Wirtschaftsjahr 2020 in den Arztpraxen unter dem Zeichen der Pandemie

In den vergangenen Jahren wurde der wirtschaftliche Erfolg einer Arztpraxis von den Gebührenordnungen, dem Praxisleistungsspektrum und dem persönlichen Engagement des Praxisinhabers bestimmt. Der am 16. März 2020 verordnete bundesweite und derzeit andauernde Lockdown hat nun erstmalig in einer neuen Dimension Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Abläufe der Praxen genommen. Während bis heute nahezu alle Branchen mit den Verordnungen zur Geschäftsschließung, Produktionsdrosselung und mit internen Sicherheitsauflagen zu kämpfen haben, war die ambulante Heilbehandlung davon weitestgehend ausgenommen. Wie haben sich die ärztlichen Leistungen und Umsätze im Wirtschaftsjahr 2020 entwickelt?

Wie sich die flankierenden gesetzlichen Maßnahmen, das Engagement des Praxisinhabers und die praxisinternen Umstellungen auf den wirtschaftlichen Erfolg ausgewirkt haben, hat die Heilberufeberatung Nilaplan jetzt anhand von finanzwirtschaftlichen Auswertungen des Wirtschaftsjahres 2020 und einer Befragung der Mandanten analysiert. 
Für alle Praxen galt, dass die Verunsicherung der Patienten im März und April 2020 zu erheblichen Fallzahlrückgängen führte, da GKV- und Privatpatienten gleichermaßen Termine absagten oder vereinbarten Terminen einfach fernblieben (s. Tab. 1 und 2). Erst ab Anfang Mai 2020 stiegen die Patiententermine merklich wieder an. Aktuell erreichen die Patientenzahlen wieder das Niveau der Vorjahresquartale. Da gesetzgeberisch flankierende Maßnahmen bis dato noch nicht bekannt waren, ergriff die niedergelassene Ärzteschaft mit Beginn des Lockdowns Sofort- und Vorsichtsmaßnahmen. Diese lassen sich in sechs Punkte kategorisieren:
 

Tab. 1: GKV-Fallzahlentwicklung im Jahr 2020

Monat

Ø Vorquartale

2020

 

2019

I.

II.

III.

IV.

1

45 %

45 %

25 %

30 %

40 %

2

35 %

35 %

20 %

27 %

25 %

3

20 %

6 %

10 %

12 %

20 %

Fallzahl

100 %

86 %

55 %

69 %

85 %

 

 

Tab. 2: Fallzahlentwicklung bei Privatpatienten im Jahr 2020

Monat

Ø Vorquartale

2020

 

2019

I.

II.

III.

IV.

1

33 %

33 %

33 %

10 %

29 %

2

33 %

33 %

20 %

25 %

30 %

3

33 %

33 %

5 %

20 %

25 %

Fallzahl

100 %

100 %

58 %

55 %

84 %

 

1. Sprechzeiten/Digitalisierung

Da Patienten der Praxis fernblieben, wurden ab März 2020 vielfach Sprechzeiten gekürzt. Erst durch proaktive Kontaktaufnahme seitens der Praxismitarbeiter und Ärzte mit den Patienten konnten Termine in die vorerst reduzierten Sprechstunden verlegt werden oder z. B. Befundbesprechungen digital abgehalten werden. Je aktiver die Marketingmaßnahmen ergriffen und angepasste Abläufe sowie Sicherheitsmaßnahmen kommuniziert wurden, umso schneller wurden die Terminbücher wieder gefüllt. Allerdings waren dafür ungeplante und kurzfristige Investitionen in die Praxisadministration und EDV-Technik erforderlich. 

2. Kurzarbeit

Die Beantragung von Kurzarbeit ist wohl einmalig in der Geschichte von Arztpraxen, sie hat sich aber insbesondere im März und April 2020 als Sofortmaßnahme bewährt. Nach der erfolgreichen Umstrukturierung der Praxisabläufe sowie ihrer Konzepte haben sich die Kurzarbeitsanträge im Mai und Juni halbiert. Ab Juli 2020 kamen sie nur noch in wenigen Einzelfällen vor.

3. Soforthilfe

Die Soforthilfen für Unternehmen zwischen 9.000 bis 25.000 € wurden von einigen Arztpraxen beantragt und unbürokratisch ausgezahlt. Erst im Sommer 2020 wurde der Anspruch auf diese Förderung so definiert, dass sie nur dann gewährt wurde, wenn ein Praxisinhaber in einem 3-Monats-Zeitraum um das Auszahlungsdatum einen Liquiditätsengpass nachweisen konnte. Da in dem genannten Zeitraum die KV-Abschlagszahlungen unverändert ausgezahlt wurden, die Privatumsätze nachgelagert auf den Konten der Praxen eingingen und der Ansatz eines anrechenbaren Unternehmerlohnes auf 2.000 € p. m. begrenzt war, musste die Soforthilfe ausnahmslos zurückgezahlt werden. Damit ist diese Maßnahme lediglich als zusätzlicher Verwaltungsaufwand zu betrachten.

