Verordnung während stationärem Aufenthalt – auf das Verschulden kommt es an

Regresse sind gefürchtet. Die meisten Ärztinnen und Ärzte werden hierbei an Regresse nach einer Plausibilitäts- oder Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) denken. Es kann aber auch zu einem Regress kommen, wenn eine gesetzliche Krankenkasse gegenüber der Prüfeinrichtung der KV einen sogenannten „sonstigen Schaden“ geltend macht, weil eine Vertragsärztin oder ein Vertragsarzt eine Verordnung ausstellt, während die Patientin bzw. der Patient sich in stationärer Behandlung befindet. Hier lohnt es sich, die rechtlichen Vorgaben für einen solchen Regress zu kennen.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses in der Regel alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung notwendig sind, hierzu gehören insbesondere auch Arzneimittel. Medikamente, die für die Versorgung im Krankenhaus nötig sind, gehören damit zu den Krankenhausleistungen und sind mit der Vergütung des Aufenthalts abgegolten. Unerheblich ist, ob ein Medikament der Behandlung der Krankheit dient, aufgrund derer sich die Patientin bzw. der Patient in stationärer Behandlung befindet, oder aus anderen Gründen verordnet wird. Nach der Rechtsprechung umfasst die Gesamtleistung, zu der ein Krankenhaus verpflichtet ist, sogar das Stellen von Arzneimitteln zur Behandlung von Krankheiten, für die das Krankenhaus über keine Fachabteilung verfügt (so etwa entschieden für die Gabe eines Medikaments zur Behandlung eines metastasierenden Prostatakarzinoms, obwohl das Krankenhaus weder über eine onkologische, noch über eine urologische Fachabteilung verfügte).

Schaden der Kasse bei vertragsärztlicher Verordnung während des stationären Aufenthalts

Da auch die Kosten für Medikamente der Patientin bzw. des Patienten mit der Krankenhausvergütung abgegolten sind, führt die Verordnung eines Medikaments durch eine niedergelassene Ärztin oder einen niedergelassenen Arzt während des stationären Aufenthalts zu zusätzlichen Kosten der Krankenversicherung, sobald das Rezept in der Apotheke eingelöst wird. Diese zusätzlichen Kosten sollen durch das Verbot vertragsärztlicher Parallelbehandlung und Verordnung während des stationären Krankenhausaufenthalts verhindert werden. Wenn eine niedergelassene Ärztin oder ein niedergelassener Arzt während des stationären Aufenthalts eine Verordnung ausstellt, für die die Krankenversicherung gegenüber der Apotheke die Kosten zu tragen hat, entsteht der Versicherung ein sogenannter „sonstiger Schaden“ nach § 48 Abs. 1 Bundesmantelvertrag – Ärzte (BMV-Ä).

Ausgenommen von dem Verbot paralleler vertragsärztlicher Behandlung während der stationären Behandlung im Krankenhaus ist nur die Dialyse nach § 2 Abs. 2 Satz 3 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG).

Der Schadensersatzanspruch ist verschuldensabhängig

Der gesetzlichen Krankenversicherung ist in einem solchen Fall zwar ein Schaden entstanden, der Anspruch auf Schadensersatz gegen die verordnende niedergelassene Ärztin oder den verordnenden niedergelassenen Arzt setzt aber zusätzlich ein Verschulden voraus (anders als z. B. der Regressanspruch nach einer Wirtschaftlichkeitsprüfung). Die verordnende Vertragsärztin bzw. der Vertragsarzt muss sich also mindestens fahrlässig verhalten haben, das heißt für einen Regressanspruch muss sie bzw. er entweder gewusst haben, dass die Patientin bzw. der Patient sich in stationärer Behandlung befindet, oder sie bzw. er hätte dies wissen können.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gibt es keine generelle Verpflichtung einer Vertragsärztin oder eines Vertragsarztes sich vor Ausstellung einer Arzneimittelverordnung zu vergewissern, dass die Person, für die die Verordnung bestimmt ist, sich nicht in stationärer Behandlung befindet. Sofern aber konkrete Anhaltspunkte für einen stationären Krankenhausaufenthalt der Patientin bzw. des Patienten vorliegen, kann eine Ärztin oder ein Arzt gehalten sein, dies vor einer Verordnung abzuklären.
 

