschwerden ausschließlich schriftlich oder über Kommunikationsmedien übermittelt, und die Ärztin oder der Arzt eine Diagnose stellt und/oder einen Behandlungsvorschlag unterbreitet, ohne die Patientin oder den Patienten gesehen oder persönlich untersucht zu haben. Diese räumliche Distanz wird mitunter als grundsätzliches Gefahrenmoment verstanden. 

Seit der Änderung der MBOÄ auf dem 121. Deutschen Ärztetag ist es nun möglich, im Einzelfall ohne persönlichen Erstkontakt eine Behandlung durchzuführen, wenn dies „im Einzelfall ärztlich vertretbar ist“. Mit diesen Einschränkungen wird deutlich, dass ein ärztlicher Beurteilungsspielraum besteht und zu Beginn einer Behandlung also zunächst geprüft werden muss, ob in diesem Einzelfall (patienten- und/oder krankheitsspezifisch) überhaupt eine reine Fernbehandlung im Betracht kommt. Daneben macht das Berufsrecht deutlich, dass der persönliche Kontakt der Goldstandard bleibt, im Einzelfall aber auch eine reine Behandlung über eine Distanz möglich ist. Für den Bereich der Videosprechstunde ist vollkommen klar, dass diese zulässig ist. Sie sollten aber im Vorfeld prüfen, welche Art von Krankheitsbildern bzw. Patientinnen und Patienten in der Videosprechstunde vorstellig werden.

Elektronische Patientenakte (ePA)

Einen Teil der Telemedizin stellt die ePA dar. Die ePA ist im Oktober 2020 mit dem Patientendatenschutzgesetz eingeführt worden. Mit ihr sollen Abläufe in Dia­gnostik und Therapie, der Austausch medizinischer Daten sowie die Kommunikation zwischen Patientin bzw. Patient und Leistungserbringern verbessert werden. Seit dem 1. Januar 2021 mussten die Krankenkassen die ePA bereitstellen. Seit Anfang 2022 sind die Zugriffsrechte auf die ePA erweitert worden. Ab dem Jahr 2023 müssen alle Daten im Sinne von § 341 Abs. 2 SGB V für die ePA verfügbar sein. Wichtig ist, dass durch die Nutzung der ePA nicht die primäre Behandlungsdokumentation nach § 630 f BGB ersetzt wird. Ambulant behandelnde Ärztinnen und Ärzte bleiben also losgelöst von der Nutzung der ePA berufs- und haftungsrechtlich verpflichtet, eine Behandlungsdokumentation anzu­fertigen, die die wesentlichen medizinischen Informationen abbildet. 

Elektronische Dokumentation und Beweiswert

Es stellt heute kein Novum mehr da, digital zu dokumentieren. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 27.04.2021 – VI ZR 84/19) gibt allerdings Anlass, dieses Thema kurz darzustellen. Der BGH hatte in dem streitigen Fall einer ambulanten augenärztlichen Behandlung über den Beweiswert einer elektronischen Dokumentation zu entscheiden. Allgemein gilt, dass einer ärztlichen Dokumentation bis zum „Beweis des Gegenteils“ zu Glauben ist. Der BGH hat dies in dem Urteil relativiert. Es wurde klargestellt, dass eine elektronische Dokumentation einen positiven und/oder negativen Indizwert nur noch dann beanspruchen könne, wenn diese elektronische Dokumentation eine fälschungssichere Organisation beinhalte. Die Softwarekonstruktion müsse also gewährleisten, dass nachträgliche Änderungen erkennbar seien. Hält eine ambulant genutzte Software diesen Standard nicht vor, so führt dies aber nicht per se dazu, dass die elektronische Dokumentation keinen Nutzen mehr hat. Es liegt dann vielmehr in der Beweissphäre der Praxis, die Richtigkeit des dokumentierten Inhalts nachzuweisen. Der bisher geltende Grundsatz zugunsten des Behandelnden, wonach „der Inhalt der Dokumentation als so zutreffend zugrunde zu legen ist“ gilt dann nicht mehr uneingeschränkt. 

