Stabil durch die Pandemie – Menschen mit Diabetes Typ 1 und 2

Bereits im ersten Pandemie-Jahr hat die Deutsche Diabetes Stiftung (DDS) mehrere Studien angestoßen, die die Versorgungsrealität von Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes untersucht haben. Erste Ergebnisse daraus wurden im Februar auf einer Pressekonferenz präsentiert, die die Auswirkungen von COVID-19 auf die Lebenssituation und Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus zeigten.

Seit gut zwei Jahren prägt die Coronapandemie den Alltag. Während Gesunde in dieser Zeit „nur“ von Auswirkungen im privaten und beruflichen Bereich betroffen waren, mussten Menschen mit chronischen Krankheiten auch bei der medizinischen Betreuung Änderungen hinnehmen. Gerade während des ersten Lockdowns standen nicht alle gewohnten Versorgungsangebote wie Präsenz-Sprechstunden und -Schulungen zur Verfügung, zum Teil wurden sie aus Angst vor Ansteckung von den Patientinnen und Patienten gemieden. „Speziell bei Diabetespatienten kommt hinzu, dass sie einer Risikogruppe für einen schweren ­COVID-Verlauf angehören“, sagte Prof. Hans Hauner, Vorstandsvorsitzender der DDS und Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums am TUM-Klinikum rechts der Isar und am Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Neben möglichen Folgen für die Stoffwechselgesundheit sei daher auch mit einer höheren psychischen Belastung durch die Pandemie zu rechnen gewesen, was sich glücklicherweise nicht bestätigt habe.

Sowohl die Themenpalette als auch die Referierenden gaben Hinweise auf den Impulsreichtum der Veranstaltung. Dr. Paula Friedrichs, Projekt-Managerin Lebenswissenschaften beim Rostocker Unternehmen BioMath, gab Antworten auf die Lebens- und Versorgungssituation von Menschen mit Diabetes in der Pandemie. Der Lockdown und seine Folgen standen im Fokus von PD Dr. Dr. Bernd Kowall vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen. Dabei ging es um die Frage, ob Ausgangsbeschränkungen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen mit Typ-2-Diabetes hatten. Dr. Stefanie Lanzinger vom Institut für Epidemiologie und medizinische Bio­metrie der Universität Ulm führte die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Neuerkrankungen und die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes vor Augen, während sich Hauner der Frage widmete, was aus der Krise gelernt und wie die Diabetestherapie verbessert werden könne.

Videosprechstunde stellt große­ ­Erleichterung dar

„In der Gesamtschau sind Menschen mit Diabetes, die wegen ihres Stoffwechselleidens bereits vor der Pandemie in Behandlung waren, gut durch die Lockdown-Phasen gekommen“, freute sich Hauner. Menschen, die bereits gelernt hatten, mit ihrem Diabetes umzugehen, hätten ihre Krankheit offenbar auch in den Lockdown-Phasen routiniert bewerkstelligt. So zeige eine der geförderten Studien, dass Menschen mit einem Typ-2-Diabetes nach dem ersten Lockdown weder eine schlechtere Stoffwechseleinstellung noch einen höheren Body-Mass-Index (BMI) aufwiesen. Auch die Rate psychischer Störungen blieb unverändert. Aber auch aufseiten der medizinischen Versorger sei in kurzer Zeit viel bewegt worden, betonte Hauner: Diabetesberatungen und -schulungen seien auf digitale Formate umgestellt worden, und auch in der ärztlichen Betreuung habe der Wegfall von Praxisbesuchen zumindest teilweise durch telefonische oder Videokontakte aufgefangen werden können. Die digitalen Möglichkeiten trügen dazu bei, Versorgungslücken zu schließen, die nicht nur während der Pandemie bestünden. Besonders für Diabetesbetroffene, die in ihrer Mobilität eingeschränkt seien, stelle die Videosprechstunde eine große Erleichterung dar – sie erspare lange Anfahrtswege und Wartezeiten und könne letztlich die Betreuungsintensität sogar erhöhen.

Beginnender Typ-1-Diabetes häufig erst verspätet diagnostiziert

Auffällige Pandemie-Effekte gab es jedoch im Bereich der Typ-1-Neuerkrankungen. So liefern die Studien Hinweise darauf, dass ein beginnender Typ-1-Diabetes während der Pandemie häufig erst verspätet diagnostiziert wurde. „Besonders bei Kindern unter sechs Jahren traten vermehrt Keto­azidosen auf“, erläuterte Hauner. Diese
schweren Stoffwechselentgleisungen können bei einer instabilen Stoffwechsellage auftreten, aber auch bei einem noch unerkannten und daher unbehandelten Diabetes. Rund drei Monate nach den jeweiligen COVID-19-Wellen kam es darüber hinaus zu einem deutlichen Anstieg der Typ-1-Inzidenz – die Zahl der Neu­erkrankungen nahm in diesen Phasen vorübergehend um rund 15 % im Vergleich zum vorpandemischen Niveau zu. „Wo­rauf diese Häufungen zurückzuführen sind, ist noch weitgehend unklar“, sagte Hauner. Vor allem indirekte Effekte der Pandemie – wie etwa psychische Belastungen – kämen als mögliche Ursachen infrage.

Hauner: Routinedaten müssen ­zugänglich gemacht werden

Klar benannt wurden auch die Defizite, die in der Krise zutage getreten seien – etwa in der Verfügbarkeit und der Struktur medizinischer Daten. „Es ist in Deutschland nach wie vor sehr schwer, reale Versorgungsdaten zu bekommen“, fasste Hauner die Erfahrung aus den vorgestellten Studien zusammen. Im deutschen Gesundheitssystem würden zwar viele Routinedaten kontinuierlich gesammelt, aber so gut wie nicht genutzt – sei es aus Gründen des Datenschutzes, wegen bürokratischer Hürden, fehlender Flexibilität oder schlicht aus Desinteresse. „Hier sind die verantwortlichen Stellen in der Politik und bei den Krankenkassen gefordert, die eingehenden Daten unter Wahrung des Datenschutzes zu nutzen oder zur Verfügung zu stellen“, sagte Hauner. Nur so könnten bestehende Probleme rasch identifiziert und gezielt adressiert werden. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass die deutsche Versorgungsforschung weiterhin auf Informationen aus anderen Ländern angewiesen ist, weil die eigenen Routinedaten nicht zugänglich sind“, so der DDS-Vorsitzende.

Dieser Meinung war auch Friedrichs. „Mir wäre es besonders wichtig, dass der Zugang zu routinemäßig erhobenen Gesundheitsdaten für Forschungszwecke erleichtert wird“, betonte sie, während Lanzinger den Aspekt der Telemedizin aufgriff: Angesichts der angesprochenen verspäteten Typ-1-Diabetes-Diagnosestellung ­müsse die Telemedizin weiter gefördert werden.

Problemkind Digitalisierung

Besonders deutlich wurde Dr. Ralph Bierwirth, stellvertretender Vorsitzender der DDS: „Es sollte der Datenfriedhof in Deutschland zum Leben erweckt werden“, appellierte der aus Essen zugeschaltete niedergelassener Diabetologe und Internist. Die Digitalisierung müsse gefördert und nicht durch politische oder finanzielle Einschränkungen gebremst werden. Denn nach wie vor bereite sie Probleme. „Das ist nicht nur an den Schulen so, das ist auch in den Arztpraxen so“, schloss Bierwirth. phi


Quelle: Online-Pressekonferenz des DDG am 16.02.2022: Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lebenssitua­tion und Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus

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