Volkskrankheit Depression – Welche Rolle spielt der Biofaktor Vitamin B12?

Etwa 20 von 100 Menschen erkranken in ihrem Leben mindestens einmal an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung – so das Bundesministerium für Gesundheit. Neben klassischen Methoden wie Psychotherapie und Anti­depressiva deuten wissenschaftliche Untersuchungen auch auf einen potenziellen Nutzen des Biofaktors Vitamin B12 hin.

Bei depressiven Patientinnen und Patienten kann ein erniedrigter Vitamin-B12-Serumspiegel nachgewiesen werden – auch wenn die Anzahl verfügbarer Studien bisher gering ist und die Ergebnisse nicht immer homogen sind.1 Beispielsweise wiesen depressive Probandinnen und Probanden, insbesondere diejenigen mit schwerer Depression, einen niedrigeren Vitamin-B12-­Serumspiegel und einen signifikant höheren Methylmalonsäurespiegel – ein Marker für einen intrazellulären Vitamin-B12-Mangel im Serum – im Vergleich zu nicht depressiven Probandinnen und Probanden auf. Nach Bereinigung um soziodemografische Merkmale und Gesundheitszustand waren die Probandinnen und Probanden mit Vitamin-B12-Defizit mehr als doppelt so häufig höhergradig depressiv als nicht defiziente Probandinnen und Probanden.2 Auch eine aktuelle Studie von 20203 – interessanterweise an Kindern und Jugendlichen durchgeführt – zeigte, dass ein Vitamin-B12-Mangel zur Ätiopathogenese einer Depression beitragen kann.

Allerdings wird insgesamt eher bei älteren Menschen mit Vitamin-B12-Mangel ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression beobachtet.4 Und laut Studien sind rund ein Drittel der über 65-Jährigen nicht optimal mit dem Biofaktor versorgt. Zudem steigt mit zunehmendem Alter die Gefahr für einen Vitamin-B12-Mangel: Bei den 85- bis 93-Jährigen sind es 37,6 %5, bei Seniorinnen und Senioren in stationären Pflegeheimen sogar 40 %.6

„Bei Patienten mit Depressionen oder chronisch depressiven Verstimmungen sollte daher der Vitamin-B12-Status anhand von Anamnese, klinischer Symptomatik und Labordiagnostik überprüft werden, um einen eventuellen Mangel zu erkennen und gezielt auszugleichen“, empfiehlt Prof. Karlheinz Reiners, Neurologe und Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB).

Diese Symptome können auf ein Vitamin-B12-Defizit hinweisen

Neben unspezifischen Beschwerden7 wie Erschöpfung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen können sich die aufgrund eines Vitamin-B12-Mangels auftretenden Störungen der Erythropoese und die neurologischen Folgen bei zu später Diagnosestellung auch zu schwerwiegenden Erkrankungen wie der hyperchromen Anämie und der funikulären Myelose mit Neuropathie entwickeln.8,9 Ebenfalls sind zerebrale Störungen mit Verwirrtheit, Gedächtniseinbußen, Aufmerksamkeitsdefizitstörungen, Stupor, Psychosen und Demenz möglich.10,11

Vitamin-B12-Supplemente bei Depression hilfreich?

Eine Meta-Analyse randomisierter, placebokontrollierter Studien konnte nachweisen, dass eine Behandlung über einen kurzen Zeitraum von einigen Tagen bis Wochen mit Vitamin B12 – und Folsäure – die Schwere depressiver Symptome zwar noch nicht verringern konnte, aber bei der langfristigen Behandlung hilfreich sein kann.12 Und eine in 2020 durchgeführte Analyse zahlreicher Studien13 zeigte, dass eine frühzeitige orale Supplementierung mit dem Biofaktor Vitamin B12 den Beginn einer Depression verzögern und die Wirkung von Antidepressiva verbessern kann. Letztgenannte Aussage konnte bereits in früheren Studien bestätigt werden: Vitamin-B12-Supplemente lassen depressive Patienten besser auf Anti­depressiva wie SSRI reagieren.14

Laborwerte bestätigen Verdacht auf Vitamin-B12-Mangel15

  • Gesamt-Vitamin-B12-Serumspiegel: Normbereich ca. 200–1.000 ng/l
  • Serumspiegel < 200 ng/l: Vitamin-B12-Mangel bestätigt
  • Serumspiegel 200–400 ng/l: Holo­transcobalamin (Holo-TC) messen
  • Holo-TC-Serumspiegel < 35 pmol/l: Vitamin-B12-Mangel bestätigt
  • Holo-TC-Serumspiegel 36–55 pmol/l: Methylmalonsäure (MMA) und/oder Homocystein messen
  • MMA-Serumspiegel > 300 nmol/l bzw. > 0,4 µmol/l und Homo­cystein-Serumspiegel > 10 µmol/: Vitamin-B12-Mangel bestätigt