Werbe- und Wettbewerbsrecht 

Der Liberalisierung im Berufsrecht folgte im Dezember 2021 ein Rückschritt der Rechtsprechung in die Steinzeit. Der BGH hat mit Urteil vom 09.12.2021 (I ZR 146/20) die Werbung für die ärztliche Fernbehandlung als weiterhin kritisch angesehen. Werbung für Telemedizin und damit korrespondierender Fernbehandlung kann gegen das Heilmittelwerberecht und somit auch gegen Wettbewerbsrecht verstoßen. Diese Werbung ist nun nicht per se unzulässig, sie ist aber rechtlich nur dann legitim, wenn im Vorfeld definiert wird, welche Krankheitsbilder betroffen sind und wenn feststeht, dass patientenspezifisch kein persönlicher Kontakt erforderlich ist, um den Facharztstandard einzuhalten. Da der Werbe­begriff des Heilmittelwerberechts sehr weit gefasst ist, sind Ärztinnen und Ärzte sowie Praxen gut beraten, im Vorfeld der Werbung für Fernbehandlungen zu prüfen, ob sie mit dem geltenden Werbe­verbot vereinbar ist. 

Telemonitoring bei Herzinsuffizienz 

Seit dem 1. Januar 2022 wurde mit der Änderung der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) „Methoden vertragsärztliche Versorgung“ die Versorgung von Patientinnen und Patienten mittels Telemonitoring als Regel­leistung etabliert. Erfasst werden Patientinnen und Patienten mit einer Herzinsuffizienz im Stadium NYHA II oder III mit einer EF < 40 %, die ein ICD*, CRT-P**, CRT-D** tragen oder im zurückliegenden Jahr wegen kardialer Dekompensation stationär behandelt wurden. Mit dieser Versorgungsform sind zwei neue Begriffe der medizinischen Leistungs­erbringung in die Versorgung aufgenommen worden, nämlich des (ärztlichen) Telemedizinzentrums (TMZ) und der primär behandelnde Arzt (PBA). Die Richtlinie sieht eine enge Kooperation zwischen TMZ und PBA vor. Der PBA ist stets für die leitliniengerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten zuständig, wohingegen das TMZ für die technischen Prozesse (wie Datenerfassung, Analyse, Sichtung und Benachrichtigung sowie Abstimmung mit dem PBA) zuständig ist. Beides sollte im Falle einer Kooperation durch einen Vertrag abgestimmt, definiert und geregelt werden. 

Zur Abrechnung des Telemonitorings sind neue Gebührenordnungspositionen (GOP) in den EBM aufgenommen worden. Leistungen des Telemonitorings werden extra­budgetär vergütet. Neu aufgenommen sind die Ziffern 03325, 03326 (Allgemein­ärztinnen und -ärzte, Praktikerinnen und Praktiker sowie Internistinnen und Internisten ohne Schwerpunkt), 13578, 13579 (Kardiologinnen und Kardio­logen) 13583, 13584, 13585, 13586, 13587 (TMZ). 

Teledermatologie-Leitlinie bei ambulanter Leistung

Seit Oktober 2020 existiert zur Registernummer 013-097, 2020 die S2k-Leitlinie „Teledermatologie“. Sie richtet sich in erster Linie an ambulante Leistungserbringer. Die Leitlinie definiert einzelne dermato­logische Krankheitsbilder, in denen der Einsatz von Telemedizin in unterschiedlichem Umfang als Empfehlung ausgesprochen wird. Die Leitlinie unterstreicht damit die zunehmende Bedeutung der Teledermatologie. Ziel der Leitlinie ist es, auf der Basis von Evidenzrecherchen und Expertenerfahrungen eine Bewertung der Teledermatologie bei häufigen dermato­logischen Erkrankungen vorzunehmen. 