Höhe des Schadensersatzes
Hat eine Vertragsärztin bzw. ein Vertragsarzt während eines stationären Krankenhausaufenthalts der Patientin bzw. des Patienten für diese(n) eine Verordnung ausgestellt und ist ihr bzw. ihm ein Verschulden vorzuwerfen, wird sie bzw. er für die der Krankenkasse entstandenen Kosten, d. h. die Kosten der Verordnung abzüglich eines eventuellen Rabatts und Eigenanteils, schadensersatzpflichtig. Sie bzw. er kann sich nach der Rechtsprechung nicht darauf berufen, dass bei ordnungsgemäßer, der ärztlichen Verordnung entsprechender Einnahme, nur ein Teil des Medikaments während des stationären Aufenthalts verbraucht worden wäre. Es ist unerheblich, dass die Verordnung nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in einem Zeitraum verwendet wird, der wieder in die ambulante vertragsärztliche Versorgung fällt. Rechtlich spricht man hier vom normativen Schadensbegriff; der tatsächliche Schaden ist insofern irrelevant.

 

Keine allgemeine Nachforschungspflicht bei Abholung der Verordnung durch Angehörige

Allgemein begründet nicht schon der Umstand allein, dass eine Patientin oder ein Patient nicht selbst in der Praxis erscheint und etwa ein Verwandter die Verordnung abholt, eine Nachforschungspflicht der Ärztin bzw. des Arztes. § 15 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BMV-Ä ermöglicht es einer Vertragsärztin bzw. einem Vertragsarzt, auch ohne persönlichen Kontakt mit der Patientin bzw. dem Patienten eine Verordnung auszustellen, wenn der Krankenzustand der Patientin bzw. des Patienten aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Gerade bei älteren Patientinnen und Patienten ist es typisch, dass Angehörige Rezepte für Dauermedikationen abholen.

Für eine Nachforschungspflicht müssen weitere Umstände hinzutreten

Dass ein Angehöriger eine Verordnung abholt oder auch anfordert, begründet alleine also keine Nachforschungspflicht der Ärztin bzw. des Arztes; eine solche kann sich aber aus weiteren Umständen ergeben.

Eine solche Pflicht zur Nachforschung zum Aufenthaltsort der Patientin bzw. des Patienten sah beispielsweise das Landes­sozialgericht Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 02.02.2022, Az. L 3 KA 57/19) als erfüllt an, wenn sich aus der Patientenakte in einer Berufsausübungsgemeinschaft ergab, dass der Patient sich elf Tage vor der Verordnung noch in stationärer Krankenhausbehandlung befunden hat. Der niedergelassene Arzt durfte in diesem Fall nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass der Patient bereits entlassen war, sondern hätte gezielt nachfragen müssen.

Das Sozialgericht Mainz (Urteil vom 28.04.2021, Az. S 7 KA 50/19) verlangte im Fall einer von einer Angehörigen abgeholten Verordnung über Betäubungsmittel für einen palliativ behandelten Patienten eine solche Nachforschung vom verordnenden Vertragsarzt. Bei der Verschreibung von Betäubungsmitteln bestünden besondere Sorgfaltspflichten. Zudem sei im letzten Behandlungsabschnitt einer tödlich verlaufenden Erkrankung jederzeit mit einer Aufnahme ins Krankenhaus zu rechnen.

Stutzig und daher zur Nachforschung veranlasst sollte ein Vertragsarzt nach einem Urteil des BSG (Beschluss vom 30.09.2020, Az. B 6 KA 26/19 B) auch dann werden, wenn eine Verordnung von der Ehefrau des Patienten angefordert und abgeholt wird, die der Arzt erst 15 Tage zuvor als Vier-Wochen-Vorrat verordnet hatte.

Empfehlung
Um sich schon von vorneherein nicht mit solchen Verfahren auseinandersetzen zu müssen, ist ein System des Risikomanagements zu empfehlen:  
Immer dann, wenn eine Patientin oder ein Patient, die bzw. der sonst selbst in die Praxis kommt, ein Rezept nicht selbst abholt, sollte grundsätzlich nach dem Aufenthaltsort gefragt werden. Gleiches gilt, wenn Betäubungsmittel verschrieben werden. Aber auch bei Patientinnen und Patienten, die regelmäßig (Nicht-BtM-)Verordnungen von Dritten abholen lassen, sollte besonders auf weitere Hinweise (z. B. in der Krankenakte), die eine stationäre Behandlung möglich erscheinen lassen, geachtet und im Zweifel nachgefragt werden. Sofern die Patientin bzw. der Patient sich in stationärer Behandlung befindet, muss die Verordnung dann verweigert werden. Sofern Mitarbeitende mit dem Rezeptmanagement betraut sind, sollten auch diese zur Nachfrage in Zweifelsfällen instruiert werden.

 

Sven Rothfuß
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei am Ärztehaus
Oberländer Ufer 174
Köln-Marienburg
50968 Köln
s.rothfuss@kanzlei-am-aerztehaus.de
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Interessiert an neuen Fortbildungen oder Abrechnungstipps?

Abonnieren Sie unseren Infoletter.
 

Zur Infoletter-Anmeldung

x
Newsletter-Anmeldung