Allergieprävention aus Sicht der Pädiatrie

Sebastian M. Schmidt. Kernpunkte der Prävention – auch von Allergien – in der Pädiatrie sind Impfungen, Screeningverfahren, Beratungen zur Anpassung des Lebensstils und Medikamente. Impfungen und eine bessere Durch­impfung sind nicht mit allergischer Sensibilisierung oder der Entwicklung allergischer Erkrankungen assoziiert. Es gibt sogar Hinweise, dass sie das Allergierisiko senken können. Das Beeinflussen von Eltern und Kindern hin zu einem gesundheitsbewussten Verhalten spielt in der Pädiatrie eine große Rolle. Dies ist aber sehr zeitaufwendig und es bedarf der regelmäßigen Erinnerung. Hinsichtlich der medikamentösen Allergieprävention ist die spezifische Immuntherapie am bedeutsamsten.

Schlüsselwörter: Allergieprävention, Pädiatrie, Impfungen, spezifische Immuntherapie

Zitierweise: HAUT 2021;32(1):12-16

Abstract

Key aspects of prevention, e. g. of allergies, in pediatrics are vaccinations, screening procedures, advice concerning lifestyle adjustments, and medicaments. Vaccinations and a better vaccination coverage are not associated with allergic sensitization, or the development of allergic diseases. There is even evidence that vaccinations can reduce the risk for allergies. Influencing parents and children with regard to a health-conscious behavior is a vital part in pediatrics. It is, however, time-consuming, and the patients do need regular reminders. Concerning medicamentous prevention of allergies, specific immunotherapy is most relevant. 
Key words: prevention of allergies, pediatrics, vaccination, specific immunotherapy 

Im Folgenden werden die wesentlichen Inhalte einer evidenzbasierten Prävention in der klinisch-pädiatrischen Anwendung dargestellt, mit Fokus auf die Allergieprävention. Dies umfasst auch die Empfehlungen der aktuellen AWMF-S3-Leitlinie Allergie­prävention2 und eine Literaturrecherche zum Einfluss von Impfungen auf die Entwicklung allergischer Erkrankungen. 

Außerdem werden aktuelle Aufklärungsmaterialien für Eltern und Kinder vorgestellt, die von der Gesellschaft für Pädiatrische ­Allergologie und Umweltmedizin (GPAU) zur Allergieprävention in Deutschland entwickelt wurden.

Stufen der Prävention

Man unterscheidet die Primär-, die Sekundär- und die Tertiärprävention. Die Primärprävention zielt auf die Beseitigung bzw. die Verminderung von Ursachen, die die Entstehung von Krankheiten beeinflussen. Die Sekundärprävention soll das Entstehen manifester Erkrankungen bei Personen mit frühen Krankheitszeichen verhindern. Die Tertiärprävention hingegen umfasst Maßnahmen, die Komplikationen oder das Fortschreiten bei bereits manifester Erkrankung verhindern sollen (Abb. 1).

Inhalte der primären Prävention werden in der Pädiatrie zum Beispiel in den geburtsvorbereitenden Kursen der Hebammen vermittelt, außerdem anlässlich der Vorsorge-Untersuchungen der Pädiater. Dabei werden auch Informationen aus modernen Medien genutzt, etwa Videos und Apps. 

Inhalte der sekundären und tertiären Prävention werden zusätzlich zum Beispiel in Schulungsmaßnahmen (Asthma-Schulung, Neurodermitis-Schulung) und auch bei Kur-Aufenthalten angeboten, ebenfalls mithilfe moderner Medien.

Prävention in der Pädiatrie

In der Pädiatrie spielt die Prävention traditionell eine große Rolle. Unter evidenzbasierten Gesichtspunkten gibt es 4 verschiedene Anwendungsgebiete der Prävention: 

  • Impfungen zur Verhinderung einer Infektion,
  • Screening-Untersuchungen wie das Neugeborenen-Screening, um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, 
  • Beratungen zum Verhalten mit dem Ziel der Veränderung des Lebensstils. In der Pädiatrie ist dies zunächst eine Beratung der Eltern, um Verbesserungen für das junge Kind zu erlangen (Fremdnutzen!), in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand folgen dann auch Beratungen des älteren Kindes und des Jugendlichen.
  • Die wichtigste medikamentöse Prävention in der Allergologie ist die spezifische Immuntherapie (SIT).

Studienlage und Empfehlungen

Fördern Impfungen allergische Erkrankungen?

Impfungen sind typische Maßnahmen einer primären Prävention, da sie die Krankheit vollständig verhindern können. Bei einigen Eltern gibt es jedoch Bedenken, dass Impfungen allergische Erkrankungen fördern könnten: Impfungen würden Infektionskrankheiten (und damit die Entstehung einer TH1-Immunität) verhindern. Dadurch würde sich eine TH2-Immunität ausbilden, mit der Entstehung allergischer Erkrankungen. Zudem werden Impfungen besonders häufig im ersten Lebensjahr verabreicht. In dieser Zeit entwickelt sich, zumeist bei genetisch disponierten Kindern, auch oft ein atopisches Ekzem. Wegen dieser Zeitgleichheit wird eine kausale Verbindung angenommen (Abb. 2). Aber ist es wirklich so? Gibt es Studien, die eine solche Assoziation zeigen?