Künstliche Intelligenz (KI) 

KI wird definiert als die Erforschung intelligenten Problemlösungsverhaltens sowie die Erstellung intelligenter Computersysteme. KI beschäftigt sich mit Methoden, die es einem Computer ermöglichen, solche Aufgaben zu lösen, die, wenn sie vom Menschen gelöst werden, Intelligenz erfordern. Spezielle gesetzliche Regelungen für KI existieren aktuell (noch) nicht, sodass bei dem Einsatz von KI auf die allgemeinen (medizinrechtlichen) Vorschriften zurückzugreifen ist. Hierbei ist insbesondere die Medical Device Regulation (MDR) zu erwähnen. Das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben im April 2021 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Rechtsvorschriften für KI vorgelegt. Mit ihr sollen die Risiken von KI identifiziert und Vertrauen geschaffen werden. Als erste jetzt schon ableitbare Faustformel gilt: Je höher das Risiko des Einsatzes künstlicher Intelligenz, desto strenger die Regeln. 

Datenschutz und IT-Sicherheit 

Die Anwendung von Telemedizin bringt immer Berührungspunkte des Datenschutzes und der IT-Sicherheit mit sich. Klar ist, die bei der Telemedizin verarbeiteten Daten sind personenbezogene Gesundheitsdaten, die im Datenschutz den höchsten Schutz genießen. Die einschlägigen Datenschutzvorschriften verlangen mit wenigen Ausnahmen (z. B. bei medizinischer Dringlichkeit oder zur Abrechnung) für die Verarbeitung solcher Daten (Anamnese, Diagnostik, Befunderhebung, Befundbesprechung mit externen Dritten, Rezeptausstellung, Datenübermittlung an Dritte etc.) die Zustimmung der Patientin bzw. des Patienten. Diese Zustimmung muss nicht (sollte aber aus Beweiszwecken) schriftlich eingeholt werden, aber zumindest als abgegeben dokumentiert werden. Sofern Cloud-Lösungen in der Praxis vorgehalten werden, sollte vorab immer eine Rücksprache zum Thema Datenschutz erfolgen. Speziell bei der Cloud verlangen viele Landesdatenschutzbeauftragte eine sogenannte Datenschutzfolgenabwägung. Für den IT-Bereich ist auf die einschlägigen Systeme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zu verweisen. Die IT-Sicherheitsrichtlinie der KBV hat zum 1. Januar 2022 Erweiterungen vorgeschrieben, die sowohl die Praxishomepage, einen möglichen Online-Terminkalender, eine Praxis-­Cloud sowie die Nutzung von Apps und Tablets betreffen.

Aktuelle Vergütung digitaler Leistungen

Telemedizinische Leistungen sind in mehrfacher Hinsicht im EBM abgebildet, sodass hier nur ein kompakter Überblick über die relevanten Ziffern gegeben werden soll: 

  • Bei der reinen Einholung einer telekonsiliarischen Befundbeurteilung ist die Ziffer 34800 relevant. 
  • Auf der Seite der Befundbeurteilung kommen die Ziffern 34810, 34820 sowie 34821 zum Tragen. 
  • Werden Videosprechstunden angeboten, so wird zunächst die Versicherten-, Grund- bzw. Konsiliarpauschale abgerechnet. 
  • Zuschläge sind nach den Ziffern 01450, 01451, 01444, 03040, 04040, 03060/03061, 06225 möglich. Weiter kommen die Ziffern 8822 (als Pseudo-­GOP), 37120, 37320, 01442, 30210, 30706, 30948 sowie 37400 zum Tragen. 
  • Werden Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) verordnet, so ist die Ziffer 01470 relevant.
  • Bei der Erstbefüllung der ePA, des elektronischen Medikationsplans und der Erstellung eines eRezepts können 10 € pauschal für die Erstbefüllung der ePA abgerechnet werden. 
  • Relevante Ziffern für die Aufnahme von weiteren Daten bzw. der Datenverarbeitung sind die 01641 und 01431. 

