Die Lymphologie ist cool weil...

O. Gültig

In kaum einem anderen medizinischen Fachgebiet ist Teamwork der zusammenarbeitenden medizinischen Berufe so eng wie in der Lymphologie. Die gute Abstimmung zwischen Ärzten, Lymphtherapeuten und kompetenten Sanitätshäusern ist für eine erfolgreiche Behandlung und Versorgung der Patienten unabdingbar. Seit einigen Jahren werden auch die Pflegeberufe immer mehr in die lymphologische Versorgungskette integriert. Besonders in den vielen lymphologischen Netzwerken ergeben sich daraus ein partnerschaftliches Arbeiten und viele Freundschaften.

ZITIERWEISE: VASOMED 2024; 36(2): 50-52

Die noch im letzten Jahrhundert verbreiteten Streitigkeiten zwischen den konkurrierenden und namensgebundenen Fachgruppen der Lymphologie interessieren heute kaum noch jemanden, denn jeder hat von jedem gelernt. 

Viele fachliche Innovationen stammen nach wie vor aus der ambulanten und fachklinischen Erfahrung der Lymphtherapeuten. So kommt heute der zentralen Vorbehandlung der angrenzenden, nicht lymphödematösen Gebiete mit der Manuellen Lymphdrainage (MLD) ein viel höherer Stellenwert zu als früher. Auch hat sich die individuelle Anpassung des lymphologischen Kompressionsverbandes (LKV) an die jeweilige Ödemsituation grundlegend geändert. Der Lymphtherapeut ist Moderator der gesamten Entstauungsphase und der sich anschließenden Erhaltungs- und Optimierungsphase der KPE. 

Fragen zur adäquaten und ausreichenden Verordnung der notwendigen Maßnahmen (Heilmittel, Hilfsmittel), die frühzeitige Beantragung der medizinischen Kompressionsbestrumpfung durch das Sanitätshaus bis hin zur gemeinsamen Planung der individualisierten, meist flachgestrickten medizinischen Kompressionsware liegt mit in den Händen der Lymphtherapeuten. 

In die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) integriert ist die praktische Einübung des unterstützenden Selbstmanagements (einfache Techniken der MLD, Atemtherapie, entstauende Übungsbehandlung, Selbstverband, systemische Hautpflege). Durch seine fachlich und menschlich kompetente Begleitung ist es für den Lymphtherapeuten faszinierend, wie der chronisch erkrankte Mitmensch wieder neuen Mut fasst und das Management seiner Erkrankung immer besser in den Griff bekommt. 

Unabhängigkeit des Patienten als oberstes Ziel

Das oberste Ziel in der Therapie ist immer, dass der Patient die selbstbestimmte Organisation seiner alltäglichen Belastungen und eine weitgehende Unabhängigkeit von der weiter begleitenden medizinischen Versorgungskette erreicht. 

Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und dem Behandelnden ist außerordentlich hoch und es ist sehr wertvoll, dass es in dieser schnelllebigen Zeit in der lymphologischen Physiotherapie noch Therapiezeiten zwischen 30 und 60 Minuten gibt. Diese entspannende Behandlungszeit bietet die Möglichkeit für den Patienten, sich besser auf die neuen Lebensumstände und das Leben mit einer chronischen Erkrankung einzustellen. Durch einfühlsame Gespräche und die vielen fachlichen Informationen gelingt es dem Patienten immer mehr, seine selbstbestimmte, aktive Rolle wiederzufinden. 

Entsprechend der international geltenden aktuellen wissenschaftlichen AWMF-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Lymphödeme (1) ist das unterstützende Selbstmanagement durch den Patienten in den Mittelpunkt gerückt. Bei aller fachlichen Kompetenz der medizinischen Berufe in der Lymphologie geht es letztlich immer darum, den chronisch Erkrankten wieder ein möglichst hohes Maß an Autonomie zurückzugeben.
 


Buchtipps

Als besonders wertvolle Begleiter für allen beteiligten medizinischen Berufen haben sich seit vielen Jahren zwei Fachbücher herauskristallisiert:

Leitfaden Lymphologie, 2. Aufl.  

O. Gültig, A. Miller, H. Zöltzer (Hrsg.), Elsevier Verlag 2021, ISBN 978-3-437487811, Preis: 51 €
Das Buch wurde von über 50 bekannten Fachautoren verfasst und gibt einen handlichen Gesamtüberblick über dieses Fachgebiet. Als eines der ersten Fachbücher bildet der „Leitfaden Lymphologie“ jedes Krankheitsbild in der gesamten Versorgungskette ab, das heißt jeder der beteiligten medizinischen Berufe bekommt einen Überblick, was die anderen Partner leisten. Zusätzlich ist bei jedem Krankheitsbild das unterstützende Selbstmanagement veranschaulicht. Weiter wurden erstmalig die Medikamente beschrieben, die als Nebenwirkungen zusätzlich Ödeme verursachen können. 

Das Lymphödem und die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie, 6 Aufl. 