4. Rettungsschirm

Von Beginn an zeigte sich, dass insbesondere die GKV-Patienten Wiedereinbestellungsterminen für Kontrolluntersuchungen fernblieben und weitere extrabudgetäre Leistungen entfielen. Laut Gesetz steht die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) für Kassenpatienten unabhängig von der angeforderten Leistungsmenge zur Verfügung. Davon profitierten Praxen mit reduzierter Leistungsvergütung wie auch Praxen mit unveränderten Leistungsanforderungen. Forderten Praxen weniger als 90 % der Leistungsmenge des Vorjahresquartals an, erhielten Sie mit der Restzahlung für das II. und III. Quartal 2020 eine Ausgleichzahlung. Da die Gesamtheit der Arztpraxen eine geringere Leistungsmenge in diesem Zeitraum anforderte, erhöhte sich die Vergütung je Leistungspunkt. 

Damit kann unterstellt werden, dass im Bereich der GKV-Vergütung für Vertragsärzte nur geringe Umsatzveränderungen stattgefunden haben.
Zwar haben sich die Fallzahlen derzeit nahezu wieder auf dem Vorjahresniveau eingependelt, da jedoch die Wiedereinbestellungstermine weiterhin nur in geringerem Umfang wahrgenommen werden, wäre es wünschenswert die Vereinbarungen des Rettungsschirmes fortzusetzen.

5. Liquiditätsplanung

Da in den ersten zwei Monaten nach Beginn der Pandemie die Verunsicherung der Praxisinhaber ebenso groß war, wie die der Patienten, ergriffen sie Maßnahmen zur Liquiditätssicherung. Entweder durch Erhöhung der Betriebsmittelkredite, Umschuldungen und Kreditaufnahmen oder Erhöhung des Eigenkapitals der Praxis aus privatem Vermögen. Ebenfalls wurden fast ausnahmslos Anträge auf Stundung von Steuernachzahlungen und Herabsetzung der Steuervorauszahlungen gestellt.

6. Kostenrechnungen

Praxen mit einer detaillierten Aufschlüsselung der Umsätze und zurechenbaren Kosten konnten eine Ertragsrechnung durchführen und ihr Leistungsangebot anpassen. 

Aus der Summe der Maßnahmen lässt sich bis hierhin ableiten, dass der Lockdown auf die Umsätze der überwiegend von GKV-Patienten geprägten Praxen geringen wirtschaftlichen Einfluss hatte. Dennoch hat sich im Wirtschaftsjahr 2020 bei einer Reihe von Praxen ein GKV-Umsatzrückgang von bis zu 25 % bemerkbar gemacht. Dies gilt insbesondere für Arztpraxen mit hohen Akupunkturumsätzen. Da ab dem III. Quartal 2019 die Voraussetzungen zur Abrechnung von Akupunkturen über die Krankenkassen angepasst wurden, haben viele Ärzte diese Leistungen ab dem III. Quartal weitestgehend ausgesetzt. Das führte im Januar und April 2020 dazu, dass die KV-Restzahlungen des III. und IV. Quartals 2019 gering ausfielen oder Rückzahlungen verrechnet wurden. Betroffene Praxen müssen diesen Umsatzverlust realisieren. 

Anders als GKV-Praxen sind Praxen mit hohem IGeL-Umsatz zu betrachten. Mit Beginn des Lockdowns waren hier überproportional hohe Terminabsagen und Umsatzrückgänge zu verzeichnen. Die Rückgewinnung der Privatpatienten dauerte erheblich länger als die der GKV-Patienten und erforderte aktive Maßnahmen der Praxisinhaber. Dazu gehörten zum Beispiel neu geschaffene, auf der Kostenrechnung basierende Leistungsangebote und -ketten, die Umstrukturierung der Praxisabläufe und Terminvergaben und ein zielgerichtetes Praxismarketing. Wer dies verinnerlicht und im vergangenen Jahr umgesetzt hat, konnte den Umsatzverlust des II. Quartals 2020 nicht nur kompensieren, sondern die Umsätze sogar ausbauen.

Nach unseren Praxisvergleichen ergaben sich in den Privatumsätzen Rückgänge ebenso wie Steigerungen um 20 % gegenüber den Vorjahren. 

Fazit

Aufgrund der sehr individuellen Praxisgestaltungen, den unterschiedlichen Entwicklungen der Praxen in den vergangenen Jahren und sicherlich auch aufgrund der Individualität jedes einzelnen Praxisinhabers, stellen sich die Praxisumsätze, -kosten und steuerlichen Ergebnisse sehr unterschiedlich dar. Zusammenfassend kann man allerdings feststellen, dass die Ertragsseite nicht durch geringere GKV-Umsätze beeinträchtigt wurde, sondern vielmehr von der Bereitschaft der Praxisinhaber, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Der Lockdown bietet die Chance vorhandene Ressourcen Ihrer Praxis zu finden, diese zu nutzen und langfristig die Wertschöpfung zu erhöhen.

Hubertus Freiherr von Loe
nilaplan – Unternehmensberatung für Heilberufe GmbH
Belfortstr. 9, 50668 Köln
0221 –30239758
info@nilaplan.de

www.nilaplan.de

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