Eine TH1-Immunität wird nach gegenwärtigem Erkenntnisstand sowohl durch eine Erkrankung als auch durch die zugehörige Impfung induziert. Ob ein Individuum Atopiker wird und eine TH2-Immunität aufweist, hängt hingegen wesentlich von seiner genetischen Prägung ab (Abb. 3).

Zum Risiko der Entwicklung eines atopischen Ekzems gibt es mehrere Studien zu verschiedenen Impfungen inklusive Mumps/ Masern/ Röteln (MMR), die kein erhöhtes oder sogar ein erniedrigtes Risiko anzeigen. Lediglich eine Arbeit zeigt nach einer MMR-Impfung ein leicht erhöhtes Risiko, allerdings auch nach Masernerkrankung, was ungewöhnlich ist. Ein hoher Durchimpfungsgrad (höhere Anzahl erhaltener Impfungen) war ebenfalls mit einem geringeren Risiko und einem geringeren Schweregrad des atopischen Ekzems assoziiert. 

Auch zum Risiko der Entwicklung eines Asthma bronchiale gibt es wenige Arbeiten, die eine mögliche Assoziation zeigen. Dies waren retrospektive, nicht randomisierte Studien, teils nicht peer-reviewed als Letter to the Editor. Eine fehlende oder negative Assoziation mit Asthma wurde in prospektiven kontrollierten Studien mit Peer-Review, also qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen, gefunden. Auch hier war ein hoher Durchimpfungsgrad mit einem geringeren Risiko verbunden. 

Das Risiko der Entwicklung einer allergischen Rhinokonjunktivitis nach Grund­immunisierung ist schwieriger zu bestimmen, da sich die Erkrankung oft erst im Schulalter oder in der Pubertät manifestiert. Damit besteht ein großer zeitlicher Abstand zwischen der Grundimmunisierung und der Krankheits-Manifestation. Die wenigen vorhandenen Studien zeigten eine fehlende oder negative Assoziation.

Spezifische Standardimpfungen und eine bessere Durchimpfung (höhere Anzahl insgesamt erhaltener Impfdosen) fördern also nicht die allergische Sensibilisierung gegen Umweltallergene und fördern nicht die Entwicklung allergischer Erkrankungen. Es gibt Hinweise, dass sie das Allergierisiko senken können (Übersicht bei4-6).

Screening-Untersuchungen

Im Rahmen des Neugeborenen-Screenings konnte sich die Untersuchung des Nabelschnur-IgE nicht durchsetzen. Damit gibt es aktuell keine Screening-Untersuchungen auf atopische Erkrankungen im Neugeborenen-Screening.

Beratungen mit dem Ziel der Veränderung des Lebensstils

Allergieprävention in der pädiatrischen Praxis besteht gerade bei jüngeren Kindern in einer ausführlichen und wiederholten Beratung, insbesondere der Eltern, bezüglich präventiver Maßnahmen und eines entsprechenden Schutzverhaltens. Mit zunehmendem Alter der Kinder richtet sich die Beratung auch an diese selbst. Dies betrifft etwa die Berufs- oder sonstige Tätigkeitwahl oder das Rauchverhalten von Jugendlichen. 

Die Umsetzung all dieser Maßnahmen in der täglichen Routine ist anspruchsvoll, da oft nicht ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Hier können Informationsmaterialien Unterstützung bieten. Die Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPAU) hat zur Allergieprävention in Deutschland Materialien für ein abgestuftes System entwickelt. Flyer mit Informationen für Eltern und erstmals auch für Kinder vermitteln in altersentsprechendem Design die wichtigsten Botschaften zu verschiedenen Themen in einer sehr kompakten Form. Sie sollen Interesse an den weiterführenden, ausführlichen Elterninformationen wecken. Für Eltern können die im Kinder-­Flyer gewählten Formulierungen eine Hilfe sein, diese Informationen kindgerecht zu vermitteln. Abb. 4 zeigt als Beispiele die Informationsflyer für Eltern und für Kinder zum Thema Nichtrauchen.

Die Materialien für Eltern und Kinder sind online verfügbar, zukünftig auch in Handy-adaptierten Versionen. Das Format der Flyer wurde so gewählt, dass sie genau auf eine DIN-A4 Seite passen und daher auch selbst ausgedruckt werden können. Auf den Flyern ist ein Scan-Code enthalten, der zu den Elternratgebern führt.

Weitere Informationen für Ärzte und medizinisches Personal wurden in einem Sonderheft „Prävention“ zusammengefasst7, welches ebenfalls online verfügbar ist.