H. Pritschow (Begr.), C. Schuchhardt, F. Pritschow (Hrsg.), WPV. Verlag 2023, ISBN 978-3-934371-67-5, Preis: 39,99 €
Dieses besonders praxisorientierte Fachbuch beschreibt in hervorragender Weise alle Grundlagen der Lymphologie sowie das Diagnose- und Behandlungskonzept erfahrener Spezialisten bei der Ödemtherapie. Das Buch richtet sich an alle Berufsgruppen, die Patienten mit lymphologischen Krankheitsbildern behandeln, und erläutert ihre Aufgaben in der ambulanten medizinischen Versorgungskette. Die vielen Ratschläge und dargestellten Modelle zur organisatorischen Umsetzung der KPE in der ambulanten physiotherapeutischen Praxis machen dieses Fachbuch besonders wertvoll. In der 6. Auflage sind neue Kapitel zur Wirtschaftlichkeit der KPE in der physiotherapeutischen und ärztlichen Praxis hinzugekommen.


 

 

Patienten ambulant auf  Fach­klinikniveau behandeln

Heute gründen sich weltweit neue wissenschaftliche Gesellschaften unter dem Namen „Phlebologie und Lymphologie“. Auch hier in Deutschland sind die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie und die Deutsche Gesellschaft für Lymphologie zur Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie (DGPL) seit dem 01.01.2023 verschmolzen. Damit gehört die DGPL zu einer der größten Fachgesellschaften weltweit auf diesem Gebiet. 

Die Lymphologie ist in Deutschland so populär wie noch nie, da neben den zigtausend aus den physiotherapeutischen Berufen weitergebildeten Fachmännern und Fachfrauen über 1.600 Ärztinnen und Ärzte die von der Bundesärztekammer anerkannte curriculare „Fortbildung Lymphologie“ absolviert haben und so ihr Know-how in der Therapie umsetzen. Auf dieser Grundlage haben sich mit Unterstützung durch den Lymphologicum – Deutsches Netzwerk Lymphologie e. V. über 80 regionale Lymphnetzwerke gegründet. Deren Ziel ist es, Patienten ambulant auf Fachklinikniveau zu behandeln. Zusätzlich veranstalten diese Netzwerke sowie Selbsthilfegruppen in der Lymphologie unzählige Veranstaltungen für betroffene Patienten und beteiligte Berufe. Über das Internet kann man sich hierzu nähere Informationen einholen. 

In Deutschland hat die Lymphologie einen hohen Stellenwert, dies ist u. a. auf den Lymphologicum – Deutsches Netzwerk Lymphologie e.V. zurückzuführen. So bringt der Verein viermal jährlich das Lympholife-Patientenjournal heraus. Diese Zeitschrift gibt in patientenfreundlicher Sprache Informationen über die aktuellen fachlichen Entwicklungen weiter. Die Betroffenen erhalten kontinuierlich wichtige Ratschläge über ihr Krankheitsbild und über die Verbesserung ihrer persönlichen Situation unter Alltagsbedingungen. Zusätzlich sind Patientenratgeber zu den Themen Lymphödem und Phlebödem verfügbar. Der Lymphödemratgeber ist auch in türkischer, englischer und russischer Sprache erhältlich. Der jährliche Campuskongress des Lymphologicums e. V. versammelt alle medizinischen Berufe, um das Know-how zu aktualisieren und um die kollegiale freundschaftliche Zusammenarbeit weiter auszubauen. Auch ergeben sich in der Lymphologie jedes Jahr viele fachliche und wissenschaftliche Neuigkeiten. Die Industrie begleitet diesen Prozess durch immer wieder neu entwickelte Innovationen, besonders auf dem Gebiet der medizinischen Kompression.

Die Lymphologie kennt wie die Musik keine Grenzen!

Deutschland, das Ursprungsland der Lymphologie und KPE, hat inzwischen einen weltweiten „Dominoday“ bewirkt. An diesem internationalen Staffellauf beteiligt sich auch der Autor dieses Artikels mit seinem Unternehmen Gueltig Lymphology training and consulting GmbH. So wurden in den vergangenen Jahren in Vietnam, Armenien und Ägypten viele Fortbildungen und Kongresse für Ärzte und Physiotherapeuten veranstaltet (Abb. 1–3). Dazu gehören in Zukunft auch Patientensymposien, denn letztlich geht es immer um die betroffenen Patienten selbst!

In den industrialisierten Ländern ist die KPE inzwischen etabliert, selbst in China wird sie als unverzichtbares Therapiemanagement bei allen Lymphödemen angesehen. Aber in den zahllosen Schwellenländern leiden hunderte Millionen Menschen an unbehandelten Lymphödemen, die ihre Lebensqualität erheblich mindern und bis hin zu Erwerbslosigkeit und früher Invalidität führen können. Auch das erhöhte Risiko der bösartigen Entartung eines unzureichend behandelten Lymphödems ist ein nicht zu unterschätzendes Risiko für diese chronisch Erkrankten. 

Aus diesem Grund sollte die Lymphologie in Zukunft in den Brennpunkt der Arbeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rücken. Das Know-how zur erfolgreichen Behandlung aller Lymphödemformen ist da, aber hunderte Millionen davon betroffene Mitmenschen haben weltweit noch keinerlei Zugang zur Behandlung dieses chronischen Leidens. 
Die Lymphologie ist cool, weil sie bei fast jeder Erkrankung eine bedeutende Rolle spielt und es fachlich und persönlich jedem Vergnügen macht, in diesem Fachgebiet zu arbeiten!
 

Literatur
1. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Lymphödeme. AWMF Reg.-Nr. 058-001.

Korrespondenzadresse
Oliver Gültig
Gueltig Lymphology training and consulting GmbH 
Im Neurod 2, 63741 Aschaffenburg
gueltig@lymphology.de

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