Auf der Seite der GOÄ werden folgende Ziffern angesetzt: 

  • GOÄ-Nr. 1: Beratung per Video; Nr. 1 analog bei Beratung per E-Mail
  • GOÄ-Nr. 2 analog: Rezeptausstellung, Überweisung, Befundübermittlung durch MFA
  • GOÄ-Nr. 3: Beratung per Video mindestens 10 Minuten
  • GOÄ-Nr. 5 analog: Visuelle symptomatische klinische Untersuchung mittels Videoübertragung
  • GOÄ-Nr. 60 originär oder ggf. analog: Konsil per Video
  • GOÄ-Nr. 70 analog: Erstellung oder Aktualisierung und ggf. elektronischer Versand eines Medikationsplans
  • GOÄ-Nr. 76 analog: Verordnung und ggf. Einweisung in Funktionen bzw. Handhabung sowie Kontrolle der Messungen zu DiGA
  • GOÄ-Nr. 661 analog: Telemetrische Funktionsanalyse
 

 

Ausblick

Der Einsatz von Telemedizin in der ambulanten Versorgung ist facettenreich, interdisziplinär und zwar sowohl vertikal als auch horizontal möglich. Die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen sind ein gutes Basiswerk, um digitale Medizin zu praktizieren. Telemedizin ist insgesamt eingebettet in einen dynamischen Prozess der Digitalisierung, der einem stetigen Wandel unterliegt. Der hiesige Beitrag stellt nur einen kleinen Überblick dieses dynamischen Wandels dar. Im Mai 2021 haben die KBV und weitere KVen das Konzept „KBV 2025“ veröffentlicht, mit dem die Möglichkeiten, Chancen und Ziele der digitalisierten Patientenversorgung vorgestellt werden. Einen wesentlichen Schwerpunkt stellt hierbei die telemedizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten dar.

Auf einen Blick

  • Abgesehen von der Nutzung der ePA, sind Sie berufs- und haftungsrechtlich verpflichtet, eine Behandlungsdokumentation anzufertigen, die die wesentlichen medizinischen Informationen abbildet.
  • Achten Sie bei der elektronischen Dokumentation darauf, dass Sie Software verwenden, die nachträgliche Änderungen kenntlich macht.
  • Prüfen Sie im Vorfeld, welche Art von Krankheitsbildern bzw. Patientinnen 
  • und Patienten in der Videosprechstunde behandelt werden können.
  • Definieren Sie vor Fernbehandlungen, um welche Krankheitsbilder es geht und prüfen Sie, dass patientenspezifisch kein persönlicher Kontakt erforderlich ist. 
  • Prüfen Sie vorab, ob die Werbung für Fernbehandlungen mit dem geltenden Werbeverbot vereinbar ist.
  • Holen Sie vor der Nutzung telemedizinischer Anwendungen die Zustimmung der Patientin oder des Patienten ein. Diese sollte aus Beweiszwecken schriftlich eingeholt werden, zumindest aber als abgegeben dokumentiert werden. 
  • Beabsichtigen Sie Cloud-Lösungen in der Praxis zu nutzen, sprechen Sie mit den Patientinnen und Patienten vorab über den Datenschutz. Hierzu braucht es ggf. eine Datenschutzfolgenabwägung.
 

 

*ICD: implantierbarer Kardioverter Defibrillator 
**CRT-Systeme (Geräte zur kardialen Resynchronisationstherapie): 
CRT-P: reines Schrittmachersystem
CRT-D: mit zusätzlicher Defibrillatorfunktion

Frank Sarangi, LL.M.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht 
Lehrbeauftragter der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten Herdecke
Lehrbeauftragter der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf
Kanzlei am Ärztehaus, Köln Marienburg
Oberländer Ufer 174, 50968 Köln
f.sarangi@kanzlei-am-aerztahaus.de 
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Interessiert an neuen Fortbildungen oder Abrechnungstipps?

Abonnieren Sie unseren Infoletter.
 

Zur Infoletter-Anmeldung

x
Newsletter-Anmeldung