 

Biofaktor gezielt supplementieren

Methylmalonsäure kann bei eingeschränkter Nierenfunktion ebenfalls erhöht sein, während auch ein Defizit an Folsäure und Vitamin B6 den Homocysteinspiegel erhöhen kann. „Bleibt der Vitamin-B12-Status nach der Blutuntersuchung weiterhin unklar, ist aufgrund der guten Verträglichkeit eine Supplementierung sinnvoll, deren Erfolg anhand der Besserung der Symptome und der geänderten Laborparameter verifiziert werden kann“, so Reiners. Selbst bei Patientinnen und Patienten mit Resorptionsstörungen kann durch hochdosierte orale Gabe ein Vitamin-B12-Mangel ausgeglichen werden – unabhängig vom Intrinsic-Faktor durch passive Diffusion.16 Zudem zeigt sich eine orale Hochdosistherapie von 1.000–2.000 µg Vitamin B12 bei Resorptionsstörungen besser verträglich als eine i. m.-Injektion.17,18
 

Literatur

1 Elstgeest LEM et al.: Vitamin B12, homocysteine and depressive symptoms: a longitudinal study among older adults. Eur J Clin Nutr 2017 Apr, 71 (4): 486-475
2 Penninx BW et al.: Vitamin B12 deficiency and depression in physically disabled older women: epidemiologic evidence from the Women's Health and Aging Study. Am J Psychiatry 2000 May, 157(5): 715-721
3 Esnafoglu E et al.: The relationship of severity of depression with homocysteine, folate, Vitamin B12 and Vitamin D levels in children and adolescents. Child Adolesc Menth Health 2020 Nov, 25(4): 249-255
4 Tiemeier H et al.: Vitamin B12, folate and homocysteine in depression: the Rotterdam Study. Am J Psychiatry 2002, 159: 2009-2101
5 Conzade R et al.: Prevalence and Predictors of Subclinical Micronutrient Deficiency in German Older Adults: Results from the Population-Based KORA-Age Study. Nutrients 2017, 9(12): 1276 ff
6 Andrès E et al.: Vitamin B12 deficiency in elderly patients. CMAJ 2004, 171(3): 251-259
7 Suttorp N et al.: Harrisons Innere Medizin, Hrsg. 20. Auflage, 2020. ABW Wissenschaftsverlag, Berlin
8 Wolffenbuttel BHR et al.: The Many Faces of Cobalamin (Vitamin B12) Deficiency. Mayo Clin Proc Inn Qual Out 2019; 3(2): 200-214
9 Weitere Informationen zu Vitamin B12 – Mangelsymptome, Risikogruppen, Dosierungsempfehlungen – finden Sie auf www.gf-biofaktoren.de
10 Chen H et al.: Associations between Alzheimer's disease and blood homocysteine, vitamin B12 and folate: a case-control study. Curr Alzheimer Res 2015, 12(1): 88-94
11 Djukic M et al.: Frequency of dementia syndromes with a potentially treatable cause in geriatric in-patients: analysis of a 1-year interval. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2015 Aug, 265(5): 429-438
12 Almeida O. et al.: Systematic review and meta-analysis of randomized place-controlled trials of folate and vitamin B12 for depression. Int Psychogeriatr 2015 Mai, 27 (5): 727-737
13 Sangle P et al.: Vitamin B12 Supplementation: Preventing onset and improving prognosis of depression. Cureus 2020 Oct 26, 12(10): e11169.  doi: 10.7759/cureus.11169.
14 Syed EU et al.: Vitamin B12 supplementation in treating major depressive disorder: A randomized controlled trial. Open Neurol J 2013, 7: 44-48
15 Reiners K: Vitaminkrankheiten. In: Hoffmann GF, Grau AJ (Hrsg): Stoffwechselerkrankungen in der Neurologie. Stuttgart: Thieme, 2004, 163-176
16 Andrès et al.: Systematic review and pragmatic clinical approach to oral and nasal vitamin B12 (Cobalamin) treatment in patients with vitamin B12 deficiency related to gastrointestinal disorders. J Clin Med 2018 Sep 26, 7(10): 304
17 Bolaman Z et al.: Oral versus intramuscular cobalamin treatment in megaloblastic anemia: A single-center, prospective, randomized, open-label study. Clin Ther 2003 Dec, 25(12): 3124-3134
18 Vidal-Alaball JV et al.: Oral vitamin B12 versus intramuscular vitamin B12 for vitamin B12 deficiency. Cochrane Database Syst Rev 2005 Jul, 20(3):CD004655

Dr. Daniela Birkelbach
Gesellschaft für Bio­faktoren e. V. 
daniela.birkelbach@gf-biofaktoren.de
www.gf-biofaktoren.de