„The King with the Fiery Face”: König Feuergesicht

Friedrich Bahmer. Jakob II (1430 bis 1460), König von Schottland zur Zeit des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich, litt an einem Naevus flammeus der linken Gesichtshälfte. François Villon (1431 bis 1463?), dichtender und vagabundierender französischer Zeitgenosse, erwähnt das Feuermal in seinem „Testament“, einem Spottgedicht auf Prominente seiner Zeit.

Zitierweise: HAUT 2023;34(6):304-305.

In seinem bekannten „Testament“, im Kapitel „Ballade der großen Herren von einst“, lässt François Villon (1431 bis 1463?) zahlreiche berühmte Häupter seiner Zeit Revue passieren, wobei er jede Strophe mit dem Vers: „Wo ist Carolus Magnus denn?“ schließt9. Die Verse über „le roi Scotiste“ (den schottischen König) finden sich in der 11. Strophe seines Testaments.

Mit dem „zinnoberroten Halbgesicht“ ist James (Jakob) II (1430 bis 1460) gemeint, König der Schotten von 1437 bis zu seinem frühen Tod im Alter von 30 Jahren7. James II litt seit seiner Geburt an einem Feuermal der linken Gesichtshälfte, das seinen dichtenden Zeitgenossen Villon in Frankreich zu dessen Strophe im „Testament“ inspirierte. Bereits seit Mitte des 14. Jahrhunderts setzten sich England und Frankreich im „Hundertjährigen Krieg“ (1339 bis 1453) auseinander. Dieser Krieg erreichte 1429 seinen Höhepunkt, als es Jeanne d’Arc gelang, mit ihrem Heer Orléans zu erobern3. Es ist anzunehmen, dass Villon recht gut über die Geschehnisse in England und in Schottland Bescheid wusste.

Zeitgenossen urteilten: Feuermal bedingt feuriges Temperament

Sein auffälliges Feuermal brachte James II den Beinamen „King with the fiery face“ ein. Auf zeitgenössischen Abbildungen ist der Naevus flammeus auf seiner linken Gesichtshälfte deutlich zu sehen (Abb. 1), besonders eindrucksvoll auf Georg (Jörg) von Ehingens Gemälde7.

Als James 6 Jahre alt ist, wird sein Vater ermordet und James wird sein designierter Nachfolger, war doch sein älterer Zwillingsbruder Alexander Stewart, der eigentliche Thronerbe, noch im Säuglingsalter verstorben. Da James erst als Erwachsener die Regierungsgeschäfte übernehmen darf, wird er von seiner Mutter und deren Getreuen vertreten, bis er 1446 offiziell König James II wird. Kurz darauf heiratet er und wird Vater von 7 Kindern.

Im Volk ist James II populär, er gilt als fähig, obwohl auch ihm nicht alles gelingt und sein ambitioniertes Vorhaben scheitert, die Orkneys, Shetland und die Isle of Man unter schottische Herrschaft zu bringen. Die Historiker beschreiben James II, wie schon seinen Vater, als rastlos – eine Eigenschaft, die Zeitgenossen auf ein dem Feuermal entsprechendes „feuriges Temperament“ zurückführen. Seine jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem rivalisierenden schottischen Douglas-Clan enden erst, als er William, den 8. Earl of Douglas, im Jahr 1452 eigenhändig ermordet7. James II stirbt, als bei der Belagerung des von den Engländern besetzten Roxburgh Castle eine Kanone explodiert. Diese Begebenheit lässt die Schriftstellering Margaret J. Anderson in ihrer Erzählung „In the keep of time“ einen ihrer jugendlichen Protagonisten auf dessen Zeitreise in die Vergangenheit erleben1.

Naevus flammeus oder gar Sturge-Weber-Syndrom?

Original
„Semblablement, le roi Scotiste 
Qui demi face ot, ce dit on, 
Vermeille comme une amathiste
Depuis le front jusqu’au menton“5

in der gereimten Übertragung von Carl Fischer9
„Dann auch des Schottenkönigs Schritte, 
das Halbgesicht, man hört davon, 
zinnoberrot bis in die Mitte,
vom Kinn bis Stirn ein Feuerlohn“.