Medikamentöse Prävention

Bei der Allergieprävention steht die spezifische Immuntherapie an erster Stelle. Sie hat eine Reihe von gewünschten Effekten, wie 

  • weniger Symptome und geringerer Bedarf an Medikamenten bei allergischer Rhinitis und Rhinokonjunktivitis,
  • Verhindern von Neu-Sensibilisierungen,
  • Verringerung der spezifischen und unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität,
  • Vorbeugen von Asthma (Verhindern des Etagenwechsels),
  • weniger Symptome und geringerer Bedarf an Medikamenten bei Asthma, 
  • Insektengift: Reduktion systemischer Reaktionen nach erneuten Stichen. 

Die Effekte halten für 2 bis 5 Jahre (bis zu 15 – 20 Jahre) nach der Therapie an8.

Asthma-präventive Effekte wurden sowohl für die subkutane als auch für die sublinguale Immuntherapie nachgewiesen9,10.

Leitlinie Allergieprävention

Die Leitlinie Allergieprävention, Update 20142 (momentan in Überarbeitung) empfiehlt einen Algorithmus zur Primärprävention von Asthma bronchiale, allergischer Rhinokonjunktivitis und atopischem Ekzem bei Risiko- und Nichtrisiko-Personen (Abb. 5). Ein Risiko ist vorhanden, wenn mindestens ein Verwandter ersten Grades Asthma, Heuschnupfen oder ein atopisches Ekzem hat. Die Leitlinie unterscheidet zwischen Empfehlungen (E) mit hoher Evidenz und Stellungnahmen (S). Bei Stellungnahmen liegt nur eine geringe Evidenz vor und es kann keine Empfehlung abgegeben werden.

Für die Pädiatrie wichtige Empfehlungen betreffen die Ernährung, etwa die der Mütter in Schwangerschaft und Stillzeit, das Stillen, das Verwenden von hydrolysierter Säuglingsnahrung und das zeitgerechte Einführen von Beikost. 

Ein umfassender Impfschutz entsprechend den Empfehlungen der STIKO ist ein weiteres typisch pädiatrisches Gebiet der Prävention. 

Kinder sollen zudem frei von Luftschadstoffen aufwachsen. Sie sollen keine Exposition gegenüber Tabakrauch und anderen Luftschadstoffen erleiden müssen!

Die Empfehlungen zur Prävention bezüglich der Allergenexposition haben sich in den letzten Jahren geändert. Statt einer reinen Allergenmeidung ist aktuell eine frühzeitige Exposition gegenüber Umweltantigenen das zentrale allergiepräventive Element mit dem Ziel, eine Toleranz zu induzieren.

Fazit 

Verschiedene Maßnahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiär-Prävention sind in der pädiatrischen Allergologie etabliert. Die Prävention durch ein entsprechendes Verhalten nimmt eine zentrale Rolle ein, die Beratung in der Arztpraxis ist aber sehr zeitaufwendig. Medien können dabei unterstützen, auch das Mitgeben von Informations-Flyern. 

Bei den medikamentösen Maßnahmen steht die spezifische Immuntherapie an erster Stelle.

Literatur    

1. Fletcher RH, Fletcher SW, Fletcher GS. Clinical Epidemiology: The Essentials. 5th ed. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia (USA) 2013.
2. Schäfer T, Bauer CP, Beyer K et al. S3-Leitlinie Allergieprävention, Update 2014. Über www.awmf.org.
3. Grüber C. Beeinflussen Schutzimpfungen die Allergie-Entwicklung im Kindesalter? Pädiatrische Allergologie 2014;17(2):6-10.
4. Grüber C, Ankermann T, Bauer CP, et al. Positionspapier „Allergie und Impfen“. Sonderheft GPA 2016, www.gpau.de/mediathek/positionspapiere/ 
5. Schmidt SM, Ankermann T. Impfungen. In: Torsten Schäfer, Imke Reese (Hrsg.): Allergieprävention. Verlag De Gruyter GmbH Berlin / Boston (Deutschland) 2020;205-14.
6. Schmidt SM. IMPFEN: Was tun bei bestehenden Allergien? Perspektiven der Pneumologie und Allergologie, Supplement Deutsches Ärzteblatt 2018;1: 4-9.
7. Vogelberg C, Schmidt S. Prävention. Sonderheft GPA 2018, www.gpau.de/mediathek/positionspapiere/
8. Halken S, Linnemann DL, Roberts G et al. EAACI Guidelines on allergen immunotherapy: prevention of allergy. Pediatr Allergy Immunol 2017;28:728-45.
9. Jacobsen L, Niggemann B, Dreborg S et al.Specific immunotherapy has long-term preventiveeffect of seasonal and perennial asthma. 10 year follow-up on the PAT study. Allergy 2007;62:943-8.
10. Valovirta E, Petersen TH, Piotrowska T et al. Results from the 5-year SQ grass sublingual immunotherapy tablet asthma prevention (GAP) trial in children with grass pollen allergy. J Allergy Clin Immunol 2018;141(2):529-538.e13.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Sebastian M. Schmidt
Leitender Oberarzt
Universitätsmedizin Greifswald
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Sauerbruchstr., 17475 Greifswald
E-Mail: Sebastian.Schmidt(ett)med.uni-greifswald.de

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