Naevi flammei sind eine recht häufige pränatale Störung, ausgelöst durch eine Mutation der Endothelzellen im betroffenen Bereich. Diese Gefäßfehlbildungen treten an allen Körperstellen auf, bevorzugt an der Gesichtshaut. Die Ursache dafür ist unbekannt. Eine Sonderform des zentrofazialen Naevus flammeus ist das Sturge-Weber-Syndrom, bei dem nicht nur die Haut, sondern auch Auge und Zentralnervensystem von Gefäßfehlbildungen betroffen sind. Diese Patienten entwickeln oft, in der Regel nach dem 40. Lebensjahr, eine Epilepsie5. Ob James II an einem Sturge-Weber-­Syndrom gelitten hat, wissen wir nicht, ist er doch nur 30 Jahre alt geworden – ein Alter, in dem sich die angiomatösen Umwandlungen des Zentralnervensystems noch nicht manifestieren.

Naevi flammei, vor allem die des Gesichts, können durch ihre entstellende Wirkung psychische Störungen bewirken6. Meist handelt es sich bei diesen Störungen um Depression, Angst und Soziophobie, nicht um nach außen gerichtete Aggression. Nicht bekannt ist, welche Wirkung die prominente Veränderung im Gesicht von James II auf seine Zeitgenossen hatte. Vielleicht machte ihn dieses Mal „nur immer unberührter“ und war eine Art „neuer Würde“, wie dies Rilke in seinem Gedicht über Balduin IV, leprakranker König von Jerusalem gegen Ende des 12. Jahrhunderts, formuliert hat2,8.

Ein krimineller Dichter

Um François Villons Leben ranken sich viele Legenden. Wohl 1431 in Paris geboren, studiert er dort an der Kunstakademie bis 1452. Ein weiterführendes Studium bricht er ab und gerät auf die schiefe Bahn. Nachdem er bei einem Streit einen Kontrahenten getötet hat, flieht er aus Paris, kehrt aber wenige Jahre später zurück, begnadigt von König Karl VII. Kurz darauf wird er erneut straffällig – mit Komplizen raubt er den Tresor einer Kapelle aus – und flüchtet wieder aus Paris. Wenig später wird er in Blois wegen eines bislang unbekannten Vergehens zum Tode verurteilt, aber in letzter Minute durch eine Amnestie gerettet. Erneut verschwindet er für einige Jahre von der Bildfläche, um erst im Herbst 1461 wieder aufzutauchen, jetzt als Gefangener des Bischofs von Orléans. Erneut freigelassen, hält er sich in Paris oder – wegen des Einbruchsdiebstahls – in der Umgebung von Paris auf, wo er etwa 1462 sein „Testament“ beendet. Er wird erneut straffällig und deshalb Ende 1462 wieder einmal zum Tode verurteilt. Anfang 1463 wird das Urteil in 10 Jahre Verbannung aus Paris und aus der Grafschaft umgewandelt. Ab diesem Zeitpunkt verliert sich Villons Spur4

Literatur

1. Anderson MJ. In the Keep of Time. Lychgate Press, Partners West, Bellingham, Washington 2016.
2. Bahmer FA: Balduin IV., leprakranker König Jerusalems. derm 2020;26:61-65.
3. Der Große Ploetz. Auszug aus der Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. 31. Auflage, Verlag Ploetz Freiburg und Würzburg 1991.
4. Francois Villon. https://fr.wikipedia.org/wiki/Fran%C3%A7ois_Villon (letzter Zugriff am 7.10.2023).
5. Fritsch P, Schwarz Th. Erbliche Krankheiten der Haut. In: Fritsch P, Schwarz Th: Dermatologie Venerologie. Grundlagen. Klinik. Atlas. Springer-Verlag, Berlin 2018.
6. Harth W, Gieler U. Psychosomatische Dermatologie. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2006.
7. James II of Scotland. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=James_II_of_Scotland&oldid=1176186935 (letzter Zugriff am 7.10.2023).
8. Rilke RM. Die Gedichte. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2006.
9. Villon F. Sämtliche Werke. Zweisprachige Ausgabe. Herausgegeben und übersetzt von Carl Fischer. 3. Auflage. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2007.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Friedrich Bahmer
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